Ein Buch für die Bewusstseinsseele, die außerhalb unserer Vorstellung liegt.
Die finnisch-nigerianische Autorin und Journalistin Minna Salami ist vor allem bekannt geworden für ihren Blog ‹MsAfropolitan›, in dem sie aus dem Blickwinkel ihres weiblichen Farbigseins die Welt beschreibt. Sich selbst sieht sie verwurzelt im Feminismus, und zwar im ‹schwarzen Feminismus›. Der Untertitel ihres 2021 auf Deutsch erschienenen Buches ‹Sinnliches Wissen› lautet: ‹Eine schwarze feministische Perspektive für die Welt›. Damit hat sie ein Werk geschaffen, welches für all jene interessant ist, die sich mit der Dekolonialisierung des Denkens beschäftigen und dabei verstehen wollen, was es für eine (farbige) Frau bedeutet, in einem weißen Wissenschaftssystem um Gehör zu kämpfen. Falls jetzt die Alarmglocken angehen, weil man vermutet, dass es eine ‹Jammerei› darum geben wird, dass Frauen nicht gehört werden, dem sei hier schon mal gesagt, dass das ganz und gar nicht der Fall ist.
Das Buch beginnt mit der Geschichte vom Berg, auf dem Schätze vermutet werden. Ein weißer Mann erklimmt ihn, findet aber nichts, kein Gold, keine Weisheit. Jahre später besteigt eine schwarze Frau den Berg und entdeckt den Reichtum und die Schönheit der Natur. Daran entspinnt sich in neun Kapiteln unser Verhältnis zu Wissen und Macht. Die Frage, was als Wissen gilt und wer das festlegt, ist dabei zentral. Wieso wertet die westliche Welt Poesie, Kunst, Mythen, Gefühle, Erzählungen und auch Schönheitsempfinden nicht als zulässige Quellen, die uns von der Welt wissen lassen? Ein erstes Aufwachen beginnt. Ja, tatsächlich sind wir sehr europatriarchal geprägt. Wer hat das eigentlich festgelegt? Minna Salami macht deutlich, dass sie nicht gegen dieses Europatriarchat kämpfen will. Denn damit würde sie es ja glatt wieder in den Mittelpunkt stellen. Sie will nichts weiter als ihre eigene Geschichte erzählen, ihren eigenen Blick zu dem des weißen Mannes dazustellen, damit wir nicht Bereiche übersehen, die uns ebenfalls Wissen vermitteln. Dieses Alles, welches nicht ‹Wissenschaftswissen› ist, nennt sie erst einmal verallgemeinernd sinnliches Wissen.
Vom Wissen über die Befreiung, die Dekolonialisierung, die Identität, das Schwarzsein, das Frausein, die Schwesternschaft und die Macht gehen Lesende den Weg durchs Buch, der bei der Schönheit endet. «Schönheit in einem unterdrückerischen System widerlegt das System, da sie im krassen Gegensatz zur Hässlichkeit der gesellschaftlichen Ordnung steht.» (S.193)
Minna Salamis Ausführungen sind niemals abstrakt theoretisch, sondern immer gespeist von echten Erfahrungen, von Fakten aus dem Leben, seien sie der Popkultur entlehnt oder den philosophischen Kreisen der Geschichte. Gleichzeitig bindet sie sich selbst an ihre nigerianischen Wurzeln in der Yorubakultur. Wunderbare Einblicke sind also auch hier möglich.
Mich hatte der Feminismus bisher immer eher abgeschreckt, weil er mir zu rabiat daherkam. Dieses Buch hat mir etwas erschlossen, vielleicht gerade, weil nicht nur über Feminismus geschrieben, sondern diesem die Frage nach unserer Wissensgenerierung beigeordnet ist. Damit erfährt die Polarität Mann/Frau eine wohltuende Steigerung. ‹Race› ist darin eine weitere Diskriminierungsdimension, die wiederum das Unberücksichtigtlassen von anderen kulturell einflussreichen Wissensschichten verdeutlicht. Gleichzeitig ist das Buch ein Quellenverzeichnis für Gedanken, Malereien und Literatur von farbigen Frauen der ganzen nicht westlich-weißen Welt, die bei uns bisher nicht so deutlich wahrgenommen wurden. Also ein Fundus, um weiterzuschreiten.
Es ist ein tolles Buch, das gerade durch die für mich eher unbekannten Anschauungen meine eigenen entlarvt. Aber das geschieht ohne gestreckten Zeigefinger, sondern einfach im Kontext unserer weltweiten Kulturgeschichte, nicht nur der, die von Europäern geschrieben wird. Mir schien fast, Minna Salami hätte das Buch für uns Weiße verfasst. Aber sie schließt sich selbst und auch schwarze Männer, nicht aus, in diese Fallen zu tappen, denn sie gelten für People of Color genauso. Damit wir uns nicht auflösen an unseren eigenen, domestizierten Vorstellungen vom Wissenschaftsgott, sei dieses Buch sehr empfohlen.