Das Buch ‹Die Wunder von Entwicklungen› von Jan Diek van Mansvelt ist eine wundervolle Einladung, sich zu den vielfältigen Erscheinungen des Lebens in der Pflanzenentwicklung, im Lebenslauf des Menschen und in der Entwicklung von Projekten aufzuschwingen.
Jan Diek van Mansvelt (1943–2024) legte mir das Manuskript zum niederländischen Original des querformatigen, reich bebilderten und ästhetisch sehr ansprechend gestalteten Buches aus seiner Begeisterung für dieses Projekt noch im Jahr 2019 vor. Bereits im Jahr 2020 erschien es auf Niederländisch unter seiner Autorenschaft mit dem Titel ‹Wonderen van ontwikkeling. Plant, mens, project›. Es wurde sein letztes Werk und dadurch auch ein Vermächtnis. 2022 lag das Buch auch auf Englisch vor: Jan Diek van Mansvelt (with a contribution by Pieter van der Ree), ‹Wonders of Development in Plants, People, and Projects›. Seit 2024 kann das Buch nun auch auf Deutsch gelesen werden. Autor und Urheber des Buches ist Jan Diek van Mansvelt, Biologe, Phänomenologe, Mitbegründer des Louis-Bolk-Institutes und schließlich auch Professor für ökologischen Landbau an der Universität in Wageningen. Pieter van der Ree steuerte ein Kapitel über Projektverläufe im Architektenleben bei.
Desiderat
Neben seiner reichen, instruktiven und ästhetisch ansprechenden Bebilderung ist das Buch vor allem durch die Übertragung der Erkenntnisse der Metamorphose der Pflanze (durch alle ihre Entwicklungsstadien) auf den Menschen (leibliche und biografische Entwicklung; Entwicklung vom Auto-Design bis hin zu Prozessverläufen bei architektonischen Projekten) lehrreich und lesenswert. Zu den vielen Aha-Erlebnissen, die man zum Beispiel an der Metamorphose des Pflanzenblattes haben kann, gehört, dass man intuitiv diese Verwandtschaft zum Lebenslauf des Menschen oder zum Gang etwa eines Forschungsprojektes erahnt. Zumeist bleibt es aber bei einem mehr oder weniger untergründigen Ahnen. Eine gediegene Ausarbeitung der Wesensverwandtschaft dieser drei Bereiche stand bislang aus. Sie war ein unausgesprochenes Desiderat. Jan Diek van Mansvelt ist mit dem vorliegenden Buch dieses längst überfällige Projekt angegangen. Und was er dabei aufgedeckt hat, ist nichts weniger als – das Rätsel des Lebens.
Des Lebens Rätsel
Freilich legt der Autor die Lösung dieses Rätsels nicht ein für alle Mal auf den Tisch. Das würde dem Leben in keiner Weise entsprechen. Leben ist nicht festlegbar, es ist nicht anzuhalten. Als etwas, das im steten Wandel ist, will es immer wieder neu wirksam sein und neu errungen werden. Es liegt nicht als gegebenes Objekt zu unseren Füßen. Leben lässt sich nicht mit einer sinnlich-dinglichen Auffassungsweise erfassen, geschweige denn begreifen. Es ist ein übersinnliches Phänomen, das nur mit ‹neuen Organen› erfasst werden kann. Zur Ausbildung dieser Organe ist – wie das Buch zeigt – das Einarbeiten in die Verwandlungsprozesse der Pflanze ein nicht nur möglicher, sondern ein urbildlicher Übungsweg. Wir müssen selbst seelisch-geistig aktiv werden, damit die Phänomene des Lebens aufscheinen und damit auch beobachtbar werden können. Wir bringen dabei hervor (sind also schöpferisch tätig) und nehmen zugleich wahr.
Lesen im Buch der Natur
Das Buch bietet Gelegenheit, sich im Erfassen des Lebens zu üben. Durch die Betrachtungen von Jan Diek van Mansvelt wird deutlich, dass es dazu auch der Sach- und Detailkenntnis bedarf. Es bedarf eines Wissens, das nicht durch abstrakte Lehrbücher und durch Auswendiglernen erworben werden kann, sondern durch ein geführtes und gediegenes Beobachten am Phänomen selbst. Es ist wie beim Lesenlernen: Wir müssen nicht erst die Geschichte der Schrift und der Buchstaben studiert haben, um lesen lernen zu können. Wir lernen das Lesen durch das Lesenüben. So ist es auch mit dem Buch der Natur: Wir lernen es am besten dadurch zu lesen, dass wir uns seinen Erscheinungen beobachtend, denkend und erlebend zuwenden.
Schönheit
Das übersinnliche Leben selbst ist dabei unser Lehrmeister. Es löst allzu fest gewordene Vorstellungen auf und hält doch das Geistige in Verbindung mit dem Sinnlichen. Dadurch wird das Leben schön. Davon zeugen die wissenschaftlich wie ästhetisch so gelungenen Illustrationen von Gerda Peters, Willem Beekman, Frank de Bruijn und Sipke Huismans. Das Arrangement des Dargestellten scheint sich wie von selbst aus dem einfühlungsvollen Zuwenden zur Sphäre des Lebens ergeben zu haben. Jeder, der vom Hauch des Lebens berührt wird, weiß, wie die Beschäftigung mit der Natur zur Kunst führt. Durch unser Denken weht derselbe Wind wie durch die Schöpfungen unserer kulturellen Entwicklung und wie durch die Schöpfungen der Natur: das sich stets entwickelnde und verwandelnde Leben.
Buch Jan Diek van Mansvelt/Pieter van der Ree: Die Wunder von Entwicklungen bei Pflanzen, Menschen und Schöpfungen des menschlichen Geistes.