Ende Oktober. Eine riesige Libelle in Smaragdgrün jagt nun wieder über den Gartenteich, nachdem sie sich drinnen auf meinem Finger zurück in ihre Beweglichkeit gewärmt hat. Ganz langsam hatte ihr Kopf begonnen, sich zu drehen. Und meine Nervosität vor dem, was da gleich erwachen würde, nahm stetig zu. Eine große Kraft, ein Instinkt, zielgerichtet und basal, sprach da in wundersamer Fremdheit. Wie bei einem Drachen en miniature bargen sich in ihr Geheimnisse, die über die reine Materie hinausgehen, und kündeten von Lebensrätseln.
Diese Kunde ist nie gleich. Sondern immer aufs Neue vereinen sich Erscheinungen mit meiner Gestimmtheit und in meinem Wahrnehmen zu einer Poesie des Lebens, kreieren Wahrbilder von Zusammenhängen. Etwas scheint auf, von dem die Libelle und ich Teil sind, und was den Raum der reinen Natur verlassen hat. Diese Kunde gerinnt nicht zu einem wissenschaftlichen Fakt. Sie ist nur, was das Leben und ich uns erzählen. Und sie beruhigt mein Herz, wenn es sich nach einem Zuhause sehnt.
Wie ein Helikopter brummt die Libelle mit ihren Flügeln, die aus einem festen, aber feingliedrigen Netz bestehen. Ich folge ihren Flugbahnen über das Wasser. Sie kommen mir ruckartig und unkontrolliert vor. Manchmal wird es still und sie sitzt wie ein Stück Edelstein aus den tiefsten Tiefen der Berge auf einem Blatt und legt Eier. Noch ein paar Tage, dann wird sie sterben. Auch Kristalle vergehen und hinterlassen Lichtpunkte.
Foto Gilda Bartel