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Stereotypen 2

Die frühere ARD-Korrespondentin in Moskau, Gabriele Krone-Schmalz, gehört zu den wenigen Personen des öffentlichen Lebens in Deutschland, die versuchen, der stereotypen Dämonisierung Russlands in den letzten Jahren etwas entgegenzusetzen. Dafür wurde sie bereits in Talkshows beschimpft und ihr schon in den 90er-Jahren geäußerter Vorschlag, eine regelmäßige Sendung über die aktuelle Entwicklung in Russland anzubieten, abgelehnt.


Ähnlich ergeht es zurzeit allen, die versuchen, eine Brücke zwischen Europa bzw. dem sogenannten ‹Westen› und Russland zu schlagen. Automatisch werden egoistische und bösartige Absichten unterstellt, wenn jemand mit Russland zusammenarbeiten will. In ihrem jüngsten Buch hat sich die streitbare Journalistin nun darangemacht, im Einzelnen nachzuweisen, dass die allermeisten Unterstellungen und Schuldzuweisungen an Russland, mit denen wir in den Medien täglich bombardiert werden, auf nicht nachgewiesenen Behauptungen basieren oder einfach reflexhaft geäußerte Vermutungen sind, wie etwa Hackerangriffe, Wahlbeeinflussungen, Expansionsstreben Putins und vieles mehr. Als Konsequenz ihrer frustrierenden Erfahrungen mit diesem Thema in den letzten Jahren hat sich die Autorin die Mühe gemacht, alle ihre Untersuchungsergebnisse mit Quellenangaben in einem umfangreichen Anhang nachzuweisen, da sie weiß, wie resistent die öffentliche Meinung inzwischen bei dem Thema Russland ist. Nur wenige sind wach und selbstständig genug, der einhelligen Manipulation der Medien – einschließlich derjenigen mit intellektuellem Anspruch – zu widerstehen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Überwiegend sind es Menschen, die selbst Erfahrungen mit Russland haben, aus Kultur, Politik und Wirtschaft.

Im Wesentlichen stellt Krone-Schmalz dar, was dem aufmerksamen Beobachter seit den 90er-Jahren nicht entgangen ist, wofür aber meist die fundierten Nachweise fehlen: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den chaotischen, teilweise elenden Jahren der Jelzin-Ära brachte Wladimir Putin langsam, aber sicher sein Land in einen Zustand innerer Stabilität, prosperierender Wirtschaft mit einem inzwischen breiten und gut versorgten Mittelstand (was hier nie berichtet wird) und einer sehr besonnenen Außenpolitik, die zunächst vor allem das Interesse hatte, mit Europa (der EU und insbesondere Deutschland) intensiv auf allen Ebenen zusammenzuarbeiten, allerdings auf Augenhöhe. Diese ausgestreckte Hand wurde zurückgewiesen und durch die Osterweiterung der NATO – die einem Versprechen der USA an Gorbatschow vor der deutschen Einigung widerspricht – mit Füßen getreten. Russland ist rundum von NATO-Stützpunkten umzingelt und fühlt sich zurecht bedroht, denn die Raketenabwehrsysteme in Polen und Tschechien (anfangs noch unglaubwürdig als gegen Iran betitelt) sowie die aktuellen Manöver im Baltikum und in Polen sind unverhohlen gegen Russland gerichtet – auf die Spitze getrieben durch die jüngste Forderung des NATO-Generalsekretärs, bessere, für Panzer geeignete Straßen in Richtung russischer Grenze durch Deutschland und Polen zu bauen, was einer direkten Kriegsvorbereitung gleichkommt.

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Wer früher im Westen über die Motive und Absichten der sowjetischen Führung spekulierte, den nannte man einen Kremlastrologen – auch weil die Voraussagen über die Ziele Moskaus nicht selten denselben Realitätsgehalt hatten wie Horoskope. In ähnlicher Weise wird heute über die Absichten Putins spekuliert, wobei auf die größte Zustimmung rechnen kann, wer die schlimmste Prognose stellt – doch auf welcher Grundlage eigentlich?
— Gabriele Krone-Schmalz, aus ‹Eiszeit›

Weiter kann die Autorin nachweisen, dass die Revolutionen in Georgien, der Ukraine und anderen Ländern von Stiftungen finanziert wurden, die ihr Geld direkt aus dem Außenministerium der USA erhalten. Besonders einseitig war und ist unsere Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt. Tatsächlich wurde in Kiew vom ‹Westen› eine Regierung installiert, die die Ukraine in Richtung NATO und EU führen soll und damit heraus aus ihrem kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit Russland, der seit dem Mittelalter – der Kiewer Rus als Ursprung der russischen Nation – besteht. Zudem hätte der wichtigste russische Marinestützpunkt auf der Krim nach dieser Logik später zur NATO gehört, was Russland niemals akzeptieren konnte. Die sogenannte Annexion der Krim, die übrigens dem Willen der ganz überwiegend russischen Bevölkerung auf der Halbinsel entspricht, erhält hiermit eine andere Bedeutung. Letztlich geht es um die Ausweitung der westlichen Einflusssphäre in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht, denn die immensen Rohstoffreserven des Kaspischen Beckens möchte man dem Zugriff Russlands entziehen. Weitere Ursachen sucht die Autorin in einer Russophobie des Westens, die sie bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt. Noch weiter geht eine Ansprache des US-Politikberaters George Friedman vor dem Thinktank STRATFOR, die auf Youtube nachzusehen ist, aber von Krone-Schmalz nicht erwähnt wird: In diesem eindrucksvollen Dokument wird ganz offen gesagt, dass es seit hundert Jahren eine Leitlinie der amerikanischen Außenpolitik sei, eine enge Verbindung von Deutschland und Russland zu verhindern, weil durch die Kombination deutschen Know-hows und der endlosen menschlichen und natürlichen Ressourcen Russlands ein Machtfaktor in der Welt entstehen würde, der die USA in den Schatten stellen könnte. Um dies zu verhindern, organisiere man immer wieder kleinere und größere Kriege – und natürlich ein stabiles Feindbild. Für diesen Zynismus muss man dankbar sein, weil er im Hintergrund wirkende Kräfte deutlich macht, insbesondere auch in den Konflikten in der Ukraine und Syrien. Eine anfangs noch erkennbare eigene Position Deutschlands und Frankreichs gegenüber Russland ging in der Kanzlerschaft Merkels zunehmend verloren. Ein neuer Hoffnungsschimmer könnten Macron und das mögliche Scheitern einer weiteren Kanzlerschaft Merkels sein. Die Russland-Sanktionen haben keinerlei politische Wirkung, sondern schaden nur dem Verhältnis Europas zu Russland, entgangene Geschäfte werden teilweise von den USA gemacht. Wer in Deutschland mit Russland zusammenarbeiten will, politisch etwa Matthias Platzeck, wirtschaftlich Gerhard Schröder, wird medial geächtet, obwohl beides in unserem vitalen Interesse ist. Ganz zu schweigen von der kulturellen, geistigen Aufgabe, die zwischen Mitteleuropa und Russland besteht und weit in die Zukunft der Menschheit hineinreicht. Viele Künstler haben diese Brücke geschlagen, wie etwa Rilke oder Kandinsky, Denker und Visionäre haben sie explizit formuliert, wie Solowjow und Steiner. Und wer sich Putins Rede vor dem Deutschen Bundestag anhört, kann feststellen, dass auch dieser zu Unrecht dämonisierte Politiker etwas davon ahnt.


Gabriele Krone-Schmalz: ‹Eiszeit›, München 2017

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