In Resonanz zusammenleben

Zum 100-jährigen Jubiläum des Heilpädagogischen Kurses von Rudolf Steiner wird im Oktober 2024 eine zwölfte Sektion gegründet: Die Sektion für Heilpädagogik und inklusive soziale Entwicklung. Jan Göschel tritt als neuer Sektionsleiter in die Goetheanumleitung ein. Das Gespräch führte Franka Henn.


Was bedeutet für dich inklusive soziale Entwicklung?

Jan Göschel Das Hauptwort ist ‹Entwicklung›, das ‹inklusive› beschreibt ihre Qualität. Das ist ursprünglich abgeleitet von unserem englischen Namen (Section for Inclusive Social Development). Er steht für unser gesamtes internationales Berufsfeld mit seinen nicht einheitlichen Berufsbezeichnungen und den pädagogischen, therapeutischen oder sozialen Aufgabenbereichen. Wir tragen den Titel seit 2018 und haben ihn zuvor in einem breiten Austauschprozess mit unserem internationalen Feld erarbeitet. So hieß unser Organ bisher: Anthroposophic Council for Inclusive Social Development. Auf Deutsch ist die Nuance etwas anders. Da entstand der Begriff ‹inklusive Sozialgestaltung›. Damit wird unsere gemeinsame Intention ausgedrückt. ‹Inklusiv› bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich jeder Mensch mit seiner Biografie im gemeinsamen sozialen Raum wiederfinden und daran teilhaben kann. Jeder Mensch ist eingeladen, den Sozialraum mitzugestalten.

Wenn ich das vertiefe, komme ich auf die kleinste soziale Einheit, die es gibt: Ich und Du. Rudolf Steiner hat sie als Resonanzphänomen beschrieben. Er nutzte nicht diesen Begriff, aber mit heutigen Worten können wir von ‹Resonanz› sprechen. Im ‹Heilpädagogischen Kurs› spielt dieses kleinste soziale Phänomen zwischen Ich und Du eine so grundlegende Rolle, dass Steiner alles Pädagogische, alles therapeutische Handeln aus dieser Warte betrachtet. Es kommt mehr darauf an, wer ich als Erzieherin oder als Pädagoge bin, als auf die Methodik; das Wichtigste und Grundlegendste ist das, was zwischen Menschen passiert. Davon ausgehend beschäftigt sich unser gesamtes Lebensfeld damit, wie wir aus diesem Beziehungsbewusstsein sozial gestalten können und wie wir resonante Beziehungen zwischen Ich und Du schaffen.

Ist die Resonanzbeziehung das, was die von euch gewählten Qualitätswörter ‹heil›, also heilpädagogisch, ‹inklusiv› und ‹sozial› verbindet?

Es ist die Verbindung und das Fundament. Alles, was spezifisch technisch und methodisch ist, um Prozesse zu gestalten, Gemeinschaft zu bilden, ist nicht unwichtig, aber es kann seine Rolle nur richtig spielen, wenn die Resonanzebene als Gefäß oder Kontext etabliert ist.

Läuft dieser Fokus auf die Ich-Du-Beziehung nicht der heutigen Entwicklung in Pädagogik und Therapie zuwider? Mir scheint, das persönliche Verhältnis steht unter dem Verdacht, negative Auswirkungen zu haben aufgrund der Fehlbarkeit aller Menschen. Wie geht ihr damit um?

Ich glaube, das geht an den Kern dessen, was der anthroposophische Ansatz in inklusiver sozialer Entwicklung ist. Es gibt eine Tendenz, die relativ stark durch die angloamerikanische wissenschaftliche Kultur geprägt wird und auf den Behaviorismus zurückgeht. Das führt zur Idee einer ‹teacher-proof education› – einer Pädagogik, die so aufgebaut ist, dass die Lehrperson nichts mehr falsch machen kann. Die Lehrperson ist nur ausführendes Organ in einem Rezept. Es ist ein sehr technologisch-technokratischer Ansatz. Es gibt darin aber eine berechtigte Frage, denn Menschen machen viele Fehler und vor allem wenn ein Machtgefälle vorhanden ist, was uns heute immer bewusster wird, müssen wir uns damit auseinandersetzen. Aber die Tendenz, als Antwort auf diese Problematik den Menschen als Faktor ganz rauszunehmen und alles zu technisieren, ist nicht die Lösung. Es gibt viel Forschung, die zeigt, dass hochtechnokratische Systeme in der Pflege, in der Therapie, in der Pädagogik, die diese enge Kontrolle verankern, ein Klima schaffen, in dem das Risiko für Missbrauch höher ist. Die anthroposophische Ausrichtung geht – wie andere humanistische Ansätze – in die entgegengesetzte Richtung: Es wird nur gut, wenn der Mensch ganz drinnen ist, und zwar noch mehr drin als im Alltagsleben, mit vollem Bewusstsein und ganzer Präsenz. Man kann Fehler nicht ganz ausschließen, aber wir können uns selbst entwickeln und wir können professionelle Kontexte bauen, in denen wir uns gegenseitig spiegeln. Durch die Reflexionspraxis im Team kommt das Korrektiv rein, nur Selbstentwicklung reicht nicht. Eine Hauptfrage für uns ist, wie wir diese sozialen Arbeitsformen ergreifen und gestalten können. Eine zweite wesentliche Frage für unser Arbeitsfeld ist, wie man eine interessierte, aber gleichzeitig objektive Beziehung zum anderen Menschen entwickelt, also tief verbunden und mit Grenzen. Das ist eine Fähigkeit, die man lernen kann, aber es verlangt Selbstentwicklung und eine gemeinsam gelebte Entwicklungskultur.

Auf der anderen Seite möchte ich hervorheben, dass es auch einen Trend gibt, an den wir mit unseren Grundsätzen viel besser gesellschaftlich anschließen können als vor 100 Jahren. Zum Beispiel die Arbeit von Hartmut Rosa, der den Resonanz-begriff als Phänomen zwischen Ich und Du beschreibt. Oder wie Empathie im phänomenologischen Kontext heute besprochen wird. Es gibt auch Anknüpfungspunkte im Zusammenhang mit ‹Embodiment› und ‹Embodied Resonance›. Da haben wir heute viel mehr Möglichkeiten, außerhalb des anthroposophischen Zusammenhangs ins Gespräch zu kommen.

Leitungsteam der neuen Sektion für Heilpädagogik und inklusive soziale Entwicklung. Von Links: Jan Göschel, Sonja Zausch, Bart Vanmechelen. Foto: Xue Li

Worin lag in dem Kontext bisher die Aufgabe des Councils?

Der Auftrag der Hochschule ist Forschung. Die Arbeit findet natürlich in der Praxis, in unserem Netzwerk statt. Was wir anbieten können dadurch, dass wir aus der Praxis herausgehoben sind, aber mit dem Praxisfeld in vielerlei Verbindung stehen, ist ein Reflexionsraum, in dem Konzepte, Begriffe und eine Sprache für die Phänomene entwickelt werden. Ein Ort, an dem Probleme und Gelingensbedingungen besprochen werden. Ich empfinde es als ein riesiges Privileg, dass ich in verschiedenen Kontexten so viel wahrnehmen darf. Manchmal gibt mir das die Möglichkeit, das Wesentliche klarer zu sehen und dass wir als halb Außenstehende die Spiegelungsprozesse vor Ort unterstützen.

Wo warst du 2023 überall unterwegs?

Im Januar war ich in Indien auf einer Tagung des indischen Verbandes und in einigen Einrichtungen in Chennai und Bangalore. Dann war ich in Ruanda, wo ich den Aufbau einer Camphill-inspirierten Initiative begleite. Später war ich auf einer lateinamerikanischen Tagung in Chile und als Leitungsteam waren wir in den USA auf einer Tour und haben den amerikanischen Verband getroffen. Im Herbst ging es dann noch nach Sekem in Ägypten. Geplant wäre ich auch in Neuseeland gewesen, aber das wurde auf Juli 2024 verschoben.

Einmal um die ganze Welt. Was ist das Wesentliche, das du beobachtest?

Vor allem ist die Vielfalt wesentlich. Es gibt nicht eine richtige Sache, die überall passt. Wir brauchen eine Landschaft von unterschiedlichen Angeboten für eine inklusive Sozialgestaltung. Dann ist ein zentrales Thema der Gegensatz von sehr etablierten Organisationen, unter anderem in Deutschland und der Schweiz, und den Pionierinitiativen rund um die Welt. In Bezug auf die eigene Identität gibt es darin eine Spannung. Da, wo es strukturell stabil ist, ist mehr Schwerfälligkeit, und die Beziehung zum eigenen Daseinsgrund ist manchmal fast verschwunden; es wird eher eine Tradition erhalten. Wohingegen die Pionierinitiativen in ihrem Enthusiasmus oft vor Idealen übersprudeln, aber sie haben wenig Ressourcen. Für uns ist die Frage: Wie verknüpfen wir die beiden Entwicklungsstadien in der Bewegung miteinander so, dass die etablierten Zusammenhänge ein bisschen von dem Pioniergeist und die neuen Orte von Ressourcen und Stabilität profitieren? Einen Austausch und Partnerschaften zu bauen, ist ein Bild, das bei mir immer sehr stark lebt.

Jan Göschel mit Emmanuel und Apolline in der Camphill-Initiative des Ubumwe Community Center in Mwogo, Ruanda. Foto: Privat

Euer Arbeitsfeld hat einen Lernüberschuss in Sachen Empathie, Resonanz, Teilhabe, von dem die anderen Lebensfelder profitieren könnten, oder?

Das ist die Hoffnung. Es gibt einige Texte von Steiner, in denen er ein Bild entwirft für die sechste Kulturepoche und die Keime der Zukunft, die heute schon präsent sind. Diese Keime sind noch nicht entwickelt, aber wir können sie pflegen. Er spricht dabei über drei Qualitäten. Zum einen über Empathie, die Fähigkeit, all das, wie die andere Person die Welt erlebt, auch ihr Leiden und ihre Bedürfnisse, so wahrzunehmen, dass ich sie nicht mehr ignorieren kann. Die zweite Qualität ist die bedingungslose Freiheit des Innenlebens des anderen Menschen, der unbedingte Respekt vor der Unverletzlichkeit des Innenlebens. Und das Dritte ist schwieriger zu verstehen: Steiner spricht von Wissenschaft des Geistes oder Pneumatologie, was eigentlich ein theologischer Begriff mit Bezug auf das Pfingsterlebnis ist. Warum ist Geisteswissenschaft für Steiner ein zentrales, qualitatives Element einer Gemeinschaft der Zukunft? Im Moment verstehe ich es so: Es geht darum, zu einer Form des Erkennens zu kommen, nicht zu Erkenntnissen, aber zu einem Erkenntnisweg, der es erlaubt, aus verschiedenen Perspektiven zum Wesentlichen zu kommen, sodass wir uns darin treffen und verstehen können. Das ist das Pfingstliche daran. Ich behaupte, dass diese drei Qualitäten abbilden, was wir mit inklusiver Sozialgestaltung meinen; in aller Bescheidenheit an diesen Keimen einer möglichen Gemeinschaft zu arbeiten, ist unsere Aufgabe. Das kann als ‹inklusiv› in dem Sinne bezeichnet werden, dass es freilassend ist, Diversität abbildet und Gemeinschaftlichkeit ermöglicht.

Inklusion, Teilhabe und Begegnung auf Augenhöhe sind anspruchsvoll zu verwirklichen. Es ist ein Paradigmenwechsel, der dazu aufruft, uns selbst zu hinterfragen und zu verstehen, dass unsere Empathie Lücken hat. Im pädagogischen Alltag gibt es Situationen, die sich kaum bewältigen lassen. Was machen wir mit dieser Überforderung?

Schwierig wird es immer, wenn ich Ideale, die für mich wichtig geworden sind, als Forderung an andere stelle. Wenn jetzt eine Lehrperson damit überfordert ist, dass sie auf einmal Kinder mit ganz verschiedenen Bedürfnissen in der Klasse integrieren muss, und deshalb das Konzept Inklusion in der Schule ablehnt, gibt es zwei Reaktionen. Mit Unverständnis kann man sagen: ‹Inklusion ist jetzt einfach dran, das müssen wir jetzt machen.› Oder man schaut neben den Idealen auch auf die Umsetzung. Wenn eine politische Entscheidung getroffen wird, die an irgendjemanden einen Auftrag gibt – zum Beispiel, dass alle Schulen inklusiv werden –, aber die Ressourcen dafür nicht zur Verfügung stellt, dann wird die gesellschaftliche Verantwortung auf Einzelne abgeladen. Es ist wichtig, diese Überforderung wahrzunehmen. Was wäre eine Art und Weise, diese Ideale zu ergreifen, die uns wirklich vorwärtsbringt, ohne dass es spaltend wird? Aus der anthroposophischen Perspektive gehört dazu auch die Frage nach den inneren Qualitäten. Es gibt ein instinktives Gefühl dafür, wo wir als Gesellschaft hinwollen, aber das ist oft nicht bewusst gegriffen und wir haben die Tendenz, nur strukturell darüber zu denken. Zwar müssen wir auch strukturell denken, aber wenn es nur das ist, wird es programmatisch und problematisch. Ohne die inneren Qualitäten, ohne einen Bewusstseinswandel geht die ganze Entwicklung nicht weiter und dazu können wir aus der anthroposophischen Perspektive aktiv beitragen.

Du warst nach der Schule ein Jahr als Freiwilliger in einer Gemeinschaft in den USA. Was hat dich dahin geführt?

Ich bin in Deutschland, in der Umgebung von München, aufgewachsen. Nach dem Abitur machte ich ein Jahr Freiwilligendienst im Camphill Village Minnesota. Nach diesem Jahr habe ich Psychologie an der Universität Edinburgh studiert. Was mich gereizt oder auch als Fragestellung angezogen hat, war: Wie kann man aus dem Zwischenmenschlichen heraus, aus der Beziehung von Mensch zu Mensch, heilend wirken? Ich hätte es damals nicht so formuliert. Ich spürte: Das ist das, was von all dem, was die Welt braucht, mit mir zu tun hat. Ein Psychologiestudium schien dafür richtig. Als ich in dieser Camphill-Gemeinschaft im Mittleren Westen sehr landwirtschaftlich orientiert mit erwachsenen Menschen mit Assistenzbedarf arbeitete, erlebte ich ein Jahr lang sehr stark Gemeinschaft. Da war etwas in der Art des Zusammenlebens, der Zusammenarbeit und auch in der Möglichkeit, viel mit meinen Händen zu arbeiten. Ich habe mich immer schon für spirituelle Fragen interessiert, auch als Jugendlicher, und dort hatte ich Gespräche mit Menschen über Anthroposophie. Manches von dem, was mir da über Anthroposophie erzählt wurde, sprach mich sehr an und manches auch gar nicht oder löste bei mir sehr viele Fragen aus. Als ich Psychologie studierte, parallel im Nebenfach Systematische Theologie und Philosophische Theologie, habe ich gemerkt, dass die wirklich wichtigen Fragen über den Menschen mehr Platz in Philosophie und Theologie hatten als in der wissenschaftlichen Psychologie.

Zu dieser Zeit fing ich an, mich mit Anthroposophie zu beschäftigen, und ich habe dann in Edinburgh auch die Waldorflehrerausbildung gemacht, neben dem Studium, um einen Kontext zu haben, mich mit Anthroposophie zu beschäftigen. Ich habe immer die Beziehung zu den Menschen in der Camphill-Bewegung in den USA aufrechterhalten. Das hat mich nach dem Studium wieder dahin zurückgebracht. Ich wurde danach Lehrer an einer heilpädagogischen Schule in Beaver Run, einer Camphill-Gemeinschaft in Pennsylvania.

Jan Göschel mit dem Kunsttherapeuten Anupan Pluckpankhajee in Thailand, 2010. Foto: Privat

Wo du bis heute hauptsächlich lebst …

Ja, ich bin dort seit 25 Jahren zu Hause. Heute habe ich dort keine beruflichen Aufgaben. Ich bin noch im Vorstand und in ein paar Gremien, aber meine Arbeit ist mittlerweile in Dornach. Ich wohne in Pennsylvania und mein Büro ist in Dornach.

Wie kamst du nach Dornach?

Nachdem meine Hauptaufgabe als Lehrer an der Schule in Beaver Run beendet war, wurde ich im Ausbildungszusammenhang tätig. Ich gründete die Camphill Academy mit, was die Ausbildungsträgerorganisation für Camphill in Nordamerika ist, und leitete sie dann. Dadurch bin ich sehr stark in der internationalen Zusammenarbeit tätig geworden. Es gibt den internationalen Ausbildungskreis, der ein Organ des Anthroposophic Council for Inclusive Social Development und ab Herbst der neuen Sektion ist. Den Council, der bis 2016 als Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie von Rüdiger Grimm geleitet wurde, leiten wir heute gemeinsam als Team: Sonja Zausch, Bart Vanmechelen und ich. Wenn daraus die Sektion für Heilpädagogik und inklusive soziale Entwicklung wird, werden wir auch als Leitungsteam weitermachen.

Jan Göschel in Yilan, Taiwan, 2008, in einer inklusiven Waldorfschule. Foto: Privat

So sieht dein Weg von außen aus. Welchen Kerngedanken hast du im Laufe der Zeit herauskristallisiert?

Als ich angefangen habe, mich mit dem ‹Heilpädagogischen Kurs› zu beschäftigen, beschäftigte mich, wie Steiner die Resonanz zwischen Ich und Du und die Frage der Leiblichkeit – dass der Leib zentral ist – behandelt. In anthroposophischen Kontexten wird ab und an gesagt: Wir inkarnieren uns in unseren Leib. Aber das stimmt nicht. Wir inkarnieren uns durch unseren Leib in der Welt! Wenn wir uns nur in unseren Leib inkarnieren und nicht durch den Leib mit der Welt in Resonanz treten, bleiben wir in uns stecken. Es geht darum, wie wir durch den Leib so in die Welt kommen, dass unser Leib ein Resonanzinstrument für alles wird, was uns in der Welt begegnet. Steiner spricht darüber sehr konkret. Mein Leib schenkt mir diese Verbindungsfähigkeit und wenn der Inkarnationsprozess gelingt, dann lebt das Ich überall dort, wo die Aufmerksamkeit ist, und nicht irgendwo in mir. Heute könnte man das mit ‹Embodiment› als Praxis verbinden. Darin liegt für mich der Schlüssel zur Frage, wie wir Menschen in der Beziehung zum anderen Menschen heilend wirken können. Das ist das, was mich angetrieben und getragen hat und immer noch trägt, auch wenn ich mich verändert habe. Ich glaube, das ist für mich ein roter Faden, der mich auf diesen Weg gebracht hat und stark mit diesem Lebensfeld verbindet.

Das klingt alles wunderbar. Was war deine persönlich größte Herausforderung? Wann ist Jan auf Jan gestoßen?

Entscheidend war die direkte, tägliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Assistenzbedarf. Wir lebten ‹ganz altmodisch› zusammen in Hausgemeinschaften und ich war als Lehrer in der heilpädagogischen Schule vor allem mit Jugendlichen tätig, deren Verhalten zum Teil sehr herausfordernd war oder die sehr komplexe Behinderungen hatten. Sie forderten von mir, aus dem Kopf raus in den Willen und in die Tat zu kommen. Meine Tendenz ist eben eher akademisch oder ich war immer jemand, der sehr viel reflektiert und gelesen hat usw. Ich musste lernen, meine Gedanken in die Praxis zu bringen. Das war auch eine schwierige Erfahrung. Zum Glück hatte ich Kolleginnen und Kollegen, um mich zu spiegeln. Es ist wahnsinnig wichtig, dass man den Raum dafür schafft und auch die Schattenseiten besprechbar und bearbeitbar werden. Wenn man diesen Raum gibt, kann ein Wandlungsprozess beginnen. Das habe ich sehr, sehr stark erlebt.

Magst du erzählen, wie man in den Willen kommt oder was dich weitergebracht hat?

Dadurch, dass man es muss. Zum einen, als ich in Minnesota war, habe ich selber viel mit meinen Händen gearbeitet. Das war für mich schon therapeutisch. Ich konnte mich dadurch mit Elementen und Aspekten der Welt verbinden, mit denen ich nicht ganz so verbunden war. Bei der Arbeit im Garten oder in der Holzwerkstatt zeigt dir der Garten oder das Material, ob dein Tun gelungen ist oder nicht. Wenn es gelingen soll, gibt es objektive Anforderungen, denen man genügen muss. Aber auch als Lehrer vor einer Klasse mit Kindern, die alle ihre verschiedenen Situationen mitbringen, musst du ganz präsent, ganz da sein in deiner eigenen Leiblichkeit. Du musst in deiner Bewegung, Gestik, Ansprache so da sein, dass du den Kindern die Möglichkeit gibst, sich mit dir zu verbinden. Du musst ganz plastisch werden. Deine Aufmerksamkeit muss voll anwesend sein und deine Gedanken müssen sein, was du bist. Und wenn es nicht so ist, bekommst du unmittelbares Feedback.

Was wollt ihr als zwölfte Sektion am Goetheanum einbringen?

Ganz konkret: Wie können wir inklusive soziale Entwicklung oder inklusive Sozialgestaltung stärken? Zum Beispiel, indem Menschen mit Assistenzbedarf als Selbstvertreterinnen und -vertreter eine Plattform in unserem interdisziplinären Kontext finden. Bisher ist es stark auf die Professionellen fokussiert, aber Selbstvertreterinnen und -vertreter sind auch Profis, die zur Gestaltung des Arbeitsfeldes beitragen. Auch eine Sensibilisierung für Diversitäts- und Inklusionsfragen im größeren Kontext und im Zusammenhang mit den drei genannten Qualitäten für eine soziale Kultur geht uns an. Für diese Fragen könnten wir nicht nur individuell, sondern als großes anthroposophisches Arbeitsfeld ein Gefäß und einen Fokus bilden.

Du wirst als Leiter dieser Sektion mit einem Bein im Goetheanum und mit dem anderen in deinem Zuhause in den USA beziehungsweise in der Welt stehen. Was bringst du dadurch persönlich ein?

Ich bin froh darüber, mit dem Council und dann der Sektion netzwerkend tätig zu sein und an einem konkreten Ort der Bewegung zu leben. Auch bin ich froh, als Erwachsener den nordamerikanischen Pragmatismus erlebt zu haben und als junger Mensch das Reflektieren und Philosophieren in Mitteleuropa. Ich hoffe, ich kann beide Seiten miteinander verbinden, denn mittlerweile bin ich in beiden Welten zu Hause.

Was ist deine größte Inspiration dafür?

Das ist immer die Begegnung mit interessanten Menschen.

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