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Ich meditiere nicht

Wer von Anthroposophie reden will, der sollte von Meditation nicht schweigen. Überhaupt erfreut sich Meditation heutzutage weltweit zunehmender Beliebtheit. Doch was genau hat es damit auf sich? Und welche Abgründe tun sich dabei auf? Philip Kovce versucht, sich angesichts der gegenwärtigen Situation der Meditation – auch der anthroposophischen – individuell zu positionieren.


Während Donald Trump in seinem Tower darauf wartete, Barack Obama als us-Präsidenten abzulösen, schlenderte ich durch die Straßen von New York und blieb immer wieder vor Plakatwänden, Litfaßsäulen oder Leuchtreklamen stehen, auf denen zu lesen war: «I meditate …» Es handelte sich dabei um die Marketingkampagne einer Meditations-App. Glückliche Mütter, tüchtige Manager und hübsche Models vervollständigten jeweils den «I meditate…»-Satz, indem sie einen wissen ließen, dass sie für «Happiness», «Business» oder «Fitness» meditierten. Erfolgreich. Jederzeit. Dank der App. Dieser Anblick ließ in mir einen Gegen-Satz aufsteigen, der wie auf einen solchen Anlass gewartet hatte, um endlich einmal mir selbst gegenüber klar und deutlich ausgesprochen zu werden: Ich meditiere nicht.

Jüngst fand ich auf einem Flyer eine Tagung angekündigt, welche von sich behauptete, «die anthroposophische Meditation einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, sodass daraus für möglichst viele Menschen eine regelmäßige Meditationspraxis erwachsen kann». Ich fühlte mich ausgeladen, ja, mehr noch: abgestoßen. So geht es mir auch angesichts all der anderen Flyer, die inzwischen ganz unbescheiden damit werben, dank «anthroposophischer Meditation» Verstorbene ansprechen, Elementarwesen anrufen, Inkarnationsfolgen anschauen, Doppelgänger durchleuchten, Engel verstehen, Christus erkennen, kleine und große Hüter kleiner und großer Schwellen befragen zu können etc. Wieder und wieder steigt in mir angesichts dieser Verheißungen der besagte Gegen-Satz auf: Ich meditiere nicht. Aber stimmt das überhaupt? Und wogegen wendet sich dieser Satz eigentlich?

Beispiel Meditations-App: Es scheint zur Dialektik der Digitalisierung, ja, Industrialisierung, ja, Technisierung zu gehören, dass wir uns von allerlei Gerätschaften gerade jenes Heil versprechen, zu dessen Verlust sie entscheidend beitragen. Wir wollen uns buchstäblich freikaufen, nachdem wir uns freiwillig haben gefangen nehmen lassen. Das Smartphone als digitaler Guru ist der neue Meister, von dem wir nichts mehr lernen, sondern einfach beliefert werden wollen: mit kostspieligen Zutaten für «Happiness», «Business» oder «Fitness». Anstatt die Ökonomie zu spiritualisieren und an der Welt wirklich Anteil zu nehmen, ökonomisieren wir die Spiritualität und verlieren uns selbst.

Beispiel Tagungsflyer: Ist das Ziel der größten Zahl («möglichst viele Menschen») nicht wirklich kleinlich? Könnte es nicht sein, dass es ebenso wichtig ist, «anthroposophische Meditation» kennenzulernen, um zu wissen, dass man gerade so nicht meditieren sollte? Und überhaupt: Ist das nicht der völlig falsche Diskurs? Meditation als allein seligmachendes Allheilmittel für alle und alles? Meditation als Distinktionsmerkmal einer spirituell korrekten anthroposophischen Existenz? Bloß nicht! Steiners größte Leistung scheint mir hier weniger in all den beispielhaften Übungen und überlieferten Erkenntnissen als darin zu bestehen, den Schüler zum Lehrer seiner selbst werden zu lassen und den Lehrer als Guru abzuschaffen. Ich bewundere all jene, die sich, experimentell und existenziell, dank Steiners Meditationsanregungen selbst schulen, aber ich erschrecke auch immer wieder, wenn ich Dienst-nach-Vorschrift-Denker treffe, denen ins Gesicht geschrieben steht, dass der «anthroposophische Schulungsweg», den sie gehen, nicht der ihre ist und die auch noch andere auf diesen Weg drängen wollen.

Und ich? Meditiere ich nun? Ich würde eigentlich nicht sagen, dass ich nicht meditiere. Ich würde eher – paradoxerweise? – sagen, dass ich mich durch diese oder jene Meditation nicht vom Meditieren abhalten lasse. Ich meditiere mich. Mein Leben ist eine Meditation. Ich lerne mich dank dieser Meditation, die ich lebe, kennen. Ihr Schauplatz: die Welt (die ‹geistige› natürlich, eine andere gibt es nicht). Ihre Hauptübung: mein Schicksal (also: meine Freiheit). Ihre Folgen: meine Taten. All die Meditationen, die ich dann und wann meditieren ‹wollte›, erwiesen sich früher oder später als ‹gewollt› (meinerseits) oder ‹gesollt› (andererseits).

Kurzum: Ich meditiere nicht Meditationen, sondern das Leben. Ich übe, spiele, forsche. Ich bin Autobiografiearbeiter. Ich absolviere meinen Lebenslauf als Langzeitstudie. Ich bin mein eigener Schüler, auf dass mich die anderen belehren. Ich bin kein Hellseher. Ich sehe hell und dunkel. Das Leben weiht mich ein, wenn ich es nicht verpasse. Am Lebensweg führt kein Erkenntnisweg vorbei.

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