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Gibt es eine anthroposophische Kunst?

Angesichts der Vielfalt des künstlerischen Schaffens, das von Menschen hervorgebracht wurde, die sich von der Anthroposophie inspirieren ließen, wird die Frage berechtigt: Ist der Begriff ‹anthroposophische Kunst› tauglich? Stephan Stockmar vertieft das Thema im Hinblick auf eine Anthroposophie, die ihre universelle Dimension nicht preisgibt.


Anthroposophische Kunst?

Abstrakte Kunst, angewandte Kunst, christliche Kunst, anthroposophische Kunst, Kunst des Blauen Reiters, russische Kunst, spirituelle Kunst, weibliche Kunst, sakrale Kunst … Worum geht es bei diesen Kategorisierungen? Um die Frage nach formalen Übereinstimmungen oder um die Erfüllung einer bestimmten Funktion? Ist die Holzplastik Rudolf Steiners christliche Kunst? Wo wäre der Russe Alexej Jawlensky einzuordnen, zu dem Rudolf Steiner gesagt haben soll, er brauche die Anthroposophie nicht, da er ja seine Kunst habe? Was verbindet formal so verschiedene Künstler wie Wassily Kandinsky und August Macke, Henni Geck und Joseph Beuys oder Ilja Repin und Kasimir Malewitsch miteinander? Sind nicht Nicholas Roerich und Paul Klee ebenso spirituelle Kunstschaffende wie Ninetta Sombart und Niki de Saint Phalle? In welche Rubrik(en) wäre die Kandinsky-Schülerin Maria Strakosch-Giesler einzuordnen? Hat Franz Marc, der «Symbole» schaffen wollte, «die auf die Altäre der kommenden geistigen Religion gehören», sakrale Kunst geschaffen? Wie weiblich ist die Malerei der Russin Margarita Woloschin? Ist die Ausarbeitung einer Schulungsskizze von Steiner anthroposophische Kunst?

Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie schwierig im Einzelfall die Zuordnung sein kann – und zwar nicht nur, weil die Kategorien keinen einheitlichen Kriterien folgen und sich insofern nicht ausschließen. Anthroposophische Kunst kann christlich sein, abstrakt, aus dem Umkreis des Blauen Reiters stammen oder von einer Künstlerin aus Russland, die auch Altarbilder geschaffen hat. Sie sollte auf alle Fälle spirituell sein, erscheint aber gelegentlich auch nur epigonenhaft banal. Die einzelnen Begriffe selbst sind kaum zu fassen oder einzugrenzen: Wo beginnt und wo endet beispielsweise angewandte oder christliche Kunst? Was versteht man unter Spiritualität? Welche Rolle spielen die ethnische Herkunft oder das Geschlecht für das Erschaffen eines Kunstwerkes? Gibt es eine verbindliche anthroposophische Methode auf dem Gebiet der Kunst?

Es ist durchaus sinnvoll zu fragen, ob in den Werken von aus Russland stammenden Künstlerinnen und Künstlern etwas spezifisch Russisches zum Ausdruck kommt, so verschiedenartig sie auch sind – selbst wenn sie zur gleichen Zeit gelebt haben. Oder wie sich die weibliche Hand in der Kunst zeigt. Ich kann mit Gewinn das Spektrum angewandter Kunst vom Jugendstil über Rudolf Steiner bis hin zu Max Bill und Walter Roggenkamp aufzeigen, das Sakrale in Malewitschs Werken verfolgen oder der Anthroposophin Hilma af Klint abstrakte Malerei vor Kandinsky zusprechen.

Solche vergleichenden Betrachtungen sind in bewusstseinsgeschichtlicher Hinsicht von großem Interesse. Ebenso kann ich untersuchen, was das Spezifische an Steiners künstlerischem Werk ist oder wie sich die Beschäftigung mit der Anthroposophie bzw. mit dem künstlerischen Ansatz Rudolf Steiners sowohl vom ‹Gegenstand› her als auch in seiner Behandlung in den Werken von Künstlerinnen und Künstlern niederschlägt. Doch komme ich auf diesem Wege zu einem Alleinstellungsmerkmal anthroposophischer Kunst?

Wenn ich von ‹anthroposophischer Kunst› spreche, im gleichen Sinne wie von abstrakter, christlicher oder buddhistischer Kunst (1), so muss ich zwangsläufig eine Einschränkung in Kauf nehmen.

Der Begriff ‹abstrakte Kunst› ist von Beginn an umstritten. Ausgerechnet Kandinsky und Malewitsch gelten als Wegbereiter ‹konkreter Kunst›. Von Letzterem stammt die Aussage: «Die neue Kunst hat den Grundsatz in den Vordergrund gestellt, dass Kunst nur sich selbst zum Inhalt haben kann. So finden wir denn in ihr nicht die Idee von irgendetwas, sondern nur die Idee von der Kunst selbst, von ihrem Selbstinhalt. Die ureigene Idee der Kunst ist die Gegenstandslosigkeit.» ( 2)

Links: Emil Schweigler, ohne Titel, 1969, Aquarell, Papier; rechts: Günter Meier, ohne Titel, undatiert, Lithographie

Was heißt hier konkret, was gegenstandslos? Ging es Vincent van Gogh wirklich um den Gegenstand des gelben Stuhls? Sind Luzifer und Ahriman Gegenstände? Worum geht es in Werken christlichen Inhalts? Sind sie ausschließlich für den kultischen Zusammenhang geschaffen? Wenn ja, was unterscheidet sie von angewandter Kunst? Wenn ein christlicher Mönch, der zugleich Zenmeister ist, Mandalas malt, handelt es sich dann um christliche oder um buddhistische Kunst?

Wenn man auf die Unterschiedlichkeit der Werke schaut, die unmittelbar von der Anthroposophie inspiriert wurden und werden, so lässt sich kaum von einem einheitlichen Stil sprechen, jedenfalls nicht im gebräuchlichen Sinne. Und wenn man ihren Willen zur Geistrealität als Stil bezeichnen möchte: Wieso sollte dieser nicht auch auf Künstler wie Paul Klee, Alberto Giacometti oder Barnett Newman zutreffen, für die Anthroposophie, soweit sie ihr überhaupt begegnet sind, sicherlich nur ein Kulturphänomen unter vielen war? Umgekehrt hat Walter Besteher mit Klee vermutlich mehr gemein als mit Hermann Linde …

Peer de Smit bringt die Problematik des Begriffes ‹anthroposophische Kunst› noch in anderer Hinsicht auf den Punkt: «Es ist kaum gerechtfertigt, Jawlensky als anthroposophischen Künstler zu bezeichnen, weil sich kaum darstellen ließe, inwiefern anthroposophische Motive und Anregungen in seine Arbeit eingegangen sind […]. Andererseits sind seine Werke als spirituelle Erfahrungsräume möglicherweise anthroposophischer als manches Werk, das sich wie die Ausarbeitung einer Steiner’schen Malskizze ausnimmt.» (3)

Was also bleibt, um einen Begriff wie ‹anthroposophische Kunst› sinnvoll zu füllen? Die Inhalte der Anthroposophie? Dann wäre sie nicht gegenstandslos im Sinne von Kandinsky. Und mit bekenntnishafter Weltanschauungskunst hatte Rudolf Steiner nun wirklich nichts am Hut. Wenn die Anthroposophie wirklich universell sein will, ist es wenig hilfreich, sie mittels einer beschränkenden Begrifflichkeit durch Abgrenzung zu behaupten. Letzteres führt zwangsläufig ins Sektierertum.

In zwei Richtungen

Das Thema Kunst und Anthroposophie ist komplex und lässt sich nicht auf eine griffige Formel bringen. Wie auch andere Themen, geht Steiner es von immer verschiedenen Seiten aus an. Und selbst sein eigenes Kunstschaffen ist nicht ohne Weiteres über einen Kamm zu scheren.

Während Steiner in seinem Autoreferat ‹Goethe als Vater einer neuen Ästhetik› aus dem Jahr 1884 das Schöne ausdrücklich nicht als die «Idee in Form der sinnlichen Erscheinung», sondern als eine «sinnliche Erscheinung in Form einer Idee» charakterisiert und damit eine von unten aufsteigende Richtung andeutet, kann man im Zusammenhang mit der Gestaltung des Ersten Goetheanum auch eine umgekehrte Richtung ausmachen: «[…] wenn Kunst entstehen soll, dann wird nicht, wie es in der sonstigen Kunst geschieht, wie es in der Kunst bisher geschehen ist, das Sinnliche hinaufgeführt, bis man ihm den Glanz des Geistigen geben kann, sondern es wird das Geistige hinuntergeführt in das Materielle.» (5) Hier steht für ihn offenbar die Richtung von oben nach unten im Vordergrund.

Dem gegenüber scheint das aus Beton zu erbauende zweite Goetheanum wieder mehr dem 1888 formulierten Prinzip zu folgen, wenn Steiner 1924 schreibt: «Der alte Bau konnte in der Weichheit des Holzes aus dem Geiste anthroposophischer Anschauung dem Raume, in dem gearbeitet wurde, in allen Einzelheiten seine Gestaltung geben; beim Beton mussten Formen gesucht werden, in denen der Raum aus seiner [des Betons] Natur heraus die Bildungen entfaltet, die die anthroposophische Arbeit aufnehmen können.» (6) Auch andernorts betont er, dass es nun darum geht, einen «dem Betonmaterial gemäßen modernen Stil zu finden».(7) Dem entspricht auch, dass Steiner beim zweiten Bau – nach der Weihnachtstagung nun selbst erster Vorsitzender der Anthroposophischen Gesellschaft – offenbar stärker seinen eigenen Intentionen folgte, während beim ersten Bau der «Wille der Persönlichkeiten, die sich für den Bau einsetzten», maßgeblich dafür war, «diese Stätte aus Holz aufzuführen». (8)

Rudolf Steiner zeigt also als Kunstschaffender eine außerordentliche Beweglichkeit im Hinblick auf die Richtungen, aus denen heraus er gestaltet. Im Umgang mit dem weichen und somit aufnahmebereiten Holz steht das Herunterführen aus dem Geistigen im Vordergrund, während der viel irdischere spröde Beton erst als Material bezwungen werden musste, so «dass das menschliche Seelenauge ihm künstlerisch folgen kann in seinen Formen». (9)

Das Herunterführen des Geistigen und das Heraufführen von Sinnlichem wird von Steiner in Abhängigkeit von Situation und Material also je unterschiedlich gewichtet. Doch auch diese «spirituelle Vertikalität» – ein von Reinhold Fäth im Hinblick auf die «anthroposophische Kunst», die «aus übersinnlichen Erlebnissen jenseits der Schwelle zu schöpfen vermag» geprägter Begriff (10) – scheint mir kein Alleinstellungsmerkmal für diese Kunst zu sein; sie ist jeder echten Kunst eigen, wenn sie wirklich aus Erlebnissen schöpft und nicht Vorstellungen ins Bild setzt.

Links: Alo Altripp, ohne Titel, 1983, Aquarell, Papier; rechts: Johannes Jäckli, Mondlandschaften, 1953, Aquarell, Papier

Anthroposophie als Kunst

Was leistet denn aber nun die Anthroposophie für die Kunst? Vielleicht kann man dies so beschreiben: Durch sie dringt die suchende menschliche Seele in größere Höhen bzw. Tiefen vor, verbindet sich bewusster mit den wirkenden Kräften in Geist und Natur und gestaltet die Selbstverwandlung zur Selbsterkenntnis. So gesehen ermöglicht die Anthroposophie eine gewisse Steigerung des künstlerischen Prozesses, ohne jedoch diesen zu verlassen. Sie fügt nicht prinzipiell etwas Neues hinzu, erneuert aber etwas, was im Laufe der Zeiten – durch die Abschnürung des Menschen von der geistigen Außen- wie seiner eigenen geistigen Innenwelt – mehr oder weniger verloren gegangen ist.

Anthroposophie selbst – das zeigt auch Steiners angedeutete Beweglichkeit – ist der Kunst wesensverwandt. Sie verbindet Denken und Wollen, Erkenntnis und Handeln miteinander, setzt schöpferische Kräfte im Menschen frei und erschließt so in neuer Weise den Zusammenhang zwischen dem Geistigen im Menschen und in der Welt. In diesem Sinne ist Anthroposophie Kunst; sie bildet die Mitte zwischen ‹bloßer› Theosophie und Naturwissenschaft, die beide der Gefahr unterliegen, den Menschen als individuelles Wesen zu verlieren. Kunst wie Anthroposophie lassen den Menschen seine Existenz als individuelles geistiges Wesen erfahren.

Im Sinne dieser Betrachtung bedarf es keiner Abgrenzung anthroposophischer von anderer Kunst. Anthroposophie hilft, den künstlerischen Prozess – sei es im Hervorbringen oder im Betrachten – tiefer zu verstehen und zu intensivieren, nicht mehr und nicht weniger. Die Kunst selbst bleibt dabei aber einfach das, was sie ist: Kunst.


Stimmen zur Problematik der ‹anthroposophischen Malerei›

Zitate aus Andreas Mäckler: ‹Anthroposophie und Kunst – Gespräche mit 17 Künstlern›, Köln 1980, ausgewählt und zusammengestellt von Claudia Törpel

1 «Wer dahingehend die Werke seit Steiner bis zu Joseph Beuys betrachtet, wird mit den Mitteln der Stilanalyse keine sichtbare Verbindung der Arbeiten zueinander finden. Die Suche nach äußeren Bestimmungsmerkmalen, mittels derer in der Vielzahl von Werken sinnvolle Einteilungen zustande kommen können, setzt nämlich nicht nur eine abgeschlossene Epoche als Bezugsrahmen voraus, sondern auch die Prämisse des Rezipienten, Prozesse als abgeschlossen betrachten zu wollen.» S. 31

Andreas Mäckler

2 «Er [Hermann Kirchner] repräsentierte die absolute Selbstständigkeit in seiner Kunst; die Anthroposophie war ihm Schulungselement, nicht Verbindlichkeit eines ‹anthroposophischen Stils›.» S. 89

Peter Andreas Mothes
1935–2008, schuf u. a. zahlreiche Wandgemälde in der Freien Waldorfschule Engelberg

3 «Den Studenten möchten wir an der Alanus-Hochschule erfahrbar machen, dass hier ein Ausbildungsweg zu finden ist, der nicht zu einer Weltanschauungskunst führt. Denn die gibt es nicht, das wäre Unkunst.» S. 108

Wilfried Ogilvie
1929, gehörte zum Gründungskollegium der Alanus-Kunsthochschule in Alfter bei Bonn

4 «Es ist ja immer mehr das ‹Wie› einer Darstellung als das ‹Was› – und das ‹Wie› liegt auch im Material und in der Technik. Dass aus solcher Anschauungsweise heraus keine ‹anthroposophische Kunst› entstehen kann, wohl aber ein aus der anthroposophischen Geisteswissenschaft neu und individuell geprägter Gestaltungswille, wird immer deutlicher erkennbar.» S. 138

Walter Roggenkamp
1926–1995, wurde vor allem durch die Werbegestaltung für die Firma Weleda bekannt

5 «In der kunstpädagogischen und kunsttherapeutischen Ausbildung ist der Prozess das Ziel, und von daher ist die anthroposophische Grundlage sowohl im Künstlerischen als auch im Wissenschaftlichen ein Selbstverständnis. Geht es hingegen um ‹Bilder›, in der Malerei oder in der Plastik, so gibt es keine Einbindung in einen Stil. Der Student ringt um die eigene Aussage. […] Wichtig ist uns, die innere Selbständigkeit anzustreben, in die Zukunft hineinzudenken, aus der Anthroposophie keine ‹Bekenntnislehre› zu machen, sondern eine ‹Erkenntnislehre›.» S. 181

Rose Marie Pütz
1907–2002, begründete mit ihrem Mann Siegfried Pütz die Kunst-Studienstätte Ottersberg

 


Gerhard Wendland, ‹Weihnachtsdruck IV›, 1980, Siebdruck auf Papier.

Gerhard Wendland, ‹Weihnachtsdruck IV›, 1980, Siebdruck auf Papier.

 

6 «Schlimm ist nur, wenn man aus einer Technik ein Schema macht – und dies geschieht leider oft in der anthroposophischen Schleiermalerei.» S. 199

«Steiner sah in der Kunst den Weg im Darstellen des Sinnlich-Übersinnlichen. Dies bedeutet für mich in unserer Zeit nicht das Darstellen der übersinnlichen Welten im naturalistischen Sinne, das haben frühere Zeiten so ausgedrückt – in Engelsdarstellungen usw.» S. 200

Edith Schaar
1926, freischaffende Künstlerin, war von 1974 bis 1980 Dozentin der freien Kunst-Studienstätte Ottersberg

7 «Ja, wie soll man die Sache nennen, wenn sie schon benannt werden soll, angesichts der Tatsache, dass so etwas wie ‹anthroposophische› Malerei ein Unsinn ist? Wir sind ja nicht dabei, eine ‹Lehre› zu malen. Noch dazu, da es sich bei der Anthroposophie gar nicht eigentlich um eine Lehre handelt, sondern mehr um eine Methode.» S. 228 f.

Karl Schulz-Köln
1921, freischaffender Künstler mit großem internationalem Renommee

8 «Es wäre verfehlt anzunehmen, der Kunstimpuls Rudolf Steiners müsste vordringlich einen neuen Kunststil hervorbringen.» S. 256

«Das Aufnehmen dieser [anthroposophischen] Inhalte bereichert den Menschen und differenziert ihn, aber es lässt auch den Drang innerhalb einer so angefüllten Seele entstehen, sich in naiver Weise in den Erlebnissen dieser Inhalte auszudrücken. Daraus entsteht eine Vielzahl dilettierender Dilettanten, welche, ohne sich dessen ganz bewusst zu sein, die Zyklen und Vorträge Steiners illustrieren. Es versteht sich von selbst, dass sich diese Kunstübungen eines großen Zuspruchs erfreuen, trifft man doch damit das, was in den Seelen vieler Gleichgesinnter auch wohnt. Selbst dies wäre begrüßenswert, dass die Anthroposophie die Menschen zum Künstlerischen führt, hätte dieser Erfolg nicht die schlechte Gegenwirkung, das Verhältnis zu sich und der wirklichen Kunst zu verlieren. In dieser Weise wurde innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft der anthroposophische Kunststil langsam geboren, welcher in einer solchen Breite vorhanden ist, dass er alle anderen Bemühungen zu überdecken scheint. […] Also gibt es einen anthroposophischen Malstil, welcher lernbar ist. Dass ein solcher nur in den äußeren Manierismus führen kann, ist leicht einzusehen. Was aber kann ins Innere und dadurch zu einer Kunstform führen, in welcher die Anthroposophie nicht äußerer Stil wird, sondern Umgestalter der menschlichen Seele?» S. 257

Hans Hermann
1922, war von 1972 bis 1986 Leiter der Sektion für bildende Künste

9 «Es kann in der Kunst heute kein ‹Stildiktat› geben, da im Grunde genommen jeder Künstler seinen eigenen individuellen Stil entwickeln muss, und es ist demnach außerordentlich einseitig, nur einen bestimmten ‹Stil› als Kunst überhaupt anerkennen zu wollen.» S. 279

Karl Heinz Türk
1928–2001, Gründer und Rektor der FH für Kunsttherapie Nürtingen

10 «Ich glaube nicht, dass es von Bedeutung ist, wenn man einem Bild die ‹anthroposophische Provenienz› ansieht. Das liegt doch zumeist daran, dass der Etüdencharakter des Farb-Übungsweges nicht zurückgenommen worden ist und über die individuelle Originalität dominiert.» S. 289

Dorothea Rapp
1920–2009, langjährige Autorin des Verlags Freies Geistesleben

11 «Anthroposophie ist eine innere, geistige Lebens­haltung, kein Stil, der äußerlich tradiert werden kann. Sie befruchtet, als ‹ethischer Individualismus›, den schöpferischen Kern des Menschen und vermag deshalb zu ungezählten, verschiedenartigsten Stiläußerungen zu führen.» S. 310

«Gravierend an der Problematik der sogenannten ‹anthroposophischen Kunst›, die für mich einen Unbegriff darstellt, die es ebenso wenig gibt wie eine katholische, marxistische oder buddhistische Kunst, erscheint mir jedoch folgende Tatsache, die in anthroposophischen Kreisen bisher fast völlig verdrängt wird: […] Seine [Steiners] künstlerische Tätigkeit (Bau des Goetheanum I und II in Dornach) […] entstand aus der Notwendigkeit, einen würdigen äußeren Rahmen für die Bedürfnisse der rasch wachsenden anthroposophischen Gesellschaft zu schaffen. Was damals aber zeitgemäß und berechtigt erschien, als diese Gesellschaft von avantgardistischem Geist erfüllt war, wirkt heute, wenn an diesen Formen starr und dogmatisch festgehalten wird, zugleich peinlich anachronistisch wie sektiererisch.» S. 311

«Daraus wird auch das ganze Elend einer anthroposophischen Ästhetik […] sichtbar […]. Steiner selbst hatte sich […] gegen eine regelhafte Normästhetik, gleich welchen geistigen Zuschnitts, gewandt und dabei betont, dass jeder Künstler der Gegenwart eine unverwechselbar eigene, individuelle Ästhetik entwickelt.» S. 312

Diether Rudloff
1926–1989, Kunsthistoriker, Verfasser des Buches ‹Unvollendete Schöpfung. Künstler im zwanzigsten Jahrhundert›


Titelbild: David Nash, ohne Titel, 2014, Pastellkreide, Papier

(1) Reinhold J. Fäth in: Ænigma: Hundert Jahre anthroposophische Kunst, Olomouc: Kunstmuseum Olmütz, S. 13
(2) Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch, ‹Suprematismus – Die gegenstandslose Welt›, hrsg. von Werner Haftmann, übertragen von Hans von Riesen. Köln: DuMont Schauberg 1962
(3) Peer de Smit, in: Ænigma: Hundert Jahre anthroposophische Kunst, Olomouc: Kunstmuseum Olmütz, S. 379
(4) Rudolf Steiner, GA 271, Kunst und Kunsterkenntnis: Grundlagen einer neuen Ästhetik, Rudolf Steiner Verlag
(5) Rudolf Steiner, GA 288, ‹Architektur, Plastik und Malerei des ersten Goetheanum›, Vortrag vom 14. Januar 1916
(6) Der Wiederaufbau des Goetheanums, in: Das Goetheanum, Sondernummer vom 18.12.1924, in GA 36
(7) Vortrag vom 1.1.1924, in GA 260
(8) Das Goetheanum in seinen zehn Jahren, VI, in: Das Goetheanum, 4.3.1924, in GA 36
(9) Vortrag vom 31.12.1924, in GA 260
(10) Katalog ‹Aenigma – Hundert Jahre anthroposophische Kunst›, 2015, S. 45

Notiz: Die Sektion für Bildende Künste veranstaltet vom 7. bis 9. Dezember 2018 eine Verkaufsausstellung, eine Auktion, Führungen, Diskussionen und Vorträge über anthroposophische Kunst. Ein Katalog der zu versteigernden Werke ist ab 15. November auf der Webseite der Sektion zu finden: www.sbk.goetheanum.org. Die hier abgebildeten Werke können in der Auktion erworben werden.

Korrigendum (13.12.2018) der Redaktion: Leider hatten wir versäumt zu erwähnen, dass die Zitate, die aus Andreas Mäcklers Buch entnommen wurden, von Claudia Törpel ausgewählt und zusammengestellt wurden. Dies ist oben nachgebessert. Wir entschuldigen uns für diese Auslassung.

Korrigendum (1.2.2019): Leider war das Bild von Gerhard Wendland unkorrekt bezeichnet worden. Es war nicht ‘Mischtechnik, ohne Titel’ sondern ein Siebdruck mit dem Titel ‹Weihnachtsdruck IV›. Dies ist oben nachgebessert.

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