Zwischen dem Großen Kaukasus im Norden und dem Kleinen Kaukasus im Süden liegt Georgien am Schwarzen Meer. Berge, Meer, dichte Nadelwälder, breite Wiesen, gewaltige Bergflüsse, Seen, Halbsteppen liegen in diesem kleinen Land. Fährt man durch die Berggebiete im Westen und will eine Erhöhung finden, von der die umliegenden Berge zu überschauen sind, findet man sie kaum. Die Serpentinen scheinen unendlich. Steigt man auf einen Berg, öffnen sich die anderen Berge nur zum Teil. Nur durch ständige Bewegung ist eine Übersicht möglich; diese Übersicht entsteht aber erst in der eigenen Seele. Innerlich kann man die einzelnen Teile zu einem Panorama aufbauen. Die Innerlichkeit der Menschen hier lässt an die kolchischen Mysterien des Goldenen Vlieses denken, in denen es um die Verwandlung der Seele ging.
Befindet man sich aber im Osten des Landes, erblickt man die Natur um einen wie auf der Handfläche liegend. Schon eine kleine Erhöhung ermöglicht eine Rundumsicht. Die Landschaft bietet sich offen an, sie ruft zum Tun, zum Wirken. Das Erlebnis der Menschen lebt hier viel mehr im Umkreis; Direktheit zeichnet sie aus. Nicht weit von der Hauptstadt, auf einem Berg stand in alten Zeiten eine Armazi-Gottheit (Ormuzd). In der Fülle des Sonnenlichtes an den Berghängen und in den Tälern ist noch spürbar, wie ihre Kräfte die Materie verwandelt haben.
Diese Polaritäten begegneten einander schon in den vorchristlichen Zeiten, um eine Sprache, ein Volk, ein Land, eine Kultur zu bilden. So war Georgien von Anfang an für die Wärme und den Geist des Christentums offen, denn in ihm fanden diese Polaritäten eine Steigerung zu neuem Sinn und neuem Ideal. Kein Zufall, dass die Wurzel des Namens der Hauptstadt Tbilissi ‹Wärme› bedeutet. Diese Wärme in der Natur und in den Menschen fühlt man, wenn man in Georgien ankommt.
Bild Eine Frau bringt die Kühe herein, Matsevani, Georgien. Foto: Nathaniel Williams