Ist es nicht besser, ästhetische Erfahrungen herzustellen oder aufzusuchen? Warum sollen wir darüber noch reden? […] Oder anders gewendet: Wenn man dieses Thema überhaupt anspricht, muss man eigentlich sofort damit rechnen, dass damit sogleich Ästhetik als solche thematisiert wird und das, was jemand sagt, sofort unter dem Gesichtspunkt betrachtet wird, wie er es sagt. Weil natürlich jemand, der vielleicht relativ kunstlos über Kunst und ästhetische Erfahrungen spricht, sich dabei sehr schnell den Verdacht einhandeln kann, inkompetent für die Frage zu sein, das kommt nicht selten vor. So ging es Rudolf Steiner ja auch mal selber, als er vor Studenten über Ästhetik gesprochen hat und zuvor erst einmal damit begann, dass er im Grunde sein ganzes Leben sich damit beschäftigt hat, wie man eigentlich über Kunst reden soll. Und das meint nicht so sehr, was man sagt, sondern wie man es sagt.
Aber ich glaube, dass jemand, der nicht einfach nur diese oder jene ästhetische Erfahrung gemacht hat, sondern irgendwann auch mal angefangen hat, sich zu wundern, was da passiert – also, dem diese Sache irgendwann mal zum Rätsel geworden ist, der sich gefragt hat: «Was war da eigentlich?» –, ich glaube, dass jemand, dem dies einmal rätselhaft geworden ist und der zu fragen begonnen hat: «Warum hat mich das eigentlich so berührt?», dann hat derjenige auch schon eine gewisse höhere Toleranz gegenüber dem einfachen Sprechen von Kunst, auch wenn es nicht selbst künstlerisch ist, wenn es Prosa ist. Erst dann, mit dem Rätsel hinter oder vor sich, hat man sozusagen das philosophische Potenzial, zu fragen, Fragen auch einmal auszuhalten, ohne abgeschlossene Antworten zu erwarten, ohne bloß wieder nur einen neuen ästhetischen Prozess, eine ästhetische Performance im Sprechen über Kunst.
Aus Roland Halfens Eröffnungsvortrag ‹Ästhetische Erfahrung› von ‹Anderzeit II› am 1.10.2008 im Goetheanum, in: Dokumentation ‹Anderzeit II› (unveröffentlicht), redigiert von Johannes Nilo, Philipp Tok.
Titelbild Roland Halfen während seines Eröffnungsvortrages ‹Ästhetische Erfahrung› auf ‹Anderzeit II› am 1.10.2008 im Goetheanum, Foto: Stefan Böhme.