Wärme – Keim der Verbindung und der Verwandlung

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Die Wärme in den Vorträgen der Tagung der Naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum.


Die Wärmehülle der Erde

Hans Christian Andersens Märchen ‹Das Mädchen mit den Schwefelhölzern› schildert ein Mädchen, das in der Silvesternacht Streichhölzer verkaufen soll. Langsam verbrennt es die Streichhölzer, und es leuchtet darin sein Wunsch nach den verschiedenen Bereichen der Wärme auf. Es sehnt sich nach physischer, geselliger, seelischer und geistiger Wärme. Die unterschiedlichen Seiten der Wärme werden in diesem Märchen sehr anschaulich in ihrer Abwesenheit deutlich.

Der Physiker Matthias Rang stellte dieses Bild an den Anfang seines Vortrages über die Wärmehülle der Erde. Für die Wärme haben wir wenig Bewusstsein, wir bemerken sie meist erst, wenn sie fehlt oder in Hitze übergeht. Wärme durchdringt den Raum, sie selbst ist substanzlos. Physikalisch ist Wärme eine innere Bewegung von Substanzen, was eine tiefere Beschreibung ist als die äußere Bewegung. Wärme ist Innerlichkeit und Beweglichkeit, aber keine Substanz – ein Übergang zum Ätherischen. Auch die Wirkung der Wärme, das Umformen der Substanzen zum Flüchtigeren hin, zeigt die Nähe der Wärme zum Ätherischen.

Die Wärmehülle der Erde wurde mit dem Experiment einer zuvor unternommenen Ballonfahrt untersucht und veranschaulicht. Die Messung der Temperatur selbst charakterisiert die Lufthülle. Die Wärmehülle wurde durch die Wärmestrahlung von oben und unten gemessen. Die Daten des Ballons zeigten schön die ‹Fenster› in der Atmosphäre, durch die Wärmestrahlung ungehindert durchdringen kann, und die feuchtigkeitsgesättigten ‹Spiegel›, die die Wärmestrahlung nach oben oder unten zurückspiegeln. Normalerweise hat die Erde einen schön austarierten Wärmehaushalt in der Atmosphäre, in welchem die Strahlungsbilanz weitgehend im Gleichgewicht ist. Die Erde verschließt sich heute jedoch immer mehr, die ‹Fenster› werden kleiner und die Erde gibt uns damit ein Spiegelbild für uns selbst.

Wechselwarme Tiere und das Wunder der Bienen

Eine Balance der Wärmehülle, wie sie normalerweise die Erde zeigt, ist in den Organismen der Lebewesen nicht selbstverständlich, wie die wechselwarmen Tiere zeigen. Der Biologe Johannes Wirz führte aus, wie die wechselwarmen Insekten sich in der Embryonalzeit im Ei nach außen wenden. Sie wenden sich hier dem Kosmos zu, ebenso wie sie im Leben der Umgebung ganz hingegeben sind. Sie haben eine große Formenvielfalt, die der vielfältigen Umgebung und den Nischen dort entspricht. Demgegenüber verinnerlichen die Wirbeltiere in ihrer Evolution den Kosmos bis hin zur Wärme bei den Säugetieren und den Vögeln. Unter den Insekten gibt es aber mit den staatenbildenden Arten besondere Formen, wie die Honigbiene. Bienen können ihre Temperatur im Nest regulieren, sie halten sie im Sommer auf 34,5 Grad durch Kühlen und im Winter auf 17 Grad durch Wärmen. Dies ist nur möglich in der Gemeinschaft. Bienen haben als Gemeinschaft auch seelisch einen hohen Organisationsgrad, indem sie zum Beispiel eine Symbolsprache in ihren Schwänzeltänzen beherrschen. Steiner beschreibt, dass Bienenvölker so weit entwickelt seien wie ein Initiierter in der Meditation. Von ihrer hingebungsvollen Zusammenarbeit kann der Mensch sehr viel lernen für die Zukunft der Erde.

Verinnerlichung der Wärme

Wie ist das nun mit der Wärme bei den Wirbeltieren? Echsen, die sich auf einem Stein aufwärmen, wirken zwar träge, aber physiologisch passiert sehr viel, sie heizen sich um mehrere Grad auf, ihr ganzer Stoffwechsel stellt sich um und sie erlangen wieder eine schnellere Beweglichkeit. Ihre Physiologie und Lokomotion sind auf das Wärmebad angewiesen. Die Säugetiere und die Vögel haben den Wärmehaushalt verinnerlicht. Eisbären und Pinguine – extreme Wärmekünstler in beiden Gruppen – können Temperaturen bis minus 60 Grad aushalten. Die Wärme kommt bei den Säugern und den Vögeln von innen und ihre Regulation läuft innerhalb artspezifischer Grenzen ab. Die Eigenwärme hat aber kein eigenes Organ. Sie hängt mit fast allen Organen und Strukturen des Organismus zusammen. Die Quelle der Wärme sind der Stoffwechsel und die Muskulatur. So muss ein eigenwarmes Säugetier etwa zehnmal mehr fressen als ein gleich schweres wechselwarmes Tier. In der Evolution der Säugetiere reorganisiert sich der gesamte Körper der Säuger während der Entstehung der Eigenwärme, so berichtete die Paläontologin Susanna Kümmell. Die verschiedensten Strukturen, die auf die Fähigkeit zur Wärmeregulation verweisen, wie zum Beispiel das Zwerchfell oder der sekundäre Gaumen, entstehen in einem zeitlichen Rahmen vom Ende des Erdaltertums bis in die Mitte des Erdmittelalters, also über einen Zeitraum von ungefähr 100 Millionen Jahren. Es entsteht bei den Säugern eine ständige Bewegungsbereitschaft und verfeinerte Sinnesleistungen, insbesondere beim Hörsinn – Grundlage für eine stärkere Auseinandersetzung mit der Welt und eine stärkere innere Verarbeitung der Eindrücke. Das Seelische der Tiere kann so deutlicher in die Präsenz kommen. Die Brutpflege nimmt zu. Die Milch entstand und ermöglichte eine erhöhte Bindung an die Mutter. Die Milch ist ein besonderer Saft. Sie ernährt nicht nur, sondern vermittelt auch Hormone und Abwehrstoffe an das Neugeborene und sein zukünftiges Leben – und eben physische und seelische Wärme.

Die Wärme gibt in der Evolution zu den Säugetieren eine Hülle, durch die das Seelische präsenter werden kann, und sie zeigt die hohe Transformationskraft, indem die Etablierung der Eigenwärme mit der großen Transformation aller Organsysteme in der Evolution der Säuger einhergeht.

Eigenwärme – Grundlage höherer Autonomie

Vertiefend in die Physiologie von wechselwarmen und eigenwarmen Tieren setzte der Evolutionsbiologe Bernd Rosslenbroich das Thema fort. Er zeigte, dass es eine bestimmte Form des Kalziumstoffwechsels in den Zellen ist, die den wechselwarmen Tieren fehlt und die die Bildung von Eigenwärme im Muskel ermöglicht, ohne eine äußere Bewegung auszulösen. Dies ist ein Faktor unter vielen anderen, die zur Eigenwärmefähigkeit beitragen. Es zeigt sich, dass die Evolution der Eigenwärme ein komplexer, systemischer Vorgang aus einer Vielzahl von Faktoren ist. Dieser Vorgang führt zu zunehmender Unabhängigkeit der eigenwarmen Tiere von den äußeren Wärmebedingungen und ist daher ein sehr wichtiger Schritt in der Evolution der Säuger zu einer höheren Autonomie. Er fügt sich ein in eine Reihe von zahlreichen Autonomieschritten von den einfachsten Organismen bis hin zum Menschen oder auch anderen heutigen Säugern. Die Eigenwärme und die mit ihr verbundenen organismischen Bereiche machen die Individuen nicht nur unabhängiger von der Umgebung, sondern ermöglichen neue Formen der Verhaltens- und Bewegungsflexibilität. Zum Beispiel entsteht bei den Säugern das Spiel, was durchaus nicht nur bei Jungtieren vorkommt. Beim Menschen bildet die Eigenwärme eine Grundlage für höhere Autonomiegrade wie ein seelisch-geistiges Empfinden und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zu freien Handlungen.

Ich lebe in meiner Wärme

Bei genauem Hinsehen ist die Eigenwärme eines Säugers oder eines Menschen nicht völlig konstant, weder örtlich noch zeitlich, sondern sie weist eine örtlich und zeitlich strukturierte Organisation auf. Der Arzt Reiner Penter verwies in seinem Vortrag über die Wärmeorganisation des Menschen auf die weitgehend konstante Kerntemperatur (innere Organe) und die von der Außentemperatur mitbestimmte Temperatur der Schale (Gliedmaßen und Haut). In Ruhe entsteht 70 Prozent der Eigenwärme des Menschen in den inneren Organen, besonders im Herzen, und nur wenig in den Muskeln, in Bewegung hingegen kann bis zu 90 Prozent der Wärme aus den Muskeln der Gliedmaßen kommen. Der Kopf gibt besonders viel Wärme ab. Kern- und Schalentemperatur unterliegen dem zirkadianen Wärmerhythmus, sind jedoch gegenläufig: In der Nacht sinkt die Kerntemperatur, die der Peripherie steigt. Durch den Tag wird die Kerntemperatur wieder wärmer, die der Peripherie fällt. Das Seelische folgt durch den Tag dem Wärmerhythmus der Kerntemperatur: vormittags konzentriert, wenn die Kerntemperatur noch niedriger ist, abends zum Feierabend seelisch ausgebreitet, bei hoher Kerntemperatur. Ich lebe in meiner Wärme. Der Wärme­äther ist dem Seelenleben zugewandt. Unter extremen Temperatureinflüssen ist es hingegen schwierig, seelisch präsent zu bleiben.

In Krankheiten ist häufig eine Vereinseitigung der Wärme relevant wie beim Fieber. Hier tritt sie entweder mit einer hohen Struktur oder ohne klare Struktur in der Fieberkurve auf. Ist der Wärmeverlauf der Fieberkurve strukturiert, so ist dies günstig für die Heilung. Ein solches Fieber kann auch bei anderen Krankheiten zur Heilung beitragen. Dies betont noch mal die Relevanz der Wärme und ihrer zeitlichen Struktur für physiologische Prozesse und das Seelisch-Geistige.

Die Wärmetransformation der Landwirtschaft

Die transformative Kraft der Wärme wurde in dem Beitrag von dem Landwirt und Dozenten Martin von Mackensen bei der Frage nach der Wärme in der Landwirtschaft besonders deutlich. In nachhaltigen Landwirtschaftsformen wird mit den Wärmeprozessen im Boden aktiv umgegangen – eine Kulturleistung. Als Bild dieses Umgangs mit der Erde stand am Anfang die Beuys-Aktion der 1000 Eichen und Basaltsäulen in Kassel, an welcher Martin von Mackensen als 15-Jähriger aktiv teilnahm. Höhepunkt des Vorgangs war das Umschmelzen einer Krone aus Gold in einen Hasen und eine Sonne, denen Beuys eine Schrift beifügte: «Es kommt alles auf den Wärmecharakter des Denkens an. Das ist die neue Qualität des Willens.» – Diese Episode steht wie sinnbildlich für die Arbeit des Landwirts an der Erde. Der Wärmecharakter in der Landwirtschaft ist ein Feld der Ermöglichung. Der Kompost aus Kuhmist und organischen Resten, versetzt mit Präparaten, erzeugt Wärme, die vom Landwirt wie von einem Kompostmeister begleitet werden muss. Der Kompost darf nicht zu warm oder zu kühl werden, zudem atmet er – Steiner beschreibt den Kompost als ein Organ.

Die Kompostdüngung bringt Wärme in den Boden. Mithilfe der Düngung organisiert sich der wachsende pflanzliche Organismus – ein lebendiger Wandlungszusammenhang der lebendigen Wärme. Der landwirtschaftliche Organismus erzeugt mit seinen Feld- und Gartenpflanzen nicht nur Nahrung, sondern auch Verwurzelung. Die Wurzeln vollführen eine Wärme-Sinnestätigkeit bei der Aufnahme der Substanzen für die Pflanze und verbinden sich dabei mit dem Boden – und verwandeln ihn. Dies ist wie eine Keimkraft für den Makrokosmos weit in die Zukunft hinein.

Die Entwicklung der Wärmehülle der Erde und der Mensch

Um den Makrokosmos, die Erde, die Entwicklung ihrer Wärmehülle und die Rolle des Menschen ging es in dem Beitrag des Mikrobiologen und Meeresforschers Meinhard Simon. Für den Wärmehaushalt der Erdatmosphäre spielen das viele Wasser der Erde und die Treibhausgase eine große Rolle. Durch den natürlichen Treibhauseffekt haben wir auf der Erde eine lebenswerte Umwelt, ohne ihn hätten wir minus 18 Grad Durchschnittstemperatur. Kleine Änderungen der Treibhausgasmenge haben eine fundamentale Auswirkung für die Wärmehülle der Erde, wie wir das heute beim anthropogenen Klimawandel sehen. Auf anderen Planeten ist der Wärmezustand anders: Die Venus hat eine sehr heiße Oberfläche von einigen 100 Grad, der Mars dagegen ist sehr kalt. Meinhard Simon erläuterte, wie es bei der Erde von einem heißen Zustand in der Frühzeit zu einer relativ schnellen Abkühlung kam, indem der Wasserdampf in einem langen Dauerregen aus der Atmosphäre auf die Erdoberfläche fiel und die Ozeane schuf. Weiterhin wurde viel CO2 durch die zunächst noch mikroskopisch kleinen Lebewesen aus der Atmosphäre aufgenommen und in Form ihrer organischen Reste in die Erde eingelagert (Kohle-, Öl- und Kalkbildung). So wurde der CO2-Gehalt der Atmosphäre maßgeblich reduziert. Der Sauerstoff der Atmosphäre wurde vollständig durch die fotosynthetisierenden Mikroben und Pflanzen geschaffen. Beide Vorgänge zeigen, wie die Atmosphärenzusammensetzung innig mit dem Leben verbunden ist. Vor 700 bis 400 Millionen Jahren entstand aus dem durch die Lebewesen erzeugten Sauerstoff die die UV-Strahlung abschirmende Ozonschicht und machte die Kontinente bewohnbar.

In der langen Erdgeschichte bis heute gab es immer wieder große Schwankungen im CO2-Gehalt der Atmosphäre und dem Wärmehaushalt der Erde (eisfreie Phasen und Eiszeiten). Ab der Erdneuzeit (Tertiär) nahm die Temperatur kontinuierlich ab bis zu den letzten Eiszeiten. Heute befinden wird uns nach den geologischen Rhythmen in einer Zwischeneiszeit. Noch vor den Eiszeiten, vor sieben Millionen Jahren, trat mit Sahelanthropus der erste heute bekannte Vertreter der Menschenvorläufer (Hominini) auf, als die Durchschnittstemperatur der Erde unter 20 Grad gesunken war, gefolgt von der Gattung Homo vor zwei Millionen Jahren bei 14,5 Grad Durchschnittstemperatur der Erde. Diese tieferen Temperaturen des Planeten waren sicherlich für unsere Bewusstseinsentwicklung bedeutsam.

Die Erde hat die Möglichkeit einer Temperaturhomöostase, sie schafft es – anders als die Nachbarplaneten –, auf weiten Teilen der Erdoberfläche in einem für das Leben günstigen Temperaturbereich zu bleiben. Die Frühzeit der Erde war wie eine Embryonalphase, in welcher Mikroorganismen die Hülle der Erde, die Atmosphäre, mitgestaltet haben, bis die Bedingungen für andere Lebensformen möglich wurden. Steiner spricht davon, dass der geistige Mensch zusammen mit den Hierarchien an der Erde arbeitet. Im Zusammenhang mit dieser geisteswissenschaftlichen Darstellung führte Meinhard Simon Überlegungen aus, inwiefern die Mikroorganismen bei ihrer Arbeit wie Organe der höheren Hierarchien und des übersinnlichen Menschenvorfahren angesehen werden können und wie auf diese Weise der übersinnliche Menschenvorfahr die Umgebung mitgestaltet hat, in die er sich später inkarnierte.

Seit prähistorischen Zeiten hat der Mensch sich durch die Kultur und das dadurch entstandene Mikroklima durch Kleidung und Bauten viele zusätzliche Bereiche der Erde erschlossen. Was bedeutet es für die Evolution des Menschen, wenn wir durch die menschengemachte Klimaerwärmung wieder deutlich höhere Temperaturen erreichen? Der Mensch in der globalisierten Welt ist verantwortlich geworden für das Klimageschehen der Erde und das Wohlergehen seiner Mitwelt.


Bild Künstlerische Arbeit auf der Tagung, Foto: Nicolas Prestifilippo

Korrigendum (17.11.2025): Einige Zwischentitel wurde auf Wunsch der Autorin geändert.

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