Kommunikation ist das Fundament des Lebens

Mikroben haben fast alles erfunden, was das Leben ausmacht. Sie waren schon drei Milliarden Jahre da, bevor irgendein anderes Lebewesen auftauchte. Mikrobiome verbinden alles Leben, die Zellkommunikation untereinander, den Stoffwechsel intern, den Boden mit den Pflanzen, mit den Tieren und alles mit uns.


Pflanzen entscheiden, wählen aus, welche Mikroben sie in ihren Wurzelbereich nehmen und welche nicht. Sie halten Pathogene raus und lassen andere rein. Sie tun das durch Kommunikation. Mit gelösten Duftstoffen kommunizieren Pflanzen mit ihrem riesigen Mikrobiom in der Erde. Mikroben untereinander kommunizieren auch. Etwa ein Drittel aller Gene einer Bakterie sind für die Kommunikation da. Also auch für diese kleinsten Lebewesen ist Kommunikation das Fundament des Lebens. «Unter unseren oberflächlichen Unterschieden sind wir alle wandelnde Gemeinschaften von Bakterien. Die Welt schimmert wie eine pointillistische Landschaft aus winzigen Lebewesen», sagte Lynn Margulis, die große Biologin, die die Gaia-Hypothese mit entwickelt hat. Wir alle sind also ein ineinander verschachteltes Ökosystem und bilden zusammen einen riesigen Metaorganismus, für den Margulis den Begriff Holobiont gewählt hat. Und am Anfang stehen die Mikroben. Wir beherbergen die Mikroben beziehungsweise die Mikroben beherbergen uns. Bisher haben wir gedacht, der Mensch hat ein Darmmikrobiom, eine Pflanze hat ein Mikrobiom in den Wurzeln. Das neue Denken ist: Meine Bakterien, mein Mikrobiom und ich haben uns zusammen entwickelt. Also wer bin ich, wo höre ich auf? Wir müssen neu denken, was ein Genom ist, was eine Zelle ist, was ein Individuum, eine Pflanze ist und was das Ökosystem ist.

Wie sich Pflanzen verstehen

Wenn Pflanzen angegriffen werden, warnen sie ihre Nachbarinnen, sodass sich diese auch vorbereiten können. Man kennt inzwischen an die 2000 Duftstoffvarianten, die eine Pflanze für die Kommunikation braucht. Sie lockt damit Nützlinge an oder vertreibt Angreifer. Im Boden kommuniziert sie auch mit ihrem Mikrobiom oder mit Mykorrhizapilzen. Bei guten Mischkulturen kann das Mykorrhizanetz wie ein unterirdischer dynamischer Marktplatz sein. Pflanzen mit langen Wurzeln können Wasser zur Verfügung stellen, Leguminosen liefern Stickstoff, Phosphat lösende Pflanzen stellen Phosphate bereit. Oder Pflanzen, die besonders gut Fotosynthese machen, stellen Zuckerverbindungen zur Verfügung. Sind Pflanzen womöglich noch viel mehr auf Kommunikation angewiesen als wir Menschen, weil sie einfach nicht davonrennen können?

Man kann also sagen, eine Pflanze ist Kommunikation, eine Pflanze ist Beziehung. Patrick Grof-Tisza von der Uni Neuchâtel wies sogar nach, dass Wüstensalbei verschiedene Duftdialekte hat. Wenn Wüstensalbei im Süden von Kalifornien angegriffen wird, können Wüstensalbeipflanzen aus dem Norden dessen Warnsignale nicht verstehen und umgekehrt. Pflanzen sind also auch Individuen. Ich konnte das auf dem Weg hier hinauf auch beobachten. Da sind zwei prächtige Ahornbäume. Einer ist schon knallgelb, der andere noch ganz grün. Beide gesund. Sie reagieren unterschiedlich, sind Individuen.

Auch bei Tieren ist Kommunikation so wichtig. Zum Beispiel funktioniert ein Ameisenhaufen aufgrund von Kommunikation von unten nach oben und von oben nach unten. Und ein Ameisenhaufen ist darauf angewiesen, dass innovative, erfahrene Ameisen zu neuen Strategien finden, wenn sich die Umwelt ändert. «Eine Haupteigenschaft von Leben ist kommunizieren. Informationen austauschen, soziale Beziehungen aufbauen, sich vernetzen. Das wiederum bedingt lernen, Entscheidungen treffen, mit Absicht handeln und Ziele haben. Das gilt auch für Ameisen», sagte die Ameisenforscherin Olga Bogatyreva. Pflanzen sind also keine fein tarierten Automaten. Sie kommunizieren, sie vernetzen sich, sie lernen, sie haben Dialekte. Ameisen sind keine vorprogrammierten Roboter, die da irgendwie herumflitzen und von einer göttlichen Instanz oder Schwarmintelligenz geleitet werden. Bakterien sind nicht, wie ich das natürlich noch gelernt habe in meinem Studium, einfach nur böse Krankheitserreger, sondern wir sind fundamental auf das ganze Mikrobiom und die Bakterien angewiesen. Und weder eine Pflanze noch eine Ameise noch ich sind allein. Wir alle sind Holobionten. Wir leben durch die Beziehungen miteinander und mit der Umwelt. Eine Pflanze verändert sich. Es ist ein ständiges, ein unendliches Netz von Beziehungen, das fließt, das sich ständig ändert. Dort sind Konkurrenz und Kooperation nicht immer unterscheidbar. Wie unglaublich wenig wissen wir noch. Und andererseits, wie unglaublich viel machen wir gerade kaputt?

Was heißt jetzt Identität? In der Philosophie ist Identität etwas, was nicht von Anfang an da ist. Man erwirbt sie durch Sozialisierung. Und sie ändert sich auch. Ich habe heute eine andere Identität als noch vor 40 Jahren. Identität ist etwas Fließendes, oder wie Heraklit sagt: «Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben. Wir sind es und wir sind es nicht.» und «Panta rhei. Alles fließt.» Also ich oder der Wüstensalbei oder die Ameise bleiben zwar immer das gleiche Lebewesen, sind aber auch immer wieder ein anderes, weil sich die Welt dauernd verändert. Da sind Kommunikation und der Aufbau von Beziehungen das wichtigste Fundament.


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Bild Florianne Koechlin bei ihrem Vortrag. Foto: Johannes Kühl

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