Friedrich August Kekulé war ein deutscher Chemiker im 19. Jahrhundert. Er wollte herausfinden, wie verschiedene Atome organisiert sind. Er berichtet von folgendem Erlebnis: «Ich drehte meinen Stuhl Richtung Kamin und fiel in einen Halbschlaf. Wieder flirrten die Atome vor meinen Augen. Aber was war das? Eine der Schlangen hatte ihren eigenen Schwanz erfasst und die Gestalt wirbelte höhnisch vor meinen Augen herum. Ich erwachte blitzartig und auch diesmal verbrachte ich den Rest der Nacht damit, Konsequenzen der Hypothese auszuarbeiten.» Wenn man wissenschaftliche Entdeckungen untersucht, und dabei handelt es sich ja immer auch um Intuitionen, zeigt sich ein klassisches Bild: Menschen, die in einem bestimmten Feld spezialisiert sind, wissen viel darüber, und plötzlich, im Halbschlaf, kommt etwas dazu. In diesem Moment fragt man sich, ob diese Lösung mit dem übereinstimmt, was man schon weiß. Das ist der klassische Typus von Intuition bei wissenschaftlichen Entdeckungen. Das Zweite ist auch klassisch: Es geht um ein Erlebnis eines Professors der Neurologie und eines Assistenzarztes im ersten Ausbildungsjahr. Beide arbeiten mit dem gleichen Patienten. Der Assistenzarzt macht die Anamnese. Nach zwei Stunden gibt er einen vollständigen Bericht mit drei Diagnosen und empfiehlt entsprechende Tests. Hervorragende Arbeit. Dann kommt der Professor herein und bittet die Patientin, ein paar Schritte zu machen, die Arme zu heben und sagt dann: «Es ist dies!» Innerhalb von 30 Sekunden weiß er, was los ist. Das ist, was wir in der Literatur als medizinische Praxis auf Grundlage von Fachwissen bezeichnen.
Aus Goetheanum.tv Erik Baars: ‹Forschungsstand therapeutische Intuition› an der Tagung ‹Therapeutische Intuition› September 2024.