Jürgen Schürholz 1932–2025

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Im Dienst der anthroposophischen Sache


Ganz unerwartet ist Jürgen Schürholz in seinem 93. Lebensjahr in der Nacht zum 18. Juli 2025 über die Todessschwelle gegangen. Am Vorabend hatte er noch zu einer Mitbewohnerin des Nicolaus-Cusanus-Hauses (NCH) in Stuttgart gesagt, dass er sich so gesund fühle.

Erst als Neunzigjähriger hatte er sich zur Übersiedlung in das NCH entschlossen und war bald durch vielfältige Aktivitäten voll in dessen Lebensalltag integriert. Auch verfolgte er bis zuletzt mit großem Interesse die aktuellen Ereignisse des gesellschaftlichen Lebens sowie auf dem Gebiet der Medizin und führte viele Telefongespräche. Stets freute er sich, Anteil nehmen zu können, und dankte dafür.

Georg Soldner, langjähriger Kollege im Vorstand der Gesellschaft Anthroposophischer Ärztinnen und Ärzte in Deutschland (GAÄD) schrieb über ihn: «Jürgen Schürholz verkörperte in einzigartiger Weise den aufbauenden Impuls der Anthroposophie in der Medizin. Als Internist war er nicht nur vertraut mit dem weiten Spektrum der inneren Medizin, sondern auch versiert im Umgang mit den sich damals etablierenden endoskopischen Techniken. Hinzu kam seine mehrjährige Mitarbeit am pathologischen Institut der Universität Tübingen, wo er die Nierenerkrankungen elektronenmikroskopisch zu untersuchen hatte. ‹Ich lernte damals, dass die eigentliche Todesursache dem Pathologen verborgen bleibt, dass Menschen auch mit und nicht nur an einer Krankheit sterben.» (Anm.: Lebensrückblick von J. S.) So vorbereitet, entschied er sich, Mitbegründer der Filderklinik (1975) zu werden sowie des Verbandes Anthroposophischer Kliniken. Als Vorsitzender der Kommission C (1978–1993) beim Bundesamt für Arzneimittel, geschäftsführender Vorstand der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte (GAÄD) (1983–1999) sowie als Delegierter der baden-württembergischen Landesärztekammer konnte er als ein Pionier wirken, der es verstand, die Anthroposophische Medizin und Pharmazie als integrierten Teil des deutschen Gesundheitssystems zu etablieren – in Fortsetzung der Arbeit des 1983 verstorbenen Gerhard Kienle. Unter seiner Ägide vereinten sich auch die ost- und norddeutschen Arbeitszusammenhänge anthroposophischer Ärztinnen und Ärzte zur heutigen Form der GAÄD.» (Anm.: Zitat aus der im Herbst erscheinenden Würdigung in der Ärztezeitschrift ‹Der Merkurstab›)

Von 1988 bis 2001 galt ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit dem Wiederaufbau der Medizinischen Sektion am Goetheanum, «der von Deutschland aus, dem Land, das mehr als die Hälfte der therapeutisch tätigen Mitglieder weltweit stellt, unterstützt werden musste» (Anm.: Zitat aus dem von ihm verfassten Lebensrückblick, der im NCH bei der Aussegnung verlesen wurde). Was er so knapp als ein ‹Muss› in seinem Lebensrückblick formuliert hat, war ein unschätzbarer Einsatz von Zeit und Kraft. Als Klassenvermittler der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft war ihm jedoch eine solche Form der unterstützenden Zusammenarbeit ein Herzensanliegen. Er wurde stellvertretender Vorsitzender der Internationalen Vereinigung Anthroposophischer Ärztegesellschaften (IVAA), war bei allen wichtigen internationalen Konferenzen und Tagungen präsent und sorgte durch sein warmes Interesse für die Belange aller Länder, durch sein brüderliches Verhalten, seinen großen Erfahrungsschatz auf sozialem Gebiet, seine permanente Bereitschaft, mit Rat und Tat zur Verfügung zu stehen, dafür, dass die Sektion zu dem werden konnte, was sie heute ist. Der Forscher und Arzt Helmut Kiene nannte sein Engagement für das Ganze der medizinischen Bewegung auf der Trauerfeier am 24. Juli schlicht «gigantisch». Dazu gehörte auch der selbstlose Umgang mit Positionen und Zuständigkeiten. Er prüfte, was auf ihn zukam, und nahm die Aufgaben, für die er sich entschieden hatte, mit größter Zuverlässigkeit an. Entsprechend war er auch bereit, Verantwortlichkeiten wieder abzugeben, wenn sich eine stimmigere Lösung abzeichnete oder eine andere Anfrage Priorität bekam. So gab er beispielsweise die Leitung der von ihm begründeten weltweiten Zusammenkunft der in den anthroposophischen Arzneimittelfirmen tätigen Pharmazeuten und Ärztinnen, den sogenannten Filderkreis, an die neue Sektionsleitung ab. Fortan kamen die Einladungen von dort – auch wenn man sich weiterhin in der Filderklinik traf. Michaela Glöckler bekam dadurch jedoch einen intensiven Einblick in dieses wichtige Arbeitsfeld der medizinischen Bewegung. Auch war Jürgen Schürholz der Erste, der sich für eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit der Sektion einsetzte, indem er – finanziell unterstützt durch die Weleda – zusammen mit dem Pressebüro Hamburg von Annette Bopp Themenbroschüren zur Anthroposophischen Medizin, ihren Heilmitteln und Therapien verfasste und in hohen Auflagen drucken ließ. Da sie großteils auch in andere Sprachen übersetzt wurden, konnten sie international Verbreitung finden und den Bekanntheitsgrad dieser immer noch neuen Therapierichtung erhöhen. Es ist dies zudem ein Beispiel dafür, was ein Einzelner vermag, der mit Initiative und Liebe zur Sache zum Gedeihen einer anthroposophischen Berufsbewegung beitragen will. Und das quasi im Hintergrund, unbezahlt – einfach so. Als er 2001 hauptamtlich in die ärztliche Leitung der Weleda wechselte, stand die Sektion auf eigenen Füßen und er konnte sich anderen Aufgaben zuwenden.

Kindheit und Jugend von Jürgen Schürholz verliefen unter glücklichen Umständen – auch wenn er schon im Alter von fünf Jahren den Vater infolge einer Gehirnblutung verlor. Denn dadurch zog seine Mutter mit ihm in das idyllische Murnau in Oberbayern, wo sie eine Stelle als Lehrerin bekommen hatte. Seine beiden älteren Schwestern hingegen verbrachten die Kriegszeit bei der Zwillingsschwester der Mutter und dem Großvater in Hamburg. Erst 1946 kehrte seine Mutter mit ihm dorthin zurück. In Hamburg durfte er auf die wiedereröffnete Waldorfschule gehen, wo der Schulgründer und Schüler Rudolf Steiners, Heinz Müller, ihm zum väterlichen Vorbild wurde. Er hatte ihn nicht selbst als Klassenlehrer, erlebte ihn aber in der Schule, im Fachunterricht und insbesondere in den von Rudolf Steiner eingeführten Sonntagshandlungen des freien Religionsunterrichts, die auf ihn einen tiefen Eindruck machten. Den Impuls zum Medizinstudium gab die Ärztin Maria Glas im Menschenkundeunterricht an der Michael Hall Waldorf School in England. Jürgen war dort zu einem Schüleraustausch. Maria Glas gehörte mit ihrem Mann Norbert Glas zu den Arztpersönlichkeiten, mit denen Rudolf Steiner 1924 den Kern der Medizinischen Sektion begründet hatte.

Ein Schicksalsschlag kam infolge eines Skiunfalls in den Innsbrucker Bergen. Er stürzte beim Abfahrtslauf aus großer Höhe ab – sah sich von oben fallen und blieb wie durch ein Wunder nahezu unverletzt. Daraufhin entschloss er sich zum Eintritt in die Anthroposophische Gesellschaft und zur Heirat von Ortrun Debus, die er in der Anthroposophischen Studentenarbeit kennengelernt hatte. Zeitlebens blieben die Anthroposophie und die Liebe zu seiner Familie seine Kraftquellen. ‹Dankbarkeit verbindet auf ewig› – das empfand Jürgen Schürholz stark und sagte es auch. Und dies gilt für die vielen Menschen – Patientinnen, Freunde und Arbeitskolleginnen in aller Welt, die ihm persönlich begegnet sind und ihm verbunden bleiben.


Bild Jürgen Schürholz in Nordfinnland bei seiner Reise zum Polarlicht 2023, Foto: wh

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