Wir befinden uns im Atelier von Hannes Weigert, der zusammen mit Lars Krüger einige Tage schweigend, schauend, sprechend vor den Bildern verbringt. Später kommt Joachim Eckl dazu. Warum sitzen die drei Künstler dort und suchen nach Worten zu den Bildern? Können Worte Helfende sein bei dem Versuch, das Wortlose der Bilder auszuloten?
Hannes Weigert … ein graues Bild. (1) Eigentlich nur eine Grundierung. Ich halte mich zurzeit gerne dort auf. Es ist mir ganz lieb, dass ich nicht den Impuls verspüre, etwas auf den grauen Hintergrund zu malen.
Lars Krüger Wenn ich länger darauf schaue, werden die Augen zu Händen, die darüberstreichen. Ich kann mich hingeben, ich kann darauf warten, etwas beginnt, sich in mir zu zeigen. Es tritt eine leichte Erwartung auf, eine innere Andeutung von etwas, was in die Leere eintreten könnte, ein Bezogensein auf etwas: Etwas macht sich bereit.
Die Farbe scheint an der Oberfläche wie auszukristallisieren. Dadurch erhält die Oberfläche selbst etwas Räumliches. Über mein Auge bin ich in diesem Raum drin. Und er wird durch keine weiteren Elemente zerstört. Ich gehe durch meine Augen in den Bildraum hinein. Ein Zusammenweben von dem, was da draußen ist, mit dem, was in mir ist. Ich sehe das dort draußen als mein eigenes, inneres Geschehen. Durch das Bild werde ich hineingenommen in mich. Das ist eine besondere Art von Bilderfahrung oder Bilderkennen. Es taucht nichts Vorstellungshaftes auf. Reiner Bildraum.
HW Hier habe ich etwas gemalt – und dann wieder übermalt. (2) Das ist wie ein Auslöschen. Aber man sieht hier noch etwas von dem, was vorher da war. Ich wollte keine Bilder malen, sondern auslöschen, was schon da war, oder einfach einen Hintergrund für ein erst noch zu schaffendes Bild machen. In beiden Fällen hat sich bei mir aber unerwartet eine Befriedigung darüber eingestellt, etwas anschauen zu können, was nach meinem eigenen Verständnis kein Bild ist. Das Zerstören, Übermalen und Herunterwaschen des Gemalten beschäftigt mich ebenso wie das Grundieren, Färben und Tönen schon seit vielen Jahren. Es ist eine sehr angenehme Empfindung, ganz absichtslos, ohne die Absicht, ein Bild zu malen, Farbe auf die Fläche aufzutragen. Doch meistens fehlt mir dabei etwas. Ich bin gespannt, wie es mir mit den grauen gehen wird – ob ich sie so lassen kann.


Bild 1 und 2
(3) Als ich die Hälfte des Kopfes gezeichnet hatte und gerade den Pinsel am Scheitel ansetzte, um die andere Hälfte zu malen, spürte ich einen leisen Widerstand. Ich hielt inne und schaute mir das Bild an. Ich bemerkte, dass die violette Grundierung links etwas bläulicher ist als rechts. Die Bildfläche ist nicht flach, sie schafft in sich schon einen Raum. Sie weicht links etwas zurück, rechts kommt sie mir entgegen.
LK Links-rechts ist hier zugleich hinten-vorne. Die Zeichnung des Kopfes liegt zwischen dem kühlen hinteren und dem wärmeren vorderen Raum.
HW (4) Wieder löscht sich etwas aus. Aber nicht, indem ich etwas mit Farbe zudecke, sondern indem es sich selbst im Anschauen auslöscht.
LK Wie bei einem Sonnenuntergang: Die Sonne lässt sich selbst verschwinden. Wenn ich näher an das Bild herangehe, sehe ich gar nichts mehr. Aber es wird enorm räumlich. Ich kann einfach nur die Farben anschauen oder es als eine Naturstimmung betrachten. Es ist gegenständlich und ungegenständlich zugleich.
HW Das Rot wird an dieser Stelle – in der Mitte – wie ausgelöscht. Da kommt das Hellrote von vorn ganz nah an das Rot heran. Es löscht das Rote aus. Das Auslöschen selbst wird sichtbar. Es löscht sich das Sichtbare selbst aus, es verdunstet, zerrinnt vor meinen Augen. Du hast vorhin mit deinen Händen eine Doppelbewegung angedeutet: Etwas geht von dir aus, zu dem Rot hin, und etwas kommt dir von dort entgegen, kommt an dich heran und umfasst dich, und du versuchst es aufzufangen mit deinem Blick, aber es entzieht sich. Du siehst oder fühlst nur das Zerrinnen.


Bild 3 und 4
LK Dieses Bild hat eine große Tiefe in sich, die wie hinter mich greift. Sie wird Umkreis. Werde ich darauf aufmerksam, beginnt das Zentrum des Bildes zu pulsieren. Aus ihm geht der Raum hervor. Es schafft den Raum, es strahlt den Raum aus. Und in diese wie aus dem Unendlichen kommende Bewegung schaue ich tief hinein, wie in einen Schacht oder in einen Tunnel, ins Allertiefste.
HW Als ich das Bild, das darunterlag, übermalte, wurde es ganz neblig. Da ging ich mit dem Rot in diesen Nebel hinein. Aber es war so, wie wenn das Rot mir nun entgegenkommen würde. Im Heraustreten wird das Rot zur Fläche, breitet sich aus und zergliedert sich. Und ich schaue das nicht bloß an, vielmehr kommt mir das Anschauen selbst, mein Schauen als Tätigkeit, in den Blick.
LK Bei diesem Bild ist es so, dass man selbst eintritt. (5)
HW Das Gelb tritt vor das Schwarz. Aber meine Empfindung dabei ist: Ich trete hinein. Doch ich halte im Bewusstsein, dass ich davor bin. Ich schaue an, wie ich da drin bin. Manchmal erscheint mir die Gestalt aber auch so, wie wenn sie in den Bildraum hinein gewendet wäre. Dann ist es so, wie wenn ich mich von hinten anschauen würde.

LK Wie gelingt es mir, in die Fläche hineinzukommen? Und was geschieht dann dort? Das ist für mich fast ungreifbar. Ich komme in eine seelische Bewegung, die sich ausdrückt in dem Vorne-Hinten. Ein gemüthaftes Einweben in die Fläche. Aber es kommt noch etwas hinzu, etwas Rätselhaftes, etwas, das mich immer wieder überfallen kann: dass etwas da ist! Und: dass ich da bin! In diesem Moment könnte sich etwas eröffnen.
Joachim Eckl Ich merke, wie mich die Bilder herausfordern. Sie haben etwas Forderndes. Und wenn ich mich darauf nicht einlasse, dann passiert nichts. Ich muss mich dafür entscheiden. Das ist eine riesige Hürde. Du musst da erst einmal drüberkommen! Du musst da reinwollen! Da spüre ich in mir: Jetzt mag ich gar nicht. Das ist mir zu viel, das ist mir zu stark, das ist anstrengend. Genau diese Anstrengung geht mir manchmal auf die Nerven! Wo ich dann frage: Wieso muss ich mich jetzt so anstrengen?
LK Wo ist das Bild? Da draußen oder in mir drinnen? Oder dazwischen? Ich halte mich in einem Raum auf, der nicht da ist ohne mich. Das macht mich wach. Doch das Wachen ist beim Erleben dieser Bilder zugleich irgendwie verbunden mit dem Schlafen.
HW Wenn ich eintauche in das Sehen und bemerke, wie in der Fläche eine Regsamkeit veranlagt ist, die ich im Sehen aber erst aufwecken muss, dann ist das ja so, wie wenn Waches in mir Schlafendes berührte.


Bild 6 und 7
JE Das schwarze Loch ist der Wahnsinn! (6) Ich empfinde dieses Bild wie ein Angebot an mich. Man kann mit diesem Bild leben. Ich möchte, dass mir ein Bild nicht nur eine Aufgabe stellt oder ein Rätsel aufgibt, sondern mir auch etwas entgegenbringt! Es lädt mich ein, das Bild!
HW Dieses Bild ist später entstanden. (7) Zu dieser Zeit wurde das Malen für mich ein wenig wie das Eintauchen ins Malen selbst, in das Leben der Malerei.
LK Wieder dieser Durchblick oder Einblick. Doch dieses Bild ist flächiger. Der Raum ist bewegt, er wellt. Eine wellende Fläche. Flächen-Raum-Gefühl. Ich trete ein und in diesem Eintreten wird es – warm.
Alle diese Bilder gehören für mich zusammen. (8) Sie scheinen erst zusammen einen Werkcharakter anzunehmen. Das ist keine Schwäche der Bilder. Im Gegenteil, es ist eigentümlich, wie sie miteinander ins Gespräch kommen. Deine Bilder wecken immer weniger das Bedürfnis in mir, etwas zu ihnen zu sagen. Es scheint mir, als wende sich die Sehnsucht nach Wirklichkeit dem Bild zu und verbleibe dort ohne Worte.

Bild 8








