Zwei Töchter sterben im Nahostkonflikt. Ihre Väter Bassam Aramin und Rami Elhanan leben vor, wie man eine Perspektive findet. Sie sprechen am Goetheanum mit Udi Levy über Konflikt, Trauer, Bruderschaft und Frieden.
«Als Kinder- und Jugendärztin habe ich bei der um sich greifenden Lebensangst und Depression die Frage, wie man junge Menschen ermutigen kann, aus Schicksalsschlägen wieder aufzustehen.» Das sagt Karin Michael, Co-Leiterin der Medizinischen Sektion. Wie Bassam Aramin und Rami Elhanan mit dem Schicksal ihrer Familien umgehen, sieht sie als Vorbild dafür, aus schwierigen Erfahrungen positiv in die Zukunft zu wirken. Bassam Aramin und Rami Elhanan leben im Westjordanland und in Israel; sie vereint das Schicksal, ein Kind im Nahostkonflikt verloren zu haben: die zehnjährige Abir durch einen israelischen Grenzpolizisten, die vierzehnjährige Smadar durch einen palästinensischen Selbstmordattentäter. Beide Väter haben sich im ‹Parents Circle – Families Forum› kennengelernt und dort zusammengearbeitet, einer Organisation für Menschen, die im israelisch-palästinensischen Konflikt Angehörige verloren haben.
Marion Debus, ebenfalls im Leitungsteam der Medizinischen Sektion: «Das Prinzip der Vergeltung lebt in der vergangenheitsbezogenen physischen Kausalität und führt zur Zerstörung; Verzeihen ist immer etwas Unerwartetes, aus der Freiheit des Individuums Rührendes, das in einer verworrenen sozialen Situation heilend wirkt.» Sie schätzt die romanhafte Darstellung des Umfeldes von Bassam Aramin und Rami Elhanan im Buch ‹Apeirogon› von Colum McCann. «Der irische Schriftsteller zeigt auf, wie die Menschheit auf das Komplexeste miteinander verwoben ist, und legt dabei Aspekte des Schicksalsnetzes des Palästinakonflikts behutsam frei: So zeigen sich innere und äußere Bedingungen für den Konflikt nicht als monodirektionale Kausalkette, sondern als Wechselursachen.» Solch ein Geschehen, so wird deutlich, beruht auf Beziehung. Karin Michael hofft, dass sich weitere durch diese Art des Umgangs mit tragischen Umständen ermutigt fühlen, ihre Erlebnisse in ihre Gemeinschaften einzubringen: «In jeder Gemeinschaft lebt die existenzielle Frage, wie man ehrlich verzeihen kann, wenn man durch die Schuld anderer Verlust oder Verletzung erlitten hat.»
Gespräch Wie aus tiefstem Schmerz Bruderschaft wird. Bassam Aramin und Rami Elhanan im Gespräch mit Udi Levy, 15. Oktober 2024, 19 Uhr, Goetheanum.