Ingo Krampen – 1950–2024

Er liebte die Menschen. Unter seiner Hand wurde das Recht zu einer Sache des Herzens.


Die Pracht der Morgenröte,
die Farben des Regenbogens,
der Silberglanz des Mondes,
der Gesang der Nachtigallen,
die Sanftheit der Katzenpfoten

Mit diesen Worten der sanften Macht, mit denen in der nordischen Mythologie die Asen die Midgardschlange (die die äußeren und inneren Unfreiheiten des Menschen symbolisiert) gefesselt hielten, kennzeichnet Ingo Krampen die Qualitäten eines Rechts, das friedensstiftend wirkt und auf Verantwortung und Vertrauen fußt – den beiden Momenten, die bei einer zukünftigen Rechtsgestaltung das heutige und eigentlich überlebte Schuldrecht ablösen könnten.

Schon als Schüler traf Ingo Krampen auf Wilhelm Ernst Barkhoff, den Vater seines Mitschülers Martin Barkhoff. Wilhelm Ernst Barkhoff war Jurist und begeisterter Anthroposoph. Er vertrat die Auffassung: «Juristerei und Anthroposophie sind identisch.»1 Ingo Krampen hielt diese Auffassung für «gewagt», bewies aber mit seinem Leben und seinem Lebenswerk die Richtigkeit dieser Aussage. Im Mittelpunkt der Gespräche mit Wilhelm Ernst Barkhoff stand die ‹Philosophie der Freiheit›. Was ist Denken? Was bedeutet Denken als seelische Tätigkeit? Welche Möglichkeiten haben wir, die Grenzen eines naturwissenschaftlichen Denkens zu überwinden? Liegen in Imagination, Inspiration und Intuition unser Denken erweiternde Potenziale? Die Philosophie der Freiheit mit dieser Fragestellung hat Ingo Krampen sein Leben lang begleitet. Er brachte sie auch in das in Bochum von ihm mitveranstaltete ‹Anthroposophische Hochschulseminar› ein.

Ingo Krampen war nie Theoretiker oder gar ein Dogmatiker. Er war an Menschen, an den Gemeinschaften, in denen er sich befand, und an gesellschaftlichen Fragestellungen interessiert. Von großer Bedeutung war für ihn, wie für alle anderen Teilnehmenden, eine 15-jährige Mitgliedschaft in einer Wirtschaftsgemeinschaft, in der – nur möglich mit viel Humor – alle in allen Angelegenheiten persönlich miteinander wirtschafteten und von einem Konto lebten. Von grundlegender Bedeutung für seinen Lebensweg, so empfand er es selbst, war seine Zeit als Waldorfschüler der Rudolf-Steiner-Schule in Bochum. In dieser Waldorfschule, die 1958 ihre Tätigkeit aufnahm, war er einer der ersten Schüler. Er traf dort auf eine Klassenlehrerin, Lore Schäfer, die sich jedem Schüler in bedingungsloser Liebe zuwandte und zugleich lebenspraktisch und humorvoll war. In den frühen 80er-Jahren war Ingo Krampen selbst an der Gründung der Widarschule, einer Waldorfschule in Bochum-Wattenscheid, beteiligt.

Er war auch ein Kind seiner Zeit. Als Schüler verband er sich mit den Zielen der 68er-Bewegung, protestierte gegen ‹Notstandsgesetze›, setzte sich auf Straßenbahnschienen und trat für eine Schülermitvertretung an seiner Waldorfschule ein. Ingo Krampen hat die Gründung der Bochumer GLS-Bank maßgeblich mitgestaltet. Bereits als Student im Alter von 24 Jahren wurde er 1975 Mitglied des Vorstandes der GLS-Treuhand (damals Gemeinnützige Treuhandstelle). Er blieb in diesem Amt über einen Zeitraum von 25 Jahren, wechselte in den Aufsichtsrat der Treuhand und wurde dessen Vorsitzender. 1999 wurde er Mitglied und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Hannoverschen Kassen. Mit Beginn seiner Tätigkeit für die Treuhandstelle und seiner Mitgliedschaft im Montagskreis, in dem die an der Bankgründung beteiligten Menschen die methodischen und praktischen Grundlagen der Bankarbeit (weiter-)entwickelten, begann er sich mit dem Thema Geld zu befassen. In den Gesprächen ging es um die Geldqualitäten (Kauf-, Leih- und Schenkungsgeld), Fragen des volkswirtschaftlichen Kreislaufes und der sozialen Dreigliederung auf der Grundlage der hierzu vorliegenden Äußerungen Rudolf Steiners. Die Gespräche gingen oft bis spät in die Nacht.

Ingo Krampen war in Sachen Treuhand auch ein ‹Reisender›. An Wochenenden fuhr er mit Rolf Kerler, Albert Fink, Wilhelm Ernst Barkhoff, Gisela Reuther und anderen an verschiedene Orte in Deutschland, besuchte Zweige der Anthroposophischen Gesellschaft, Einrichtungen und Betriebe und warb für die Ziele der Treuhand und der sich gründenden GLS-Gemeinschaftsbank. Vor allem interessierte er sich für die zukunftsweisende Qualität des Schenkungsgeldes. – Was ist das Wesen des Schenkungsgeldes, was zieht Schenkungsgeld an?2

Welche Fähigkeiten hatte Ingo Krampen?

Ingo Krampen war Jurist mit Leib und Seele. Seine anwaltliche Tätigkeiten umfassten – neben den Fragen des Bankrechtes – vor allem das Recht der Freien Schulen, der Bildungseinrichtungen, der Vereine und der Gesellschaften, das Gemeinnützigkeitsrecht und das Familienrecht. Mehr und mehr rückten Mediationen in den Mittelpunkt seiner anwaltlichen Tätigkeit. Seine herausragenden Fähigkeiten als Mediator führten unzählige Menschen in Einrichtungen und Gemeinschaften aus Krisen und Konfliktsituationen. Seine erfolgreiche Tätigkeit als Mediator verdankte er seinem unvoreingenommenen, wertschätzenden und ausgleichenden Wesen. Er konnte Menschen in seiner Seele tragen, was nicht selten darin mündete, sie in Einrichtungen, in denen er Verantwortung trug, an die richtigen Stellen zu moderieren.

Er verstand seine juristische Tätigkeit als anthroposophischen Schulungsweg. So betitelte er eine seiner letzten Veröffentlichungen3 mit ‹Liebe deinen Nächsten als Dich selbst oder: Wie werde ich gemeinschaftsfähig?›. In dieser Veröffentlichung heißt es: «Wenn ich einen anderen Menschen liebe wie mich selbst, bleibt das abstrakt: Ja, ich gestehe ihm zu, dass er gleiche Rechte hat wie ich und dass er mit mir auf Augenhöhe ist. Aber der andere ist und bleibt jenseits der Grenze meines Ich, und ich bin innerhalb des Sperrbezirks meiner Individualität. Wenn ich den anderen Menschen dagegen liebe als mich selbst, dann ist er innerhalb des Bereichs meines Ich. Dadurch bekommt die Gemeinschaft – genauer gesagt: jede und jeder Einzelne aus der Gemeinschaft – eine ganz andere Wertigkeit als zuvor. Wir sind nicht mehr Könige oder Königinnen, die gegenüber allen anderen eine unbeschränkte Freiheit für sich beanspruchen, sondern wir lernen ‹Königskinder›4 zu sein, die trotz aller Katastrophen in Natur und Gesellschaft nicht ertrinken, wenn wir zueinanderkommen wollen. Wir lernen, jeder von uns, den anderen als Teil des eigenen Ich zu lieben und wertzuschätzen.»

All diese Fähigkeiten mündeten in jahrzehntelanger, aktiver Mitgliedschaft in der Sektion für Sozialwissenschaften am Goetheanum. Wie ein geistiges und soziales Vermächtnis erscheint die kurz vor seinem Erdenabschied erschienene Buchveröffentlichung ‹Recht-schaffend werden, Aufbruch zu einer Rechtskultur der Verantwortung und des Vertrauens›.5 Wie ein letztes Wort schildert er hier seinen «Traum vom Recht der Zukunft». Dieses letzte Wort wäre nicht von Ingo Krampen, wenn es nicht konkrete Techniken und praktische Methoden einer neuen Rechtsfindung enthalten würde. Mit diesem Buch legt er uns nahe, das Motto zu beherzigen, das er vorgelebt hat: Lernend arbeiten, arbeitend lernen.


Foto Ingo Krampen

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Footnotes

  1. Zitiert nach Ingo Krampen, Nachruf auf Wilhelm Ernst Barkhoff, Bankspiegel 147, November 1994, Beilage.
  2. Hierzu: Ingo Krampen und Axel Janitzki, Verantwortung und Vertrauen. Schenken, Stiften und Vererben als juristisches Neuland, in: Da hilft nur Schenken, Frankfurt 2011, S. 56 ff.
  3. Das Goetheanum, Wochenschrift für Anthroposophie, 50/2020.
  4. Diesen Ausdruck übernahm Ingo Krampen gerne von Gerald Häfner aus seinem Beitrag „Wir armen Königskinder“.
  5. Frankfurt a. M. 2024.

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