Kreislauf des Schenkens

Ein Kunstwerk entsteht als Geschenk produktiver geistig-kultureller Tätigkeit. Überschusskapital entsteht als Geschenk produktiver wirtschaftlicher Tätigkeit. Beide sind Produkte willentlicher Tätigkeit, angewandter Absicht. Beide markieren eine Befreiung des menschlichen Bewusstseins – etwas wurde von der Materie gelöst, um als Geist in der Welt zu wirken. Was wir mit diesem ‹materiellen Gefäß› freier Handlung – dem Kunstobjekt oder der roten Zahl – tun, wie wir teilhaben lassen und zu welchem Zweck, ist eine ganz andere Frage. Überschusskapital, das in die Kulturwirtschaft zurückfließt, wird zu einem transformierten Geschenk. Es befreit Zeit und Willensaktivität. Was wir an einem Kunstwerk erleben, begleitet uns, während das Objekt an seinem Platz bleibt. Der materielle Wert des Objekts ist üblicherweise eine Frage des wirtschaftlichen Marktes. Der spirituelle und kulturelle Wert bewegt sich außerhalb von Raum und Zeit.

Wenn ich eine Saite meiner Gitarre zupfe, wird ein Klangton aus der Materie in den Geist befreit. Er wird von unseren Sinnen wahrgenommen. Unsere Sinne materialisieren den Klang wieder, bis er nicht mehr sinnlich wahrnehmbar ist. Der Klangton selbst setzt sich über das Hören hinaus in die Sphärenmusik fort. Ein Klangton ist ein Träger reiner Freiheit, die in Raum und Zeit unser sich entwickelndes Selbst formt. Die fruchtbare Willensabsicht, die beim Gitarrespielen durch meine Finger ging, durchdringt die moralische oder karmische Atmosphäre, aus der Geist zur Materie zurückkehren wird. Diese Umwandlung vom Physischen zum Erhabenen und die Rückkehr des Erhabenen zum Physischen repräsentiert unsere Teilhabe am großen Kreislauf des Schenkens.


Bild ‹Tugenden›, Laura Summer, 2025: Waage (Lethargie – Unzufriedenheit, Zufriedenheit > Gelassenheit)

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