Eine neue Welt

Kopenhagen, Dänemark. 2025 ist das 100. Todesjahr von Rudolf Steiner. Wie lebt er in einzelnen Menschen weiter? Aaron French, Religionswissenschaftler an der Universität Kopenhagen, gibt seine Antworten.


Für welche Lebensfragen ist dir Anthroposophie besonders wichtig?

Als ich das erste Mal mit Steiner in Kontakt kam, tat sich mir eine neue Welt auf. Dasselbe gilt für meine Entdeckung der Esoterik im Allgemeinen. Hier begegneten mir Ideen und Ansätze, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte und die in der etablierten akademischen Berufskultur (zumindest auf den ersten Blick) nicht vorhanden zu sein schienen. Beim Durcharbeiten der Werke anderer Schriftsteller, Dichterinnen, Esoteriker und Philosophinnen kam ich immer wieder auf Steiner zurück, der alles in einem einzigen Paket zu vereinen schien. Das Lesen von Steiners Schriften und Vorträgen eröffnete mir neue Perspektiven: zum Beispiel einen alternativen Zugang zur Wissenschaft durch seine Interpretation des Goetheanismus; eine spannende Version radikaler Philosophie durch seine ‹Philosophie der Freiheit› und seinen individualistischen Anarchismus; ein visionäres esoterisches Christentum, das sogenannte heidnische und okkulte Themen einbezog; insbesondere zudem eine Metaphysik der Technik, die mit der Zeit immer relevanter wurde. Steiner führte ein äußerst interessantes Leben und stand im Mittelpunkt vieler Schnittstellen der modernen Geschichte und Kultur. Ich beschäftige mich mit Steiner als Wissenschaftler, weil ich mich für akademische Ansätze interessiere, diese aber auch hinterfragen möchte. Steiner ist in dieser Hinsicht ein hervorragendes Studienobjekt. Die Auseinandersetzung mit Steiner hält meine eigene wissenschaftliche Forschung interessant. Wenn die Anthroposophie das tut, was sie am besten kann, ermutigt sie meiner Meinung nach dazu, grenzgängerische Fragen zu stellen und sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden zu geben in Bezug darauf, was möglich ist oder wie etwas ‹sein sollte›. Stattdessen kann man schauen, wie weit man mit den Fragen kommt und was man auf dem Weg alles lernen kann.


Kontakt afh@hum.ku.dk

Bild Aaron French, Foto: Alan Velasquez

Letzte Kommentare