Technik wandert die leiblichen Glieder entlang. Erst ersetzt sie Fuß und Hand, den Willen, dann in der menschlichen Mitte in Reproduktion von Bild und Ton das Gefühl und nun menschliches Denken. Wie unsere Neuronen schafft sie ein Netzwerk, das nun seinen Kopf erhebt. Da erklingt ein Ruf …
In Kosmos und Natur erscheint die Offenbarung einer unermesslichen Weisheit. Einst war diese schöpferisch. Gegenwärtig ist sie es nicht mehr und auch die Harmonie des Universums scheint uns fragil zu sein.1 Man kann regelrecht von der ‹kosmischen Intelligenz› des Ursprungs reden. Diese war einst in der Obhut hoher geistiger Wesen. Diesen entfiel sie, um Eigentum des Einzelmenschen zu werden. Dieser konnte dadurch die individuelle Freiheit erobern. Aber sie wurde nur von seinem physischen Leib aufgenommen. Wirkliche Gedanken sind geistiger Natur und haben ihren Sitz im Ätherleib des Menschen, aber eigenständig werden konnte der Mensch nur durch seinen physischen Körper. Solange die Gedanken noch in seinem Ätherleib lebten, dachte er nicht wirklich individuell. Auf der Ebene der Verstandesseele – wähnte er das zwar manchmal schon und fühlte sich dadurch groß, aber erst mit der späteren Ausbildung der Bewusstseinsseele wurde es wirklich so.2
Jetzt geht es darum, die versunkene Urteilskraft freiwillig wieder hochzuheben. Erst durch diese Tätigkeit erhält jemand wahrhaft Bewusstsein seines Menschentums. Aber zu wenig Menschen üben sie aus. Es ist eine freie und eine individuelle Aktivität. Man steigt durch dieses Tun zum äthergetragenen Bewusstsein hinauf und kann die erworbene freie Eigenständigkeit dennoch mitnehmen. Niemand zwingt dazu. Aber das massenhafte Unterbleiben der Anstrengung wird jetzt allmählich verhängnisvoll, denn was nicht rechtzeitig in Freiheit ergriffen wird, kann später Not erzwingen. So etwas scheint heute mit der Denkfähigkeit des Menschen zu geschehen.
Die Nerventätigkeit wird technisiert
Schrittweise hat die Technik sich menschliche Fähigkeiten angeeignet. Sie vollzieht diese zwar eingeschränkt und zugespitzt, aber mit großer Kraft. Technik ersetzt Willenskraft. Erst war es die der Gliedmaßen. Dann entstand eine Kommunikationstechnik und es wurden auch wirkmächtige Bilder produziert. Musik und Ähnliches konnte reproduziert, aber nicht neu geschaffen werden. Das ist jetzt anders geworden, indem wenigstens nachahmende und rekombinierende Kreativität in den Bereich der Technik geriet. Langsam klomm sie entlang der Glieder des menschlichen Leibes empor. Es war eine Frage der Zeit, bis auch die Nerventätigkeit des Menschen von der Technik erobert wurde. Das ist mit der sogenannten ‹künstlichen Intelligenz› der Fall. Auf Deutsch nennt man sie KI, auf englisch AI.
Das Computersystem der KI kann durch umfangreiche Software Aufgaben erfüllen, die bislang Menschen vorbehalten waren, wie Wahrnehmung, Auswahl, das Rezipieren, Verarbeiten und Übersetzen von Sprache oder das Steuern von Autos und Robotern. Auch wenn eine KI Unmengen von Information aufnehmen, verknüpfen und in kurzer Zeit verfügbar machen kann, erfolgt das durch jene Art von Logik, die in Computer implementiert und vollständig automatisiert werden kann.
Jeder Technik kann sich der Mensch frei gegenüberstellen, und das sollte er jetzt besonders machen. Je mehr man KI durchschaut, je besser kann man sie als Werkzeug nutzen. Natürlich können Maschinen, auch klug vernetzte Rechenmaschinen, nie selbst Bewusstsein erlangen, geschweige denn Selbstbewusstsein. Aber sie können es simulieren, indem sie auch von sich Wissen erhalten und allmählich lernen, sich selbst weiter zu programmieren. Auch zu wirklichen Wahrnehmungsurteilen und Entschlüssen sind eigentlich nur Menschen fähig. Ohne das Rezipieren der kreativen Arbeit zahlloser Menschen durch geeignetes Training wäre KI wie Ende erster Absatz zu nichts in der Lage. Während dieses Anlernen inzwischen allgemein bekannt ist, bleibt meistens verhüllt, wie sehr KI auf die harte Arbeit Tausender ‹Annotoren› angewiesen ist.3
Neuer Reichtum und neue Armut
Wozu KI bereits imstande ist, ist erstaunlich genug. Es gibt in China schon ein Unternehmen, bei dem eine KI an der Spitze stehen soll, und in Albanien eine angebliche Ministerin, die in Wirklichkeit eine KI ist. Angetrieben wird die Entwicklung nicht zuletzt dadurch, dass sie astronomische Geldsummen bewegt. In die Entwicklung von KI wird gern Geld investiert, da sie viele Erwartungen erfüllt und noch mehr weckt. Wenige Firmen und Menschen werden dadurch unvorstellbar reich. Zugleich verarmen unzählige Menschen und viele dürften künftig ihre Arbeit ganz verlieren. Zu den Berufen, deren Relevanz abrupt abnimmt, gehört paradoxerweise auch die Softwareprogrammierung. Vor allem Routinearbeit wird effizienter mit KI erledigt. Dadurch werden einzelnen Firmen enorme Einsparungen ermöglicht. Die bevorstehende Umwälzung der Arbeitswelt ist nur teilweise vorhersehbar und birgt in einem fort Überraschungen. Aber jetzt schon ist sichtbar, dass sich die Schere zwischen Reich und Arm weiter auftut und die Kluft zwischen Gewinnenden und Verlierenden ständig größer wird.
Das im Moment sehr beliebte, millionenfach verwendete und auf einem KI-System basierende ChatGPT ist beruflich, aber noch mehr privat weit verbreitet. Es wird am meisten genutzt für praktische Anleitungen, danach zur Information und zum Schreiben, aber selten als Programmierhilfe. Das können andere Programme wahrscheinlich besser. Auch wenn eine KI Fragen beantwortet und gekonnt mit Sprache hantiert, hat man es nicht mit einer ‹Person› zu tun, mit der man wirklich kommunizieren könnte, sondern mit von Algorithmen gesteuerten Maschinen. Gleichwohl könnte sich im ganzen System ein großes widermenschliches hohes Wesen verkörpert haben, das unzählige Elementarwesen versklavt hat. Solche Elementarwesen können schon in einfachen Werkzeugen wie Hammer und Zange verzaubert und hineingebannt sein. Aber wer glaubt, dass er mit dem hohen Wesen direkt sprechen könne, täuscht sich und ging ihm auf dem Leim.
Das menschliche Nervenkostüm verbindet Myriaden von Neuronen miteinander. Als auch Computer weltweit verbunden wurden, entstand dadurch eine Art ‹globales Gehirn›. Es wurde nach meiner Anschauung tatsächlich ein geeigneter Körper für jenes sehr mächtige Wesen.4 Dieses erhebt jetzt mit der KI gleichsam den Kopf. Vieles trug schon lange seine Signatur, doch das kann man nur bemerken, wenn man aufmerksam darauf achtet, denn dieses Wesen verbirgt sich gern. Jetzt starrt es uns sozusagen an mit der Frage, worin das Wesen des Menschen eigentlich besteht. Mit dem bisherigen Überhandnehmen der Technik hat das typisch Menschliche sich auf die ‹geistigen› und ‹kreativen› Fähigkeiten eingeschränkt. Aber auch diese Vermögen äfft KI nach. Dass es dazu weltweites kodiertes Wissen und Können im Nu verfügbar macht, ist verlockend praktisch.
Was KI fordert
‹Geistig› ist hier jedoch ein Synonym für ‹intellektuell›. Es handelt sich dabei ausschließlich um eine leibgebundene Intelligenz, die allerdings unschlagbar schnell agiert. Nur dadurch, dass die Denkfähigkeit physisch wurde, konnte sie technisiert werden. KI zwingt uns jetzt dazu, uns auf unsere leibfreien Anlagen zu besinnen. Zum Glück hat Rudolf Steiner schon früh Wege zum leibfreien Denken gewiesen. Wer diese Wege betreten hat, ist jetzt einigermaßen gewappnet. Denn KI hat eine zuckersüße, aber auch eine bedrohliche Seite. Wenn man Hilfe kriegt oder wenn in technischen Geräten Elementarwesen verzaubert sind, kann man dafür danken. Auf die Gefahren sollte man gefasst sein.
Der Mitte August verstorbene Nicanor Perlas hat vor seinem Tod ein bedeutungsvolles Buch über die Herausforderung durch KI geschrieben. Im Herbst 2024 erschien die deutsche Übersetzung.5 Im Vorwort schreibt er: «Sinnvoll angewendet wird die KI uns wunderbare Vorteile bringen – ja, sie tut dies bereits. Wird sie aber missbräuchlich oder verkehrt eingesetzt, dann führt sie die menschliche Zivilisation in den Untergang. Auch das ist bereits im Gange und könnte zum Ende des Menschen auf der Erde führen. Naturwissenschaftler, Philosophen und Techniker sprechen daher von dem ‹existenziellen Risiko›, das mit der KI verknüpft ist. Wir halten das Schicksal der Menschheit wortwörtlich in unseren Händen.»
Man unterscheidet drei Evolutionsstufen von KI: schwache KI (ANI, ‹Artificial Narrow or Weak Intelligence›), starke oder allgemeine KI (AGI, ‹Artificial General Intelligence›) und dadurch ermöglichte künstliche Superintelligenz (ASI, ‹Artficial Superintelligence›). Die schwache KI ist eingegrenzt auf spezifische Aufgaben und brilliert schon durch Aufnahme, Verarbeitung und Produktion menschlicher Sprache; AGI agiert allgemein, wie der menschliche Intellekt; ASI würde den menschlichen Intellekt in jeder Hinsicht übertreffen und selbstständig strategische Weichenstellungen vornehmen. Womit wir es bislang zu tun haben, ist ANI. AGI existiert erst in Ansätzen und würde beispielsweise voraussetzen, dass man die Wirkensweise des menschlichen Gehirns weiter versteht, während ASI noch rein hypothetisch ist. Mit jeder Stufe nehmen die Möglichkeiten, aber auch die Gefahren exponentiell zu.
Es ist leicht erkennbar, dass beispielsweise die massenhaft von KI generierten Fotos und Videos die Welt bereits in einen Fake-Reality-Strudel gestürzt haben. Angesichts des allgemeinen Strudels, in den die Menschheit durch KI hinabzustürzen droht, möchte man dem hohen und versierten ungarischen Diplomaten Csaba Körösi beipflichten, der gesagt hat: «Die Menschheit war in ihrer langen Geschichte noch nie mit einer Intelligenz konfrontiert, die unsere eigene übertrifft. In wenigen Jahren könnte das jedoch Realität werden. Wir sind darauf weder regulatorisch noch ethisch vorbereitet.»6
Worin bestünde eine geeignete Vorbereitung? Nicanor Perlas schrieb sein Buch über KI als einen Weckruf an Anthroposophie-Interessierte und möchte, dass die anthroposophische Weltbewegung sich verbindet «mit den vielen bunten, anderen Identitäten in der Welt».7 Mit der Anthroposophie verwandte geistige Bewegungen gibt es sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas. Man sollte sich nicht davon abschrecken lassen, dass sie oft ganz anders sind. Im Streben stimmen sie überein. Als gutes Vorbild betrachte ich beispielsweise die Haltung des ehemaligen Co-Leiters der landwirtschaftlichen Sektion Jean-Michel Florin gegenüber dem Naturverständnis indigener Völker.8
Von nicht europäischen und anderen Formen des Denkens ist viel zu lernen, zum Beispiel eine nicht vergegenständlichende Anschauung der Natur. Die gegenständliche Vorstellung hat viele wertvolle Früchte gezeitigt, worunter die westliche Wissenschaft und die Emanzipation des Einzelmenschen hervorstechen. Sie hat aber auch die gegenwärtigen lebensbedrohenden globalen Krisen heraufbeschworen. Dadurch wächst der Wunsch nach einer anderen Denkart. Aus der von Nicanor Perlas angeregten Verbindung könnte eine Vereinigung der individuellen Freiheit des Menschen mit älteren, nicht prädikativen und nicht vergegenständlichenden Vorstellungsarten hervorgehen. Zu diesem Zusammenschluss wäre Anthroposophie besonders geeignet, da sie immer schon eine spirituelle Sichtweise mit der Errungenschaft der Freiheit des Einzelnen verbindet. Aus dem Zusammengehen der anthroposophischen Bewegung mit anderen Strömungen könnte sich eine wirkmächtige Avantgarde ergeben.
Anthroposophie und andere Identitäten haben einander viel zu geben, aber die Entwicklung sollte nicht regressiv sein, sondern vorwärts führen. Es kommt sowohl auf neue Sichtweisen an als auch auf gemeinsame Handlungen. In diesem Sinne dürfte die beschriebene Verbindung uns in die Lage versetzen, glaube ich mit Nicanor Perlas, die Herausforderung durch KI zu meistern.
Bild Verkabelung eines Servers zur Vernetzung von Computern. Foto: Yuriy Vertikov/Unsplash
Fußnoten
- Siehe: David Auerbach, Resoniert der Kosmos oder nicht? Goetheanum 38, 19.9.2025.
- Vgl. Rudolf Steiner, Anthroposophische Leitsätze. GA 26, Dornach 1976.
- Siehe: Josh Dieza, KI s.o. ist harte Arbeit. Merkur, November 2023.
- Siehe: Martin Kollewijn, Die Inkarnation Ahrimans. In: Anthroposophie, Ostern 2024.
- Nicanor Perlas: Künstliche Intelligenz – so können wir sie überleben. Eine Zukunft durch Anthroposophie. Schneider-Editionen, Stuttgart 2024. Siehe die Rezension von Karl-Reinhardt Kummer in: Goetheanum 35, 29.8.2025.
- Csaba Körösi, ungarischer Diplomat und ehemaliger Präsident der UNO-Generalversammlung. Der wohl bekanntere Stephen Hawking sagte voraus, dass «die KI entweder das Beste oder das Schlimmste sein wird, was der Menschheit je begegnet ist». Auch der Microsoft-Gründer Bill Gates warnte vor den möglichen Folgen von KI. (Siehe Perlas‘ Buch zur KI, S. 32 und 33.)
- Nicanor Perlas, Künstliche Intelligenz – so können wir sie überleben. Eine Zukunft durch Anthroposophie. Schneider-Editionen, Stuttgart 2024, S. 22.
- Siehe: Jean-Michel Florin, Gemeinsame Ursprünge. Goetheanum 25.3.2022.








