Gemeinsam verstehen

Im aktuellen Rundbrief der Pädagogischen Sektion widmet sich Philipp Reubke der Pädagogischen Konferenz. Diese wöchentliche inhaltliche Studienarbeit in den Kollegien der Waldorfschulen und Kindergärten schaffe nach Rudolf Steiner einen fortlaufenden Strom der anthroposophischen Menschenkunde.


Zuerst schaut Reubke auf die alltäglichen Schatten: Nach einem reichen Unterrichtstag sitze man müde in der Konferenz, wenn nicht mehr die 150 Prozent Kreativität und Aufmerksamkeit wie im Klassenraum gefordert sind. Andere Kollegen und Kolleginnen korrigieren während der gemeinsamen Studienzeit Hefte, checken ihre sms oder sind erst gar nicht erschienen. Wie, so fragt er, mache man die Studienarbeit so, dass Denkgewohnheiten sich auflösen, durch Überraschendes aufgeweckt und durch Zuhören und Nachdenken in Bewegung kommen? Wie bleiben wir Lernende?

In der Waldorfschule, in der er als Berufsanfänger begann, nahm man sich für ein Schuljahr einen Zyklus Steiners vor. Jede Woche leitete eine andere Person in 20 Minuten einen Abschnitt ein. Hinzu kam eine künstlerische Übung und eine Liste von Fragen zu unverständlichen Passagen im Text. Anschließend ging es in die Kleingruppenarbeit, um einzelne Fragen zu behandeln. «Wir schlossen nicht nur Bekanntschaft mit Aspekten der anthroposophischen Menschenkunde, sondern auch mit der betreffenden Kollegin, welche die Einleitung machte.» In einem anderen Schuljahr gingen sie systematischer vor: Zehn Lehrende verpflichteten sich, jeweils einen Vortrag in 15 Minuten zusammenzufassen und Fragen für die anschließende Kleingruppenarbeit vorzubereiten. Die Gespräche zu einem Vortrag erstreckten sich dann auf zwei bis drei Sitzungen. Dann berichtete Reubke aus seiner Kindergartenerfahrung. Hier war das Kollegium so klein, dass man aufgrund der familiären Stimmung auf Tagesordnungen und Gesprächsleitung verzichtete. Die Studienarbeit gewann erst wieder an Qualität, als die Teilnehmenden merkten, dass Form und Vorbereitung ebenso wichtig für die Inspiration sind wie herzliches Interesse. Ein Beispiel für fruchtbares Streiten war die Frage: «Welche Farben wollen wir ab welchem Alter zur Verfügung stellen?» Die Vertreterinnen jeder der unterschiedlichen Ansichten leiteten jeweils zwei Einheiten der Studienarbeit und stellt Zitate sowie Verweise auf Artikel und Bücher als Argumente für ihre Position zusammen. «Die Energie, die vorher für den Streit aufgewendet wurde, verwandelte sich in Interesse für pädagogische und menschenkundliche Forschungsfragen.» Ein anderes Beispiel: Eine Kollegin stellte ein neues Buch zur Pädagogik vor und verteilte zuvor einige Zitate aus der Publikation. Dann verglich man gemeinsam diese Thesen mit der Waldorfpädagogik. Die unterschiedlichen Gesichtspunkte gaben Anlass für vertieftes Steiner-Studium. Das Fazit aus solchen Beispielen: Wenn man Kollegen oder Kolleginnen mit besonderem Interesse einlädt, die Vorbereitung der Studienarbeit zu übernehmen, springt deren Feuer nicht selten auf das Kollegium über.


Bild Philipp Reubke während einem Workshop auf dem Kongress ‹Lebenskräfte› 2024. Foto: Xue Li

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