Das Leben nimmt mich beim Wort

Im Zugehen auf Michaeli 2025 hat Marion von der Wense ihre Idee des freien Seelenkalenders1 im Rudolf-Steiner-Haus Hamburg vorgestellt. Hier berichtet sie davon.


Etwas aufgeregt fuhr ich die halbe Stunde in die Stadt, wie immer zu früh, um in Ruhe den Raum vorbereiten zu können. Stunden später fuhr ich erfüllt und glücklich nach Hause. Es war ein Abend voll guter Begegnung. Im Vorfeld hatte ich für einen Begegnungsraum fünf Qualitätsmerkmale benannt: bewusstes Selbstverständnis, Entwicklungsgemeinschaft, sich wahrnehmende Begegnungsgemeinschaft, ohne Eigenarbeit keine Entwicklung, Erwachen und Werden. So stellte ich zunächst die Frage nach einem guten Begegnungsraum zwischen zwei Menschen.

Mit welchem Selbstverständnis gehe ich in eine ‹horizontale› Begegnung? Bemerke ich, wenn ich manipulativ bin, wenn ich meinen Eigenwillen auslebe? Lasse ich den anderen frei, nehme ihn ernst als eigenständigen Menschen? Was bedeutet Entwicklungsgemeinschaft? Man teilt, was einem durch die Seele geht, regt sich gegenseitig an, spiegelt sich wertschätzend, reibt sich vielleicht aneinander. Wie intim ist eine sich wahrnehmende Begegnungsgemeinschaft? Schließlich entäußere ich mich im gesprochenen Wort, nicht nur in dem, was ich sage, sondern auch in allem, was in meinem Wort lebt. Erwache ich am anderen, ist das ein Glücksfall. Mein Werden wird genährt. Und natürlich, ohne Eigenarbeit keine Entwicklung, besonders, wenn man sich aneinander auch mal reibt. Dann richteten wir den ‹horizontalen› Begegnungs- und Resonanzraum in die ‹Vertikale› auf, in einen ‹vertikalen› Begegnungsraum. Für den war mir nach einigem Ringen die Benennung Wortwesenwerderaum ‹zugeflogen›: Im eigenen Wort verbinde ich mein Wesen mit dem Wesen der Welt. Und dort gelten die fünf Qualitätsmerkmale ebenso. In welchem Selbstverständnis lebe ich in einer ‹vertikalen› Begegnung? Nehme ich mich ernst als teilhabendes Wesen an der Welt des Geistes, des Bewusstseins? Wie ernst nehme ich mich als Mitgestalterin, auch am Schicksal der Engel? Kann ich mein Wort, mit dem ich mich den Engeln zuwende, als Wesensanteil des Welten-Logos begreifen?

Das Gesprochene

Auf welche Aspekte meinerseits beziehe ich eine Entwicklungsgemeinschaft im ‹vertikalen› Wortwesenwerderaum? Ich will werden in meinem werdenden Bewusstsein, im Zusammenhang mit dem Ewigen in mir, mit meinem Schicksal, mit meinen Möglichkeiten und Lebensimpulsen, als Ich in freier Verantwortung, in verlässlicher Verbundenheit. Und wie kann ich ‹vertikale› Begegnung wahrnehmen? Diese Frage beantwortet jeder Mensch anders. Vielleicht durch Gedankenanregung. Es denkt in mir, mir kommen Intuitionen zu, inneres Licht und Kraft. Ich entwickle vielleicht Existenzvertrauen, Herzensgewissheiten. Oder ich empfinde mein geistiges Sein durch substanzielle Bewusstseinsbildung. Oder oder. Wie auch immer ich Verbundenheit wahrnehme, immer spricht sich geistig impulsiertes Wirken in mir aus. Der Makrologos spricht. Und immer bin ich gemeint. In meinem Ringen und Werden. Der Bedeutungsbogen von Logos umfasst etwa 40 Übersetzungen. Das Ringen von Faust, wie der Prolog des Johannesevangeliums gelungen übersetzt werden kann, ist nur eine Dimension. Doch die Grundbedeutung von Logos ist immer ‹das Gesprochene›. Ursprung des Wortes Logos ist die Tätigkeit ‹sprechen, sagen›. Dass gerade im ‹vertikalen› Wortwesenwerderaum ohne Eigenarbeit keine Entwicklung sein kann, versteht sich, und dass es um Erwachen und Werden geht, ebenso.

Wie wird in einer Begegnungsgemeinschaft mein Wort in der Sphäre der Engel wahrgenommen? Im Wort verdichten sich Kraft, Sinn und Luft zu einem tönenden Wortwesen. Individuelles verlässliches Tönen wird in den Sphären über uns wahrgenommen. Da wird die Frage nach dem Selbstverständnis wieder bedeutsam. Bin ich ‹hier unten› ein guter, verlässlicher Raum?

Michaelischer Impuls

In welcher Weise kann ich in meinem Wort solch individuellen Wortwesenwerderaum als meinerseits verlässlichen Resonanzraum beleben? In absoluter Freiheit und Verantwortung als Ich, als ein Bekenntnis zu Christus in mir. Ein Bekenntnis im Gewand des schöpferischen Mikrologos zum Logos allen Anfangs. Begleitend zu anderen Wegen oder innerer Arbeit – in welcher Form auch immer. Gemeinschaft bereichernd. Das ist ein michaelischer Impuls.

So liegt es auch in der individuellen Freiheit, die Festeszeiten besonders zu beworten. In ‹meinem› Seelenkalender beginnt am 29.9. eine neue Woche, nicht, weil ich das extra so eingerichtet habe, sondern weil es sich aus dem Beginn am 6.1. ergibt. Diese Woche beworte ich besonders, im michaelischen Sinne. Dies zu tun, damit beginne ich genau in diesem Jahr, am 29.9.2025. Einen Seelenkalender im eigenen Wort zu ergreifen, ist keine Sache, die ‹hemdsärmelig› angegangen werden sollte. Der ‹richtigen› Grammatik kommt eine wesentliche Bedeutung für den Werdeprozess zu. Auch ist es sinnvoll, den individuellen Wortwesenwerderaum bewusst zu öffnen und zu schließen, zum Beispiel durch eine Handgeste. Vor allem jedoch ist es wichtig, in guter innerer Verfassung zu sein. Denn das Leben nimmt einen beim Wort. Im Wortsinne.


Am 16. Januar 2026 wird diese neue Idee im Rudolf-Steiner-Haus Hamburg erneut besprochen. Weiterführendes unter marionvonderwense@gmx.net

Foto Jeremy Thomas

Fußnoten

  1. Siehe in ‹Goetheanum› 49/2024 den Artikel ‹Erneuerung im Weiblichen› über die Idee eines freien Seelenkalenders im selbst geschöpften Wort in 28-Tage-Zyklen, gebildet auf der Grundlage der viergliedrigen Ur-Rhythmusgestalt des Lebens.

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