Wir Menschen bilden den Wirtschaftsorganismus

Zur Neuauflage von Folkert Wilkens ‹Grundwahrheiten einer organischen Wirtschaft› durch Christof Zimmermann und Christoph Möllman.


Der Hochschullehrer und Autor Folkert Wilken (1890–1981) hatte 1934, ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung, in Zürich auf Bitte von Schweizer Kaufleuten ein Buch über ‹Grundwahrheiten der organischen Wirtschaft› veröffentlicht, dessen Untertitel aufhorchen lässt: ‹Allgemeinverständliche Einführung in die Nationalökonomie›. Also verständlich für jedermensch, der guten Willens ist? Geht das überhaupt auf diesem speziellen Wissensfeld? Wohl kaum ein Gebiet menschlichen Forschens und Erkennens ist so theoretisiert, materialisiert, ideologisiert und in die Zwecke politischer Macht gestellt worden wie die Wirtschaftswissenschaft in den vergangenen 200 Jahren und auch gegenwärtig. Wer wagt es da, von ‹Grundwahrheiten› zu sprechen wie Wilken? Mit der ihm eigenen Erkenntniskraft, die ihm zweifellos auch aus der Begegnung und Erarbeitung von einschlägigen Schriften und Kursen Rudolf Steiners zugewachsen ist, bringt er in 14 Kapiteln den Lesenden das Ganze, die Organe, Prozesse, Gleichgewichte und Entwicklungen der Weltwirtschaft zur inneren Anschauung und zum Erleben. Das Buch durchzieht eine Stimmung der gegründeten Erkenntnissicherheit im Beschreiben und Durchdenken der Lebensgesetze des Wirtschaftsgeschehens.

Man braucht in den 14 thematischen Stufen seines Vorgehens keine Parallele zu den vierzehn Vorträgen des ‹Nationalökonomischen Kurses› zu sehen. Steiners Charakterisierungen des prozessualen Geschehens und seine Denkanstöße schimmern aber immer wieder durch. Wilken wählt als eigenen Ausgangspunkt für seine Annäherung an die Organik des Wirtschaftslebens ‹Die Arbeit und das Arbeiten› (Der Arbeitslose/Das Arbeitsleid/Die Arbeitsfreude). Das lag nahe im Umfeld einer durch Massenarbeitslosigkeit und Stagflation aus den Fugen geratenen Wirtschaft bei Abfassung des Buches. Er beschreibt ‹Arbeitskraft› und ‹Liebe› als die beiden tiefsten Offenbarungen des Menschen und unterscheidet im zweiten Schritt: ‹Die Arbeit und der Wirtschaftsbetrieb›. Die Arbeit für andere schafft erst die ‹soziale Wirklichkeit› durch die weltweite Arbeitsteilung. Die arbeitsfeindliche Struktur des kapitalistischen Wirtschaftsbetriebes verhindert das aber dadurch, dass die meisten Menschen durch einen Handelskauf im Geiste des römischen Rechts in die Gelegenheit zum Arbeiten eintreten müssen. Der dadurch installierte permanente Arbeitskampf ist eine Absage an die moralischen Kräfte der Wirtschaft. Im weiteren Fortgang untersucht der Autor die Gleichgewichtsgesetze und das zirkulatorische Wirtschaftswesen in der Einkommens- und Preisbildung und ihre Zusammenhänge mit den fluktuierenden Kauf-, Leih- und Schenkgeldkreisläufen. All das fordert von den Lesenden einige Konzentration, verlangt es ihnen doch ein bewegliches Denken ab, das die Oberfläche der Erscheinungen durchstößt. Auf diese Weise lässt sich finden, «dass der wirtschaftende Mensch bei all seinem – berechtigten – Egoismus immer nach objektiven Notwendigkeiten und höheren Gesetzen richten muss, will er zum Ziele kommen» (Wilken, S. 109). Als solche diagnostiziert er auch das soziale Hauptgesetz, das Gesetz des richtigen Preises, das organische Gleichgewicht der Zirkulation, die Wirtschaft als Glied des dreigliedrigen sozialen Organismus.

Bereits 1932 hat Bernhard Behrens in einer Besprechung von Wilkens Buch ‹Die Metamorphosen der Wirtschaft, eine Neubegründung der Nationalökonomie nach geisteswissenschaftlicher Methode› (Gustav Fischer, Jena 1928) in der Wochenschrift ‹Goetheanum› (Heft 26) darauf hingewiesen, wie Folkert Wilken es vermag, den Vorstellungsinhalt der theoretischen Nationalökonomie mit metamorphosierendem Denken selbstständig umzuformen. – So mag es denn als gutes Omen gewertet werden, dass Wilkens ‹Grundwahrheiten› von 1934 durch die Initiative von Christof Zimmermann und Christoph Möllmann jetzt der Vergessenheit entrissen sind – mitten in einer bewusstseinsverwirrenden Zeit, in der bare Machtpolitik sich anschickt durch Sanktions- und Zollpolitik und Kriegswirtschaft die weltwirtschaftlichen Gleichgewichte zu ruinieren. Eine Ermutigung, sich einer anthroposophischen Gretchenfrage zu stellen: Wie hältst du es mit dem vertieften Verständnis, der Durchdringung und Erschaffung eines menschheitlichen organischen Wirtschaftslebens?


Buch Folkert Wilken, Grundwahrheiten einer organischen Wirtschaft, Verlag Ch. Möllmann, Borchen 2025

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