Der Wahlkampf hat ein Ende, aber es wird weitergekämpft. Die US-Wahl aus Sicht der sozialen Dreigliederung.
Trump ist laut. Aber nicht nur Trump ist laut. Auch unsere Gefühle sind es. Sie schreien aus Angst, Hass, Hoffnung, Jubel. Der Versuch, Politik zu diskutieren, wirkt wie der Versuch, eine Studiengruppe auf einem Heavy-Metal-Konzert abzuhalten. «Verzeihung, könnten Sie die Lautstärke nur ein wenig runterdrehen?» Es wird nicht funktionieren. Wir müssen das Volumen in uns selbst runterdrehen.
Wenn wir das tun, sehen wir, dass Trumps Erzählung keineswegs neu ist. Es ist dieselbe, die zu jeder Wahl erzählt wird: Das System funktioniert nicht, wir brauchen einen Wandel, wir brauchen einen, der es repariert (Wahlkampf-Slogan: «Trump will fix it»). Dieses Mal ist es Trump, der für den Wandel steht. Aber auch Obama hat vor ihm damit geworben (Wahlkampf-Slogan: «Change we can believe in»), und so hat es eigentlich jeder Präsident getan. Es ist auch die Geschichte, der sich Kamala Harris weitestgehend verweigert hat. Als sie in ‹The View› gefragt wurde: «Hätten Sie in den letzten vier Jahren etwas anders gemacht als Präsident Biden?», antwortete sie bekanntermaßen: «Da fällt mir nichts ein.»
Während Trumps Geschichte zwar nicht neu ist, ist es doch die Lautstärke. Wie wir sie von allen Seiten rausbrüllen – durch die Zeitungen, über Werbetafeln und auf Rasenschildern. Es geht um Leben und Tod, um Jetzt oder Nie! Entweder verteidigen wir die Demokratie oder wir verlieren sie! Wir wählen einen Tyrannen oder einen Erlöser.
Wie können wir in der brodelnden Hysterie leben?
Es wurde berichtet, dass Harris Trump am Tag nach der Wahl angerufen und gratuliert haben soll und dass beide Führungspersönlichkeiten sich einig gewesen seien, wie wichtig es sei, das Land zu einen. Aber was bedeutet das überhaupt? So lange wurde uns gesagt, Trump sei ein Faschist, der Amerika zerstören wird. Und jetzt sagt Harris, wir sollen uns unter einem faschistischen Anführer vereinen?
Jetzt stehen wir vor zwei Gefahren: Einmal kann aus der Hysterie Erschöpfung werden – wenn der Wecker nie aufhört zu klingeln, kann man auch weiterschlafen. Oder aus der Hysterie wird Gewalt: Menschen lehnen sich auf der Straße gegeneinander auf. Beides kann uns in den Faschismus führen. Wenn sie es tun, dann aufgrund der Hysterie. Beides könnte wirklich während einer zweiten Amtszeit von Trump passieren. Aber was nicht möglich ist, ist echter Wandel. Warum? Weil Trump keine echten Ideen hat. Es fehlt ihm das Verständnis von dem, was Rudolf Steiner «archetypische» Ideen nennt – die grundlegenden Realitäten oder ersten Dinge, die unserer Unruhe zugrunde liegen. Steiner meint, dass unser Vermögen, in das Grundlegende einzutauchen, entscheidend ist für unser Verständnis des Sozialen und dass wir unsere Einsicht nicht an zweite oder dritte Dinge binden sollen, die nur Nachwirkungen sind (siehe: Rudolf Steiner, Die soziale Frage als Bewusstseinsfrage. Dornach, 16. Februar 1919).
Trumps Versprechen sind nur Augenwischerei. Zölle und Steuern verbessern die Lage nicht. Einwanderer und Einwanderinnen zu deportieren, heilt nicht unsere kranke Gesellschaft. Einmal ist Trump in seiner Kampagne 2016 tatsächlich über eine echte Idee gestolpert. Er hatte bemerkt, dass er die Menschen mit seinem Sprechen über den Sumpf von Washington stark bewegen konnte. Es ging darum, wie die Politik von großen Unternehmen vor sich hergetrieben wird, wie sie von Milliardären gekauft und verkauft wird. Also hat Trump darüber geschimpft, und auf seinen Kundgebungen hieß es: «Drain the swamp!» (deutsch: Trocknet den Sumpf!).
In der Tat liegt hier ein Grundübel; wir brauchen eine klare Trennung von Wirtschaft und Regierung. Es könnte das Land auch einen, denn die meisten Menschen in den USA sind darüber besorgt. Aber hat Trump etwas dagegen unternommen während seiner Präsidentschaft? Natürlich nicht, und das wird er auch nicht in seiner zweiten Amtszeit. Washington wird ein Sumpf bleiben.
Was können wir tun?
Ein anderes Beispiel ist der Kulturkrieg, der im glühenden Zentrum der Hysterie steht und der sich vor allem um Glauben dreht. Zum jetzigen Zeitpunkt verachten die Rechte und die Linke ihre gegenseitigen Überzeugungen. Wie können wir das deeskalieren und den Zorn kühlen? Müssen wir alle einfach dasselbe glauben? Das wird nie passieren, aber wir könnten diesen Krieg der Überzeugungen morgen beenden, wenn wir die erste und beste Idee aus unserer Verfassung wirklich begreifen würden: die Freiheit des Glaubens. Wir könnten den Kampf beenden, wenn wir nicht versuchen würden, unsere Überzeugung unseren Feinden reinzuwürgen. Wenn wir ihnen nicht sagen würden, was sie mit ihren Körpern machen sollen, was sie online sagen dürfen, was ihre Kinder in der Schule lernen. Weil all diese Dinge als tiefer Angriff auf das, was wir sind, erlebt werden.
Trump ist kein Friedensstifter in diesem Krieg; er ist einer der angriffslustigsten Generäle. Und Harris ist nicht anders. Trump und Harris und die, die ihnen nachfolgen, werden diese Ideen nie verstehen, wenn wir sie nicht verstehen. Wenn wir die gesunden Grenzen einer Regierung nicht erkennen, werden sie es auch nicht. Es wird ihnen nicht dämmern, dass eine Regierung die Bildung oder die Medizin oder die akademische Forschung nicht beeinflussen sollte. Sie werden nicht sehen, warum wir neue Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit brauchen, wenn wir die Bedürfnisse von allen stillen und in den Grenzen unserer Erde leben wollen. Aber es gibt hoffentlich noch Zeit für uns, um die grundsätzlichen Ideen aufzugreifen. Und es gibt Riesen wie Rudolf Steiner, die uns vorausgegangen sind und uns die Ideen beschrieben haben. Es ist Zeit, darauf zu hören.
Übersetzung aus dem Englischen: Franka Henn
Bild Ella Lapointe, Election, 2024