Lachen und Freiheit

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Viele von uns kennen Rudolf Steiner als großen Lehrer und Geisteswissenschaftler. Aber kennen wir ihn auch als Humoristen? Berichten nach hatte der Herr Doktor einen warmen und lebendigen Sinn für Humor und konnte ein sehr spielerischer und spontaner Komiker sein.


Ich erinnere mich, wie ich als junger Waldorflehrer in den 1980er-Jahren, als Glühbirnenwitze in Mode waren, einen anderen Lehrer fragte: «Wie viele Anthroposophen braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?» Die Antwort: «Das wissen wir nicht, weil Rudolf Steiner dazu nie Angaben gemacht hat.» Eine humorvolle Begebenheit ereignete sich auf dem schlammigen Dornacher Hügel in der Bauzeit des Ersten Goetheanum. Ein Fotograf traf ein, um Rudolf Steiner und den Fortschritt dieses einzigartigen Neubaus zu fotografieren. Als Steiner buchstäblich in seine Stiefel hüpfte, während der Fotograf seine Kamera einstellte, soll er jovial ausgerufen haben: «Machen Sie jetzt kein Foto von mir, sonst hüpfen morgen alle Anthroposophen auf einem Fuß auf und ab!»

Obwohl er seine anthroposophischen Lehren sehr ernst nahm, fiel es ihm nicht schwer, Situationen aufzulockern, wenn es der Anlass erforderte. Obwohl seine Werke eine zutiefst ernste Botschaft enthalten, sieht man in seinen Vorträgen vor den Arbeitenden, dass seine Antworten auf ihre Fragen immer wieder mit Humor gespickt sind. Und Humor war ein Thema, bei dem er durchaus ernst sein konnte. Vorträge über das Wesen und die Bedeutung des Lachens und Weinens und pädagogische Vorträge machen überdeutlich, wie wichtig der Humor im Leben des Menschen und in der Erziehung des Kindes ist. Lachen bedeutet einerseits «ein Sich-Erheben, ein Aufrichten des Ichs über seine Umwelt, also den Sieg des Höheren über das Niedere».1 Andererseits ist Lachen ein subtiler Atemvorgang der Seele. «Lachen ist eigentlich ein Prozess, der uns organisch gesund macht. Es wirkt wie eine richtige gesunde, ungestörte Verdauung! Nun, wir kommen hierher, um das Humorvolle, das Heitere mit dem Verdauungsprozess in Beziehung zu bringen.»2

Skizze des Autors: das Elementarwesen (Humor), Teil der Skulptur ‹Der Menschheitsrepräsentant›.

Willenskonflikte lassen sich mit Humor besser lösen, habe ich in langjähriger Lehrertätigkeit gelernt. Auch in der Sonderpädagogik riet Steiner den Heilpädagogen: «Was braucht man vor allem, um solche Kinder zu erziehen? Nicht bleierne Schwere, sondern Humor, echten Humor, den Humor des Lebens. Trotz aller möglichen geschickten Tricks wird man solche Kinder nicht erziehen können, wenn man nicht den nötigen Humor für das Leben hat. Es wird also in der anthroposophischen Bewegung Raum geben müssen für einen Sinn für Flexibilität.»3

Marie Steiner zufolge zeigte sich diese Seite ihres Mannes besonders nach den Mahlzeiten: in Form von Karikaturen, die er auf Papierservietten oder Schnipsel zeichnete. ‹Der größere Philosoph›, ‹Der Meister›, ‹Der Kaufmann› und ‹Der Künstler› heißen einige dieser zahlreichen Zeichnungen. Die Karikatur ‹Zwei Mitglieder› [der Anthroposophischen Gesellschaft] ist besonders interessant. Sie gibt uns einen wunderbaren Eindruck in die Art von Menschen, die sich damals auf dem Dornacher Hügel versammelt hatten. Man fragt sich auch, ob die Skizze des ‹Philosophen› nicht gar ein jüngeres Selbstporträt des Herrn Doktor enthält.

Weltenhumor

Eine der schöpferischsten Aussagen zum Thema Humor, die Rudolf Steiner in die Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts einbrachte, ist das aus Holz geschnitzte Felsenwesen, der sogenannte Weltenhumor. Er ist Teil der Skulptur ‹Der Menschheitsrepräsentant›, auch ‹Die Gruppe› genannt, und schaut auf das große menschliche Drama der Weltentwicklung herab. Diese skurrile Figur hat er in das Gesamte eingefügt, um ein kompositorisches Gleichgewicht herzustellen – ein Gleichgewicht sogar durch seine eigene Asymmetrie. «Sie können um dieses Wesen herumgehen, und Sie werden von jedem Punkt aus einen anderen Blick haben. Aber Sie werden sehen, dass die Asymmetrie als etwas Notwendiges wirkt, denn sie ist Ausdruck der Geste, mit der dieses Wesen mit einem gewissen Humor über den Felsen schaut und auf die Gruppe unten herabblickt. Dieser humorvolle Blick auf den Felsen hat einen guten Grund.»4 Die lächelnde, geflügelte Gestalt blickt auf den universellen Menschen, die Christusfigur, herab. Sie sieht ihn aufrecht schreiten, in Freiheit und Kraft der göttlichen Liebe, zwischen den Versuchungen der inneren und äußeren Welt. Als Krönung dieses Weltdramas erscheint also vor allem der Sinn für Humor. «Auf die Frage, was Lachen [und Humor] im Grunde ist, können wir antworten: Es ist ein geistiger Ausdruck unseres Strebens nach Befreiung, damit wir uns nicht in Dinge verstricken, die uns unwürdig sind, sondern uns mit einem Lächeln über Dinge erheben, denen wir niemals verfallen sollten.»5

Auf meiner Suche nach Wahrheit und Wert im Leben bedeutete es für mich viel, dass einer der größten Denker unserer Zeit auch ein Humorist war.


Mit Rudolf Steiner als … überschreiben wir eine Reihe von Artikeln zum 100. Todesjahr Rudolf Steiners.

Fußnoten

  1. Rudolf Steiner, Metamorphosen der Seele II. GA 59, Berlin, 3. Februar 1910.
  2. Rudolf Steiner, Das Wesen des Menschen und seine künftige Entwicklung. GA 107, Berlin, 27. April 1909.
  3. Rudolf Steiner, Heilpädagogischer Kurs. GA 317, 1. Juli 1924, S. 102 f. («Vor allen Dingen, was gehört zum Erziehen von solchen Kindern dazu? Nicht die bleierne Schwere, sondern Humor, wirklicher Humor, Lebenshumor. Man wird trotz allen möglichen gescheiten Kunstgriffen solche Kinder nicht erziehen können, wenn man nicht den nötigen Lebenshumor hat. Also es wird schon Platz greifen müssen in der anthroposophischen Bewegung, dass man Sinn hat für Beweglichkeit.»)
  4. Siehe Fußnote 1, S. 316 f.
  5. Rudolf Steiner, Metamorphosen der Seele II. GA 59, Berlin, 3. Februar 1910.

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