Impulse für die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft

An Pfingsten fand am Goetheanum erstmals eine Tagung zur Freien Hochschule statt. Im Mittelpunkt: die Forschungs- und Kulturarbeit der Sektionen. Der ganze Bogen und die Vielfalt der zwölf Lebensfelder der Anthroposophie sollten deutlich werden – so das Ziel der Veranstalter. Angesichts der 100 vergangenen Jahre stehe aber auch die Frage im Raum, bezogen auf die Zukunft: Sind wir vorbereitet? Was lernen wir auf dem jeweiligen Lebensfeld, um von dort heraus Anthroposophie noch besser zu verstehen und zu vertiefen?


Im Eröffnungsvortrag am Freitag spannte Peter Selg den Bogen zwischen gestern und heute. Als Ausgangspunkt für seine Betrachtungen wählte er die Leitsätze und Vorträge Steiners, in denen dieser den Gedanken der Hochschule skizziert hatte. Es sei damals überraschend gewesen, dass Steiner die karmische Gestalt Thomas von Aquins ins Zentrum rückte, dessen Philosophie «sich neu entzünde» durch die Anthroposophie als eine Geisteswissenschaft, die sich in die Naturwissenschaft hineinwebe. Selg redete der beginnenden Tagung liebevoll ins bewusstseinsgeschichtliche Gewissen: «Wie lebt man mit etwas, das man gar nicht ganz überschaut?» Sein Anliegen war, dass für die Hochschule nicht nur Aktivität nach außen, sondern auch nach innen ein Herzensanliegen bleiben sollte.

Das Denken mit Wärme verflüssigen

Am Abend stellten die Verantwortlichen von Medizinischer und Naturwissenschaftlicher Sektion in Streiflichtern Fragestellungen aus ihrem Lebensfeld vor. Wie gestaltet man eine Wissenschaft (und Heilkunst) des Lebendigen angesichts einer zunehmenden Dominanz des Technischen, elektronischer Patientenakten und der «Unternatur im Sprechzimmer» (Marion Debus)? Thomas Hardtmuth verfolgte die ‹Zentralfrage des 21. Jahrhunderts: Was ist Leben?› vor dem Hintergrund der Beobachtung, dass die Selbstorganisation sowohl kosmischer als auch neuronaler Netzwerke nach ähnlichen Prinzipien abläuft; so gibt es in Galaxien und Gehirnzellen «universelle Nanopartikel des Lebens». Matthias Rang griff den Faden auf und stellte der Erkundung des Lebens die Frage zur Seite: Wie verstehen wir das Tote? Das Lebendige zu begreifen, führe an einen «Grenzort des Erkennens» (Rudolf Steiner). Parallel zur Anthroposophie entwickelte sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Quantenphysik, die auf ihre Weise zu jenem Punkt führt, an dem Geisteswissenschaft eine Richtung weisen kann. Dazu sei es nötig, das tote Denken zu überwinden beziehungsweise zunächst zu begreifen. Wenn ich mich in Atomen denke, dann «bin» ich nicht, ich stünde vor einem «Abgrund des Nicht-Seins» (Steiner) und würde gewissermaßen den Tod meiner selbst erkennen. Ich muss also mein Denken verflüssigen, und das geht, so Matthias Rang, wie in der Natur nur durch Wärme.

Hier und in den nachfolgenden Beiträgen der Pharmazeutin Vesna Forštnerič Lesjak über die Wirkprinzipien einer ‹Physiologie der Freiheit› und von Karin Michael über ‹Embryologie› kristallisierte sich heraus, was eine Freie Hochschule der Sektionen als Einheit in der Vielfalt leisten möchte: Was in den Schulwissenschaften bereits als aktuelle Forschungsergebnisse und Fragestellungen in der Luft liegt, soll aus geisteswissenschaftlicher Perspektive geerdet und dadurch tiefer verständlich gemacht werden. Denn «die Mitte fällt auseinander» (R. Steiner), das ätherische Herz muss gestärkt werden.

Aus Phänomenen der Gegenwart in die Zukunft

Damit Sektionsarbeit und Pfingsttagung nicht in eine Selbstvergewisserung münden, bedarf es der aktiven Mithilfe aller, und so formulierte Karin Michael zum Abschluss des ersten Tages an die Adresse der Teilnehmenden: «Wir brauchen Ihre Gedanken, Ihre Wärme, Ihre Fragen.» Die Tagung trat immer dann aus sich hervor, wenn weniger die Historie oder Haltungen beschworen, sondern Gegenwartsphänomene beschrieben wurden. So wuchs die Substanz am Samstagmorgen weiter. Constanza Kaliks lenkte den Blick auf zeitgenössische pädagogische Erkenntnisse. Was Steiner dem Urkollegium mitgegeben habe, lebe heute in anderer Form in der Welt. In den ‹Epistemologien des Südens› etwa werden plastische Denkformen entwickelt für Menschen, die andere kulturelle Erfahrungen mitbringen. Es sei oft leicht, Dinge zu kritisieren, wenn man nicht betroffen sei, zum Beispiel von Armut. Beim Gedanken, dass jedes Kind verborgene Erfahrungen mitbringt, die unaussprechbar bleiben können, dachte Steiner an das Vorgeburtliche. Bei der partizipativen Aktionsforschung sei eine ähnliche Geste zu beobachten. Hier handelt es sich ‹nur› um das Mitgebrachte aus diesem Leben, aber grundsätzlich gehe es auch hier um den Respekt vor dem «Wissen des Lernenden». Constanza Kaliks stellte zwei Verhältnisse zur Wahrheit gegenüber: Man könne sich in der Wahrheit sehen und dann diese Wahrheit in der Wirklichkeit «anwenden» oder die Wahrheit in der Wirklichkeit aufsuchen. In dieser letztgenannten Form schlage das Herz eines Kollegiums.

Jan Göschel knüpfte an: Er beschrieb, dass im Jahr 1861 sowohl der Begriff Heilpädagogik entstand als auch ein Fossil des Archaeopteryx entdeckt wurde, eine Zwischenform zwischen Echse und Vogel. An diesem Brückentier entwickelte er das Phänomen, dass in einem sich entwickelnden Organismus verschiedene Entwicklungsstufen gleichzeitig vorhanden sind und in prozessualem Verhältnis zueinander stehen. Das Echsenhafte ist im Kopf, das Neue kommt beim Archaeopteryx aus den Gliedern. Auch beim Menschen gibt es Aspekte der Leiblichkeit, die ihre eigene Zeitlichkeit haben. Stufenweise entfaltete Göschel die soziale und heilpädagogische Relevanz dieser Entdeckungen. An den Schnittstellen entstehe die Frage: Wie bleibe ich mit mir selbst verbunden und wie komme ich durch die Leiblichkeit in Kontakt mit der Welt? Rudolf Steiner prognostizierte eine Zukunft, in der die Empathie direkt zur Handlung wird, zu einer Wesensbegegnung. Dazu bedarf es eines bedingungslosen Respekts vor dem Innenleben des anderen. Damit korrespondierte auch der nachfolgende Beitrag von Stefan Hasler, der für die Musik und die Eurythmie zeigte, dass eine solche Wesensbegegnung – nämlich auch mit dem Wesen der Musik und der Künste – eine Gratwanderung ist. Er illustrierte durch Tafelbilder, dass das Wesen einer ätherischen Bewegung eigentlich kaum zu fassen sei, «vielleicht wie Pfingsten».

Ein Gedicht als Händedruck

Das insgesamt recht ‹frontale› Konzept vieler Vorträge statt dezidiert dialogischer Formate barg eine gewisse Gefahr der Überforderung der Zuhörenden. Diese wurde jedoch immer dann gebannt, wenn Zeitsymptome anschaulich gemacht wurden, wenn Phänomene der Gegenwart spirituell gedeutet wurden und nicht nur – wie so oft in anderen Fällen – negativ bewertet. Um eine solche Empathie bemühte sich beispielsweise Nathaniel Williams für die Jugendsektion. Er widmete sich der heutigen Bildschirmkultur. Wo, wenn nicht innerhalb einer Erkenntnisgemeinschaft wie der geisteswissenschaftlichen, könne auf die unterschwellige Not der Jugendlichen reagiert werden, um diese aus dem ‹Gefängnis› herauszuholen? Dafür muss ich mich jedoch aufrichtig interessieren und kreativ einlassen. Auch Ariane Eichenberg für die Sektion für Schöne Wissenschaften stellte ein Zeitsymptom vor, nämlich das Voice Cloning. Sie betonte, die Aufgabe der Sektionsarbeit sei, zu erkennen, «was die geistige Welt mit bestimmten Entwicklungen will». Williams hatte in Anknüpfung an die Jugendbewegung gesagt, die Jugend habe damals Menschen gesucht und nur (äußere) Informationen gefunden. Auch heute, konstatierte Ariane Eichenberg, geht in der Fülle äußerlicher Könnerschaft und oberflächlicher Techniken auf dem Gebiet der Sprache deren Wesen, das Bewusstsein ihrer Innenseite, verloren: Sie sei Beziehung bildend, verwandelnd, jedes Mal neu schöpferisch. Wenn aber wie beim Voice Cloning, also der maschinell imitierten Menschenstimme, der Zusammenhang von Leib, Seele und Geist nicht mehr gegeben sei, müsse man umso feiner fragen und darauf achten, welches Wesen dahintersteckt, wer spricht, welchem Wesen ich begegne. Mit Paul Celan, dessen Lyrikbände parallel zur Entwicklung des Computers entstanden, stellte Ariane Eichenberg einen positiven Gegenentwurf vor. Für Celan war ein Gedicht «ein Händedruck», Ausdruck und Wesensbegegnung mit einer einmaligen Seele. Im Gedicht «EINMAL / da hörte ich ihn, / da wusch er die Welt […]» sei das zu Beginn noch von Gott getrennte, ihn ‹hörende› lyrische Ich am Ende in die Verse des Gedichts selbst gewandert: «ichten. Licht war. Rettung.»

Mit ‹Garten des Lichts› in die Nacht

Den Abend rundete eine Vorstellung von ‹Garten des Lichts› des Goetheanum-Eurythmie-Ensembles ab und öffnete seelisch in die Nacht. Ein wunderbares künstlerisches Erlebnis. Einzig irritierend war, dass die Texte der NS-Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl, immerhin aus ihren persönlichen Briefen und Tagebüchern, durch die Sprachgestaltung eine Stilisierung erfuhren, die zwar für die ersten beiden Aufführungsteile zu Mani und Perceval geeignet war, aber hier unangemessen und künstlerisch indiskret wirkte. Dadurch wurde das, was in den vorangegangenen Vorträgen veranlagt und wofür sensibilisiert worden war, nämlich Respekt vor den Erfahrungen des anderen – Erfahrungen, die auf eine bestimmte individuelle Weise Sprache werden oder auch verstummen und Schweigen bleiben –, ungewollt konterkariert durch die anthroposophische Methode, wenn auch zweifellos auf qualitativ höchstem Niveau und mit besten künstlerischen Absichten. Doch irgendwie können Tagebuchworte, zumal wenn sie vor einem tragischen politisch-historischen Schicksalshintergrund verfasst wurden, nicht genauso mittels Sprachgestaltung rezitiert werden wie andere Texte, oder es müsste vielleicht dezenter, zurückgenommener geschehen. Diese Anmerkung sei hier nicht als Kritik oder künstlerischer Vorwurf gemeint, sondern als Frage, als Spiegelung.

Warten, wenn das Bild schweigt

Am Sonntagmorgen entwickelte Christiane Haid einige Grundmotive zu Prozessen in der bildenden Kunst. Es war dies auch ein indirekter Kommentar zur künstlichen Intelligenz, sofern diese inzwischen ja auch für die Kunstproduktion eingesetzt wird. Haid stellte ausgehend von Steiners Blick auf die Ästhetik von Goethe und Schiller sowie einem paradigmatischen eigenen Malprozess dar, wie es sich in der Kunst immer um einen Dialog handelt: Es geht nicht darum, eine Idee in den Stoff umzusetzen, sondern das Ideelle ist im Stoff. Zunächst ist da eine leere Leinwand, und vorsichtig tastend setze ich etwas. Doch was entsteht daraus, was sagt es mir im Fortgang? Was kommt mir entgegen? «Wenn das Bild schweigt, muss ich warten.» Man spüre bei der Weiterarbeit, ob etwas «dazugehört» oder nicht. Es sei ein Paradoxon: Man weiß es und gleichzeitig nicht. Man kann nicht mechanisch vorgehen. Es sei ein Seelenprozess, der sich physisch manifestiert. Insofern verstand Steiner alle Disziplinen als Kunst, wo ich das Gegebene liebevoll aufgreife und in einen Verwandlungsprozess, in eine Selbstbefreiung führe. (Und so helfe ich auch in der Pädagogik dem Kind, zur Erscheinung zu kommen.) Hier und vor allem auch im engagierten, von substanziellem Optimismus getragenen Vortrag von Eduardo Rincón leuchtete, unterstützt durch den Strom des Vortags, der innere Zusammenhang, die Esoterik der zwölf Sektionen auf: Es war zutiefst anregend, zu erleben, wie eben auch vom Humus in der Landwirtschaft («Compost is art») eine motivische Brücke entsteht zu zeitgenössischer Kunst, so wie zuvor von der Lyrik zu neuronalen Netzwerken. Ueli Hurter vollführte anschließend ein Kunststück der geistesgegenwärtigen Improvisation, ein performatives Kunstwerk des Augenblicks, indem er sich aus Zeitgründen gezwungen sah, sein vorbereitetes Referat spontan zu verdichten, und dies charmant und überaus überzeugend umsetzte und gestaltete.

Wie machen wir uns die Hände schmutzig?

Eine Tagung wird dann dynamisch und erschöpft sich nicht in Redundanzen, wenn persönliche Statements den Raum öffnen für das Überpersönliche, für das für alle Interessante. In manchen der an den zwei Pfingstvormittagen stattfindenden, naturgemäß unterschiedlich intensiven Fachkolloquien – als den letztlich einzigen expliziten Dialog-Inseln der Veranstaltung – kam gelegentlich eine Kluft zum Vorschein. So wird etwa oft die Sehnsucht nach der ‹Welt›, nach Austausch, in Kreisen (oder besser: in einem Kreis) artikuliert, was jenen Austausch gerade, ohne es zu beabsichtigen, verhindert. Sie wird artikuliert in einer gefühlt eigenen Welt, auch in einer eigenen Sprache, die sich manchmal selbst nicht mehr beobachtet, nicht mehr hinterfragt, nicht mehr ‹hört›. Als sei die Welt, die in Celans Gedicht vom Schöpfer gereinigt werden muss, schmutzig. Oder wäscht lebendiger Geist gerade das allzu Reine der Lehre, das klinisch Reine, das Künstliche weg? Macht er die Welt dadurch neu, dass in ihr jedes menschliche Ich aus sich heraus schöpferisch kommunikativ werden kann? Damit auch wir als Anthroposophen uns die Hände mit Herzenslust schmutzig machen und uns empathisch handelnd auf die Welt einlassen statt sektiererisch zu wirken? Vieles krankt in der Wirklichkeit des Sozialen daran, dass man hinterher, in Gesprächen über ein stattgefundenes Gespräch, beklagt, dies und jenes hätte besser so und so laufen müssen, anstatt geistesgegenwärtig, in dem Moment, die Dynamik eines Gesprächs zu bemerken und zu thematisieren – Gesprächsanteile Einzelner, die Integration des von anderen Gesagten in das Eigene – und beherzt einzugreifen. So wird im aktuellen Vollzug oft dasjenige versäumt, was auf der Metaebene gefordert wird. Ich muss aber in mir selber die Metaebene, in mir selber den Gesprächsleiter aktivieren – und dem formalen ‹Leiter› beispringen. Beim Essen meinte ein Tagungsteilnehmer, der in der Organisationsentwicklung arbeitet, es sei doch eigentlich recht einfach, mit ein wenig Selbsterziehung das eigene inhaltlich noch so sehr Wichtige hintanzustellen um des gemeinsamen Dialogstroms willen … Im Abschlussplenum sprach Sonja Zausch die Notwendigkeit einer solch achtsamen, in einem ganz grundsätzlichen Sinne ‹inkludierenden› Kommunikation dankenswerterweise noch einmal an. Denn es gehe auch in den anthroposophischen Einrichtungen darum, neue Mitarbeitende, die vielleicht (noch) nicht so in der Anthroposophie beheimatet sind, aber die «in der Tür stehen», ernst zu nehmen und mitzunehmen.

Modernste Form der Innerlichkeit

Am Sonntagnachmittag hatten sich alle zwölf Sektionen in Beiträgen vorgestellt, zuletzt die Sektion der Sozialwissenschaften sowie die Mathematisch-astronomische Sektion, für die sich Oliver Conradt mit den Kometen und den sie umgebenden Mythen befasste, den Impulsen, die sie spirituell bringen, und die Frage stellte: «Welcher Komet bringt die Organe, die uns die Sonne als Lebenszentrum erkennen lassen?» Gerald Häfner appellierte in seinen Beiträgen über die Situation in der ‹allgemeinen› Gesellschaft analog zu derjenigen der ‹allgemeinen anthroposophischen› sehr stark an die Zuhörenden. Anhand eigener Beispiele aus politischen Verhandlungen stellte er, auch sich selbst, die drängende Frage: «Haben wir geleistet, was nötig war?» Es ging Häfner um «das Recht als die schönste, modernste Form der Innerlichkeit», um das Einander-gerecht-Werden, um die Verwandlung des toten, verurteilenden Rechthabens in ein lebendiges, das den Mitmenschen in seinem ganzen Erfahrungsreichtum und auch seiner Wunde zu «sehen» vermag, statt Schuld zu verteilen. Hier schien sich auf verwundbar machende Weise auch die Geschichte der Sektionen selbst zu offenbaren, und es verbanden sich Verletzungen innerhalb der geisteswissenschaftlichen Bewegung mit der Wundheit der Welt.

Nun wandelte sich die Tagung in ein großes Plenum auf der Bühne, mit Teilnehmerberichten aus den Kolloquien. Letztlich ging es auch hier um die Ehrfurcht vor dem Wesen des anderen, das dieser vielleicht noch nicht so zeigen kann, wie er es eigentlich möchte. So sagte eine Teilnehmerin aus Australien: «I heard the cry.» Sie habe in ihrer Gruppe einen starken Willen zur Aktivität, zur Verwandlung wahrgenommen, vielleicht kann man auch sagen: eine Sehnsucht nach Pfingsten, aber zugleich auch eine gewisse Hilflosigkeit. Eine andere nahm aus Zweiergesprächen mit, dass bestimmte gegenwärtige Tendenzen in der Welt viele mit Angst und Sorge erfüllten, etwa die künstliche Intelligenz.

Einen schönen Ausklang schuf der Pfingstmontagmorgen: Sektionsleitende erzählten, was sie an den Beiträgen der Kolleginnen und Kollegen bewegt habe. Vom Format her lag darin auch eine Geste des Vertrauens der Sektionsmitglieder in die Tagungsteilnehmenden, die Zeugen wurden eines sich suchenden pfingstlichen Hochschul-Geistes der Veranstalter, ein Geist, in dem einem die Arbeit des anderen nicht Dorn im Auge, sondern Antrieb im Herzen, nicht Hindernis, sondern heilig ist. Vielleicht war dies in der Vergangenheit anders, vielleicht hatte man sich früher eher dagegen gesperrt. Und die Zeugen, die Zuhörenden, erzeugten durch ihren Resonanzraum das Pfingstliche mit.

Spatenstiche des Willens

So hob Jan Göschel hervor, dass er das Transdisziplinäre, das heute ein starker Ansatz in der Forschung sei, in den anthroposophischen Sektionen eigentlich schon als präsent erlebe. Als eine Art «Generalbass» der Tage wurde auch die Bedeutung der mittleren Ebene empfunden, das Ziel, die Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens zu harmonisieren. Karin Michael bezog sich auf Christiane Haid: Auch als Ärztin stehe man vor einem Patienten beim ersten Mal wie vor einer leeren Leinwand. Nach der ersten Setzung, der ersten Bildgestaltung und dann der Diagnose müsse man oft innehalten und mit dem Patienten in einen Dialog eintreten, um im zweiten Schritt zu einer Intuition zu kommen, in der man auch Diagnoseergebnisse befragen und opfern müsse, um schließlich eine Inspiration zu entwickeln, die den Sinn der Erkrankung erschließt.

Der Einladungsflyer zur Tagung, die einen für Außenstehende etwas sperrigen, aber nach innen öffnenden Titel hatte, nahm explizit Bezug auf «die Pfingstgemeinschaft der Jünger als ein Idealbild». War eigentlich auch das Evangelium anwesend? Eine theologische Sektion gibt es aus guten Gründen nicht, und doch entstammt die Referenz ja einem christologischen Kontext. So konnte man wahrnehmen, dass das Religiöse vielleicht als die Demut, die Frömmigkeit des Forschenden implizit wirksam war, als ein Staunen. Es gab keine Misstöne auf den Podien, dafür durchgängiges Wohlwollen. Spannungen moderieren müssende Gesten waren nicht nötig, weil etwas Tastendes und Behutsames, etwas Versöhnliches und Suchendes als Geste in der Tagung als ganzer lag.

Constanza Kaliks erinnerte daran, dass Steiner einmal von «Spatenstichen des Willens» gesprochen habe, die getan werden müssten. Vom «Wort, das pflügt», das Zeit braucht, um zu wirken, das nicht einfach «drübergeht», war am Ende ebenfalls die Rede. Vielleicht wird die Signatur dieser Tagung im Nachklang als erster Spatenstich, als erster Schritt auf einem Weg der Umwandlung erlebt werden, als ein erster Glockenton. Sie war eher schwach besucht, ihr geistig-sozialer Impuls wird umso stärker gesucht. Die Tagung blieb im guten Sinne unbefriedigend. Sie war reich, ohne dass der Reichtum sich verschwendete oder ganz entfaltete, er war als Andeutung, als Same, als Potenzial für die Zukunft spürbar, ganz und gar pfingstlich.


Bild Pfingsttagung 2025, Goetheanum. Foto: Xue Li

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