Auf dem glatten hellen Wege
liegen sie, verstreut und müde,
braun und lächelnd wie ein weicher Mund,
voll und glänzend, lieb und rund,
hör’ ich sie wie perlende Etüde.
Wie ich eine nehme und in meine Hand sie lege,
sanft und zärtelnd wie ein kleines Kind,
denk’ ich an den Baum und an den Wind,
wie er leise durch die Blätter sang,
und wie den Kastanien dieses weiche Lied
sein muss wie der Sommer, der unmerklich schied,
nur als letzten Abschied lassend diesen Klang.
Und die eine hier in meiner Hand
ist nicht braun und glänzend wie die andern,
sie ist matt und schläfrig wie der Sand,
der mit ihr durch meine Finger rollt.
Langsam, Schritt für Schritt, wie ungewollt
lass’ ich meine Füße weiter wandern
Selma Meerbaum, aus: Ich bin der Regen. Gedichte. Münster 2019, S. 10.
Kastanien verkörpern Rhythmus und Klang des Herbsts.
Auswahl und Kommentar von Johanna Lamprecht
Zeichnung von Philipp Tok