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Papyrus und Lotus als Schlüssel

Mit ‹Lotus und Papyrus – der Atem Ägyptens› hat Bruno Sandkühler eine Schrift vorgelegt, die hilft, die mannigfaltigen Phänomene dieser 5000 Jahre alten Kultur zu erschließen. Bruno Sandkühler bezieht die Polarität zwischen Oberägypten (Lotus) und Unterägypten (Papyrus) auf alle Kulturerscheinungen. Zum Erlebnis des Sonnenlaufes mit Geburt und Leben im Osten und Tod im Westen fügt sich so eine weitere Raumdimension. Bernhard Steiner besuchte ‹Dr. Bruno›, wie er am Nil genannt wird, am Fuß alter Gräber vor dem Tal der Könige.


Wie kam es dazu, dass Sie sich mit Ägyptologie beschäftigen?

Ich habe Romanistik und Kunstgeschichte studiert und bekam ein Stipendium, um in Santander Spanisch zu lernen. Dort las ich die Annonce: ‹Lernen sie 10 000 Wörter Arabisch› und begann mich mit der arabischen Kultur zu beschäftigen. Ein Freund vermittelte mir eine Reise nach Alexandria. So bin ich 1953 nach Ägypten aufgebrochen. Wir organisierten eigene Reisen und schickten Einladungen an Universitäten. Wir bekamen 400 Anfragen! Wir haben dann vier Jahre lang Reisen organisiert. Dabei traf ich die Familie Burges, deren Tochter Lissy dabei war, die ägyptischen Kunstwerke systematisch zu fotografieren. Sie fragten mich, ob ich mitmachen wolle; ich konnte schon einigermaßen Arabisch. Frank Teichmann war der Patensohn von Frau Burges und Lissy wurde später meine Frau, die aber leider schon 1964 mit 27 Jahren früh verstorben ist. Gemeinsam haben wir 20 000 Aufnahmen gemacht, von denen 5000 in einem Katalog zusammengefasst wurden, auf die dann die Museen zurückgreifen konnten. Jetzt sind sie digitalisiert verfügbar.

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Man sieht an jedem Tempel auf der einen Seite Lotus und auf der anderen Papyrus, und überall sieht man die rote und die weiße Krone.

Wie erschloss sich Ihnen die Polarität von Lotus und Papyrus?

Bei der fotografischen Bestandsaufnahme fiel mir auf, dass alle ägyptischen Monumente diese Gliederung haben, Ober- und Unterägypten, rote Krone und weiße Krone, es ist ein ‹offenbares Geheimnis›. Man sieht an jedem Tempel auf der einen Seite Lotus und auf der anderen Papyrus, und überall sieht man die rote und die weiße Krone. Auch die Trachea (Luftröhre) ist nicht bemerkt worden, obwohl das Hieroglyphenzeichen ‹Atem› heißt, das wusste jeder. Daher der Untertitel des Buches, ‹Der Atem Ägyptens›, das kann man wörtlich nehmen. Sie alle begleiten die Polarität, die dann im Jenseits unter den Göttern weitergeht, in dem grundsätzlichen Streit zwischen Horus und Seth. Sogar völkerkundlich geht es weiter, die nubischen Völker gehören zu Lotus und die syrischen und griechischen gehören zu Papyrus. In der Ägyptologie wird das reduziert auf ein historisches Geschehen, da gab es mal zwei Reiche – so vermutet man –, die wurden dann vereinigt. Da gibt es die Narmer-Palette, auf der das dokumentiert sein soll, aber es ist keinem aufgefallen, dass auf der Narmer-Palette der eine König auf der einen Seite sich selbst bekämpft, auf der Rückseite ist es umgekehrt. Da hätte man stutzig werden können. Wenn es zwei Reiche sind, dann müssten es eigentlich zwei verschiedene Könige sein? Warum ist einmal derselbe König sein eigener Widersacher?


Bernhard Steiner und Bruno Sandkühler

Bernhard Steiner und Bruno Sandkühler

Mit Anthroposophie lässt sich die Sache erschließen?

In einem Mythos bringt der Seth seinen Bruder Osiris um, es wird erklärt als ein Kampf um die Macht, doch dann sucht Isis den Leichnam des Osiris, das ist sonderbar, und empfängt von diesem ‹toten› Osiris Horus. Dann gibt es Bilder, auf denen Horus bei dieser Empfängnis dabei ist. Bei seiner eigenen Empfängnis steht er daneben mit einer segnenden Gebärde. Dann bekämpft Horus Seth, den Mörder seines Vaters, nach normalen Verwandtschaftsverhältnissen bekämpft er seinen Onkel, denn Seth ist ja der Bruder des Osiris. Es gibt aber Abbildungen, da ist ein Körper mit dem Kopf des Seth und dem Kopf des Horus. Er kann doch nicht mit seinem Onkel in einem Körper wohnen. Dann gibt es in den Texten Hinweise, das Thoth, die kosmische Intelligenz, der Ibisköpfige, die beiden getrennt hätte. Auch Rudolf Steiner merkt an, dass sie zuerst vereint gewesen wären, und mit dieser Trennung ist der Kampf möglich zwischen den beiden, aber auch dieses Zusammenwirken. Mit dieser Trennung ist überhaupt erst das menschliche Atmen möglich. Demnach ist Seth das Einatmen und Horus das Ausatmen, Seth wird zur Vergangenheit und Horus zur Zukunft, wenn sie zusammenwirken entsteht die Gegenwart. Da beginnt alles einen höheren Bezug zu bekommen!

Weist dies auf einen anderen Bewusstseinszustand hin?

Was ein hoher Priester an Bewusstsein hatte, war ein ganz anderes als jenes vom Rest der Bevölkerung. Da gibt es diesen Ausdruck ‹ma’acheru›, das übersetzt man mit ‹wahr an Stimme›, also ‹der weiß, wie die Wahrheit ist›, das kommt dem am nächsten, was ein Eingeweihter ist. Ein allgemeines Bildbewusstsein war bestimmt da. Sie konnten eben Dinge nicht nur bildlich erkennen, sondern auch religiöse Wahrheiten in Bildern ausdrücken, wie zum Beispiel, dass das Herz nach dem Tod nicht schwerer sein darf als eine Feder.

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