Vier oder sechs Sprachgesten?

«Die Ampel ist grün!», sagt der Beifahrer zur Fahrerin. Mit diesem Beispiel veranschaulicht Friedrich Schulz von Thun in seinem Buch ‹Miteinander reden› sein Viersprachenmodell. Vier Botschaften kann dieser Satz meinen: Auf der Sachebene ist es die Information, dass die Ampel jetzt auf Grün steht. Wenn etwas Nachdruck in der Stimme liegt, dann ist der Appell gemeint, loszufahren. Es kann auch eine Selbstoffenbarung sein: «Ich habe es eilig!», oder auf die Beziehungsebene deuten: «Ich fahre besser als du!» Konflikte entstehen, wenn Sender und Empfänger hier zwischen Sach-, Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- und Appellebene anders gewichten. Rudolf Steiners Einteilung in sechs Sprachnuancen sind dem Modell recht verwandt. Was im ‹Dramatischen Kurs› «wirksam» heißt, ist hier der Appell, was Steiner «bedächtig» nennt, ist bei Schulz von Thun die Selbstoffenbarung. Die Sachebene taucht bei Rudolf Steiner nicht auf, vermutlich, weil er die Bühnensprache im Auge hat, wo es außer dem Satz «Pause» selten um die reine Information geht. Die beiden Sprachnuancen im ‹Dramatischen Kurs› «sympathisch» und «antipathisch» betreffen bei Schulz von Thun die Beziehungsebene, mal verbindend, mal trennend. Was bei Rudolf Steiner übrig bleibt, sind die zwei Sprachgesten «vorwärtstastend» und «zurückziehend». Die führen ins Prozessuale: Findet man in den Ausdruck oder verstummt man in der Rede? Nimmt man beide Systeme zusammen, Friedrich Schulz von Thun und Rudolf Steiner, sind es sieben Sprachformen. Sieben ist die Zahl der Zeit und nichts führt so in die Zeit wie die Sprache.


Formen von Ella Lapointe, 2024. Vektorisierte Tinte.

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