Preis und Segen der Menstruation

Menstruation ist ein rätselhaftes und auch unter Frauen wenig besprochenes Geschehen des weiblichen Organismus. Um dies zu verstehen, lohnt es sich in die Kulturgeschichte zu blicken.


Das Fließen von Blut sowie der Zusammenhang des weiblichen Zyklus mit den Mondphasen, der laut Rudolf Steiner auf sehr alte Zeiten zurückgeht, brachte in den Völkern frühgeschichtlicher Zeiten die Frauen mit kosmischen Kräften in Verbindung und sprach ihnen magische, heilende Kräfte zu. Die Menstruationszeit verbrachten sie in besonderen, geheiligten Bezirken unter religiösen Vorschriften, zum Beispiel den Boden nicht zu berühren oder nicht in die Sonne zu schauen. Mondkönige und Mondgöttinnen wurden in vielen Ethnien verehrt, Mondkulte abgehalten. Noch im 17. Jahrhundert war es bei den Indigenen in Virginia (USA) Brauch, dass die Mädchen beim Pubertätsritus in eine Grube eingesenkt drei Tage lang fasteten und dann ihre Zukunft träumten. Aus vorhistorischen Zeiten (vom «alten Mond») stammte laut Rudolf Steiner die ehemalige Konstitution der Frauen, gemeinsam bei Vollmond den Eisprung und bei Neumond die Blutung zu haben. Davon sei bis heute der Rhythmus in seinen Phasen geblieben, aber die Frauen können ihn nun individualisieren. Dies zeigt einen harmonischen Zusammenklang von Gebundenheit und Freiheit. Ferner tritt hier das Phänomen auf, dass ein Relikt aus früheren Zeiten in der ‹falschen› Epoche nicht schädlich wirkt.

Als der Zugang zu kosmischen Vorgängen verloren ging, wurde die menstruierende Frau unheimlich und mit der Zeit ausgegrenzt und verachtet. Ekel und Abscheu der Männer gegenüber der Menstruation äußerten sich in den USA des 20. Jahrhunderts in Namen wie ‹Ekelkur›, ‹böses Blut›, ‹rote Hölle›, ‹rote Flagge zeigen (on the rag)›. Frauen wurden nun auch aufgrund der monatlichen Beschwerden zum schwachen Geschlecht erklärt. Sie übernahmen größtenteils diese Zuschreibungen selbst; es wurde nur verhalten über Menstruation gesprochen. Die zweite Frauenbewegung Ende der 1960er-Jahre nahm den weiblichen Körper bewusst ins Zentrum ihrer Politik und ihres Diskurses. Damit konnte über Menstruation und ihre Begleiterscheinungen immer offener gesprochen werden. Im Buch ‹Die weise Wunde Menstruation› von Penelope Shuttle und Peter Redgrove wurden 1978 starke Menstruationsbeschwerden mittels Psychoanalyse und Traumanalyse nach C. G. Jung behandelt und ganz neu in einen kulturgeschichtlichen, psychologischen und medizinischen Kontext gestellt. Wie sieht es heute mit dem Thema aus, das immer noch nicht ganz ‹salonfähig› ist? Aus der Anthroposophischen Medizin können Aspekte der Menstruation vielfach erweitert werden. Der Frauenrat organisierte deshalb zwei Onlinevorträge der Berliner Gynäkologin Angelika Maaser, die in der Gesellschaft Anthroposophischer Ärztinnen und Ärzte (GAÄD) tätig ist. In diesem Interview wollen wir das Thema Menstruation im anthroposophischen Ansatz vertiefen.


Barbara Messmer: Liebe Angelika, zunächst bitte ich dich, allgemein etwas über den Zyklus der Frau aus den Erfahrungen in deiner frauenärztlichen Praxis zu sagen.

Angelika Maaser Zunächst einmal ist dieser Zyklus etwas ganz Wunderbares. Wir sind als Frauen durch ihn auf natürliche Weise angeregt, uns ständig zu verändern und ständig in Bewegung zu bleiben. Es ist ein schwingender Rhythmus, der sich in alten Zeiten nach dem Mond richtete, dessen Kräfte wir aber heute nach innen genommen und individualisiert haben – so ist auch jeder Zyklus individuell. Zyklen, und das ist mir ganz wichtig, von 24 bis 35 Tagen sind völlig normal, und sie dürfen sich auch mit dem Leben und seinen Anforderungen verändern. Es ist eben kein gleichförmiger Takt, der vorgegeben ist, auch die 28 Tage sind zunächst nur eine statistische Größe. Es wurde übrigens heute durch die Zyklus-Apps herausgefunden, dass der Durchschnitt 29 Tage ist, was sich mit den verschiedenen Mondzyklen auch gut erklären lässt.

Wir haben als Frauen die Möglichkeit, an Veränderungen des Zyklus zu erkennen, wenn unser Leben aus dem Rhythmus gekommen ist, und können es dann vielleicht entsprechend verändern. Interessant ist, dass sich das Menarche-Alter, das heißt das Alter bei der ersten Menstruation, immer weiter nach vorn verschiebt. Es werden eine Reihe von Gründen dahinter vermutet: die frühe Intellektualisierung und Reizüberflutung, Impfungen, die Ernährungsgewohnheiten oder auch psychologische Gründe. Leider gibt es noch zu wenig Studien darüber. Spannend ist aber, dass Waldorfschülerinnen im Mittel circa ein Jahr später ihre Periode bekommen. Wenn die Periode zu früh einsetzt, mit acht oder neun Jahren, ist das natürlich schwierig für die Mädchen, die dann im Körper einer Frau sich wiederfinden, was ihrer seelischen Entwicklung aber noch gar nicht entspricht.

Für dich teilt sich der Zyklus in zwei Hälften. Könntest du die beiden in ihrem biologischen Vorgang in Idealform schildern und das Wechselspiel der Wesensglieder in diese zwei Abläufe einbeziehen?

Die erste Zyklushälfte ist vom Aufbau geprägt, die oberen Wesensglieder Astralleib und Ich sind leicht gelockert und der Körper strotzt sozusagen vor Aufbaukräften: Die Gebärmutterschleimhaut wird aufgebaut, die Haut ist besser durchblutet, die Haare und Nägel wachsen schneller und das seelische Befinden der Frau ist von Vitalität, Lebendigkeit und Offenheit gegenüber der Welt geprägt. Diese Entwicklung findet ihren Höhepunkt beim Eisprung, wofür der Follikel (Eibläschen) zerplatzen muss. Wo Physisches (Follikel) zugrunde geht, kann Geistiges eintreten: Es kann hier zur Befruchtung kommen.

Die zweite Zyklushälfte ist dann von einem tieferen Eingreifen der oberen Wesensglieder geprägt. Die Gebärmutterschleimhaut wird umgewandelt und differenziert sich, in das vorher strotzende Wachstum kehrt Ruhe ein und auch seelisch sind die Frauen mehr zurückgezogen und in sich gekehrt. Dieses verstärkte Eingreifen des Ichs kann man bei vielen Frauen auch an einer Erhöhung der Basaltemperatur um circa ein halbes Grad Celsius in der zweiten Zyklushälfte ablesen. Es gibt Untersuchungen, die sogar zeigen, dass diese Veränderungen bis in die Sprache gehen, die in der ersten Zyklushälfte reicher an Adjektiven und Nebensätzen – insgesamt klassischer – ist und in der zweiten Zyklushälfte eher statischer und gesetzter.

Shuttle/Redgrove behaupten, dass in der prämenstruellen Phase (PMS), also der zweiten Zyklushälfte, eine Seite der Frauen hochdränge, die sie sonst nicht leben, weil sie ja pflegeleicht sein wollen, nämlich: wütend sein, sich abgrenzen, sich Rechte herausnehmen. Kannst du da mitgehen?

Ja, unbedingt. Ich würde es ein wenig anders formulieren. In der zweiten Zyklushälfte ist das Bedürfnis nach Rückzug und Zeit für sich deutlich größer und die Anforderungen, die auch bei ausreichender Kraft vielleicht grenzwertig sind, werden dann als überfordernd und überbordend erlebt, sodass die Frauen diese nach außen abwehren müssen. Ich bin sicher, viele Frauen würden die Schutzräume, die es für Menstruierende früher gab, in denen sie ungestört waren, zurücksehnen. Einer meiner ersten Behandlungsschritte beim PMS ist, die Frauen zu ermuntern, sich diese Rückzugsmöglichkeit ein Stück weit zuzugestehen, sofern es ihr Alltag erlaubt. Da haben die jungen Frauen heute mit ihrer ‹Zyklus-gerechten Lebensweise› eine wichtige Diskussion angestoßen, auch wenn man politisch damit sicher vorsichtig sein muss.

Welche Besonderheiten sind bei der Blutung für den weiblichen Organismus zu erwähnen?

Blut ist hier etwas ganz Besonderes und über die Menstruation erneuert sich unser Blut jeden Monat ein bisschen, gleichzeitig verliert der Körper ein wenig von seinem Eisen und muss dieses neu aufnehmen und einbauen. Das heißt, der Umgang mit dem Eisen und seinen Kräften ist auch ein sehr lebendiger. Besonders gut lässt es sich an den starken Blutungsstörungen verstehen: Da beschreiben Frauen, dass ihre Lebenskraft aus ihnen herausrinnt, und gerade die starken Blutungen am Anfang der Wechseljahre werden als lebensbedrohlich erlebt.

Wichtig ist in dem Zusammenhang vielleicht zu erwähnen, dass Frauen früher viel, viel weniger menstruierten, weil sie lange Pausen in Schwangerschaft und Stillzeit hatten. Das heißt, Frauen hatten früher ungefähr 40 Perioden in ihrem Leben, während wir heutigen oft auf circa 400 kommen.

Shuttle/Redgrove meinen ja, dass die Menstruation eine «weise Wunde» sei, denn ein kurzer «Augenblick der Wahrheit» könne in dieser Zeit eintreten. Was sagst du dazu?

Das ist eine sehr schöne Formulierung, und es ist ja eine sehr besondere Wunde, denn, während das Blut noch abfließt und der alte Zyklus beendet wird, beginnt ein Zyklus von Neuem. Ende und Anfang sind in einem Moment zusammen. Zudem wird Blut der Erde übergeben.

Wie gestaltet sich der Rhythmus des weiblichen Zyklus in der Zeit der Antibabypille und unter unseren zivilisatorischen Lebensbedingungen?

Der Zyklus mit seinen Störungen kann für viele Frauen unter heutigen Bedingungen überfordernd sein, weil es eben keine Freiräume gibt, sich ein Stück weit danach zu richten. Die Pille unterdrückt den körpereigenen Rhythmus; an seine Stelle tritt ein gleichförmiger Pillentakt, die Blutung ist keine echte Menstruationsblutung, sondern eine Hormonentzugsblutung, sozusagen gefälscht. Es gibt ja bei einer Reihe von Beschwerden – manchmal auch ohne – die Empfehlung, die Pille im Langzyklus ohne Pause durchzunehmen, und da stellt sich immer die Frage, ob eine gefälschte Blutung besser ist als gar keine. Diese Frage muss jedoch jede Frau individuell beantworten. Der Wirkmechanismus der Pille ist eben der, dass der Eisprung unterdrückt wird, und der Eisprung ist immer eine Hinwendung zum Kosmos, in der eine Ahnung des Kommenden entstehen kann. Möglicherweise findet bei langer Pilleneinnahme diese Öffnung nicht statt und das kommen Wollende wird vielleicht übersehen. Auch fällt natürlich die Funktion der Unregelmäßigkeiten des Zyklus, dass ich vielleicht anders mit mir umgehen könnte, weg. Manchmal allerdings kann diese Unterdrückung eine Hilfe sein, wenn die Umstände des Zyklus so sind, dass ein Funktionieren im Alltag nicht mehr möglich ist. Ich bin oft sehr dankbar für diese Möglichkeit, nur sollten Frauen wissen, was sie dabei tun.

Ich möchte noch zwei Themen im Leben einer Frau berühren. Das erste ist die Unterbrechung im Menstruationszyklus: die Schwangerschaft als Ausnahmezustand.

Über die Wunder der Schwangerschaft können wir gern mehrere Stunden sprechen. Das Wesensgefüge der Frau verändert sich, die oberen Wesensglieder lockern sich und geben dem ätherischen Wachstum, dem Werdenden Raum. Dadurch sind Schwangere ein Stück weit der Erde entzogen, auf der anderen Seite entwickelt sich ein neuer irdischer Leib in ihnen. Rudolf Steiner beschreibt, wie der Uterus, insbesondere der schwangere, ein Stück Kosmos auf Erden ist. Wenn wir diese Gedanken als Grundlage für den Umgang mit der schwangeren Frau in uns tragen, ergibt sich ein guter, würde- und respektvoller Umgang wie von selbst.

Und das zweite Thema ist das endgültige Ende der Menstruation, das Klimakterium.

Wir Menschen sind mit den Walen die einzige Spezies, in denen es ein Leben für Frauen nach der Fruchtbarkeit gibt, dessen Spanne sich bei einer Lebenserwartung von circa 85 Jahren auf fast gut ein Drittel des Lebens erstreckt. Die Kräfte, die vorher zum Auf- und Abbau im Zyklus genutzt wurden, können nun mit der Menopause zu geistigen Kräften werden. Dieser Übergang ist, wie Übergänge so oft, nicht immer ganz reibungslos, zwingt uns jedoch oder drängt uns, mit Wachheit in die neue Lebensphase zu gehen. Und der Zuwachs an seelisch-geistigen Kräften, den ich an vielen meiner Patientinnen beobachten kann, wenn sie sich nicht mehr im Körperlichen ausdrücken, sondern frei auch im Dienen für die Gemeinschaft zur Verfügung stehen, ist ungeheuer beeindruckend.

Vielen Dank, liebe Angelika, für die erhellenden Beschreibungen und Ausblicke!


Frauenrat der Anthroposophischen Gesellschaft

Im Frauenrat der Anthroposophischen Gesellschaft sind derzeit sieben Frauen engagiert: Dagmar Elbel-Piehler (Hannover), Birgit Grube-Kersten (Berlin), Friedlinde Hüther (Mannheim), Karin Kesper-Kirsch (Koblenz), Margarete Kokocinski (Mannheim), Petra Kühne (Frankfurt), Barbara Messmer (Frankfurt). 2014 entstand aus gemeinsamen Kräften die Ausstellung ‹Friedensimpulse von Frauen›, die bis 2020 an verschiedenen Orten Deutschlands zu sehen war. Seit 2019 gibt es eine Broschüre zur Ausstellung. 2023 wurde das zehnjährige Jubiläum mit einem großen Fest gefeiert. Außerdem ist eine Frauenbibliothek mit Onlinekatalog mit derzeit über 1000 Büchern im Entstehen. Über 30 Frauen begleiten den Frauenrat aus der Ferne.

Die Frauenrätinnen befassten sich mehrere Jahre mit den vier Wesensgliedern des Menschen nach Rudolf Steiner und bezogen sie auf die Konstitution von Mann und Frau. Die Gendersprache, die paritätische Besetzung in Gremien, das Friedensthema, weibliche Vorbilder, Matriarchat, herausragende Anthroposophinnen, feministische Literatur und weibliche Formate bei Veranstaltungen sind weitere Themen. Und nicht zuletzt beschäftigen wir uns seit Beginn mit Erkenntnisfragen, wie sie im 14. Kapitel der ‹Philosophie der Freiheit› aufgeworfen werden. Ist die leibliche Grundlage nur Widerpart für den Geist oder wirkt sie entscheidend auf ihn ein für eine Entwicklung zum freien, ganzen Menschen?


Foto Christina Deravedisian

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