Die Hoffnung kommt nie allein.
Wenn sie kommt, erscheint sie inmitten des Glaubens und der Liebe: ein Dreigestirn. Die Hoffnung in der Mitte. Alle haben sie ein unermesslich langes Reisen hinter sich. Der Glaube glänzt aus reiner Zuversicht, die Liebe strahlt aus reiner Kraft. Die Hoffnung aber blinkt so wie ein Stern, der auf seiner Bahn zu viele Staubkörner aufgefangen hat. Sie wirkt klein, wie in sich selbst geduckt. Als ob sie sich sträubt. Ein rebellisches Kind. Ein einsames Kind.
Einmal kann es so aussehen, als ob sie ganz allein dasteht. Ist sie vielleicht vom Glauben und von der Liebe verlassen worden? Ein anderes Mal verschwindet sie fast unter diesem erhabenen Gewicht ihrer beiden Mitgesellen.
Der französische Dichter Charles Péguy schrieb im Jahr 1912 eine ‹Hymne› auf die Hoffnung, die er «ein kleines Mädchen» nannte. In diesem Jahr hatte er im Zeichen der Hoffnung eine Fußreise nach Chartres gemacht, weil sein Sohn krank war. Er heilte seine eigene Seele, die ihre Innerlichkeit wiederfand. Viele Pilgerwanderungen folgten darauf noch. Péguy starb am 5. September 1914 in den allerersten Kriegstagen an der Front in der Nähe von Meaux, dass sich auf diesem Pilgerweg nach Chartres befindet.
In seinem dichterischen Lobsang heißt es, dass sogar Gott sich wundert, wenn er die Hoffnung anschaut; er wundert sich über «cette petite fille de rien du tout» – dieses kleine, unscheinbare Mädchen, das keinerlei Aufsehen erregt. Dennoch, sagt sich Gott, ist sie es, die in ihrer eigentümlichen Art und Weise Glauben und Liebe voranzieht. Denn sie allein ist fähig, dasjenige zu sehen, was es noch gar nicht gibt. Und das sich so darstellt, als ob es nie da sein würde.
Sie schaut nicht nur dahin, sie liebt über alles das Nicht-Seiende, weil es reine Möglichkeit ist und bedeutet, die Tür ununterbrochen offen zu halten. Eine geschlossene Tür hieße schon Vorbestimmtheit oder Erwartung, aber sie ist Hoffnung.
Zwischen den Pfeilern Glaube und Liebe spannt sie den allumfassenden Bogen, ähnlich einer Brücke, auf der Vergangenes und Zukünftiges sich immer neu begegnen. Wo Liebe Zuversicht und Zuversicht Liebe wird und die Zeit sich verwandelt. Denn sie, die Hoffnung, ist die Öffnung. Jedes Mal, wenn Zeit und Ewigkeit einander berühren, ist sie zugegen.
Ständig wehen die Stürme des Zeitgeschehens, die kleineren und größeren, unter diesem Bogen durch und legen sich wieder nieder. Düstere Himmel gehen in geklärte Himmel über und wieder zurück.
Diejenigen, die sich durch diesen Bogen ins Unbekannte begeben, schauen einander mit ehrfürchtigem Staunen an. Sie wissen nicht, ob es weitergeht. Sie wissen nur, dass sie gehen. Und sie hören nicht auf, sich zu wundern über diese vorher noch nie erlebte Leichtigkeit. Wie wurde ihnen das Herz so voll und leicht zu gleicher Zeit? Manche drehen sich noch ein letztes Mal um. War da nicht irgendwo an dieser offenen Tür ein kleines Mädchen? Wo kann sie bloß geblieben sein?
Sie ist in Ihnen. Schon längst. Und wächst mit jedem Schritt.
Illustration Gilda Bartel