Was meinte man mit Engel?

Die ältere christliche Überlieferung sah den Menschen in zweifacher Weise mit der Welt verbunden. Als ‹Naturwesen› gehört der Mensch zu einer irdischen Welt, die er in seinem eigenen Lebensprozess in sich und als Natur außer sich erlebt.


Als ‹geistiges› Wesen gehört der Mensch einer himmlischen Welt an, die er – zumindest im Sinne des christlichen Mittelalters – außer sich in seiner Beziehung zum Engel, in sich selbst in seinem eigenen Denken erlebt. Im Denken besteht ein unmittelbarer Bezug zum Engel, denn dieses Denken ist zunächst nicht Gedankentätigkeit des menschlichen Individuums, sondern Teilhabe an der geistigen Wahrnehmung des Engels. Diese geistige Wahrnehmung des Engels hat wiederum zwei Richtungen: Der Engel nimmt sich selbst wahr und er nimmt die Welt wahr. Indem er eine (geistige) Welterkenntnis hervorbringt, entsteht in ihm zugleich eine geistige Wahrnehmung seiner selbst. Denn der Engel existiert in dem, was er erkennt, und was er erkennt, existiert in ihm. Mit anderen Worten: Der Engel ist der geistige Begriff der Wirklichkeit und ihrer Gegenstände.


Aus Wolf-Ulrich Klünker, Die Erwartung der Engel. Stuttgart 2010, S. 14. In: Andreas Neider (Hg.), Kinder brauchen Zeit – Erwachsene auch. Stuttgart 2016.

Foto Vladyslav Tobolenko

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