Ein Redaktor wider Willen

Albert Steffen hatte die Redaktion der 1921 begründeten Wochenschrift ‹Das Goetheanum› übernommen. Die damit verbundene persönliche Tragik hat Ruedi Bind im letzten von der Albert-Steffen- Stiftung herausgegebenen Studienheft ausführlich dargestellt. Es besticht durch eine reiche Auswahl von dokumentarischen Zeugnissen – besonders durch die vielen Auszüge aus Steffens Tagebuch, das als Zeitzeugnis für das Verständnis der Geschichte der anthroposophischen Bewegung von unschätzbarem Wert ist. Aufgrund dieser durch ihre Authentizität berührenden Äußerungen Steffens entsteht ein ausgesprochen lebendiges Bild seines über Jahre dauernden existenziellen Ringens, das mit der Übernahme des Redaktionspostens ausgelöst wurde.


Hatte Steffen bisher eher in einer zurückgezogenen Dichterwelt gelebt, so wurde er nun durch seine Redaktionstätigkeit unmittelbar mit der Außenwelt und ihren heftig ausgetragenen Geisteskämpfen konfrontiert. Es herrschte ein politisiertes, weltanschaulich aufgeheiztes Klima, als am 21. August 1921 die erste Nummer der von ihm redigierten ‹Internationalen Wochenschrift für Anthroposophie und Dreigliederung› erschien. Damals war nicht etwa Dornach, sondern das katholische Arlesheim das Zentrum einer massiven, gegen das Goetheanum gerichteten Hetze. Im großen schweizübergreifenden gegnerischen Netzwerk von ganz rechts bis ganz links wurde mit allen Mitteln versucht, das Wirken Rudolf Steiners zu unterbinden. Und mitten in diese wüste Kampfsituation hineingestellt fand sich nun der 36-jährige Albert Steffen, der in der Dichtung seine Lebensaufgabe sah und die Arbeit als Journalist eigentlich verabscheute. Und da stellt sich nun die Frage: Warum diese plötzliche radikale Störung im beschaulichen, nach innen gewandten Dasein als Dichter?

Der äußerst folgenreiche Einschnitt im beruflichen Werdegang Albert Steffens durch die Übernahme einer zwar verantwortungsvollen, aber doch ungeliebten Tätigkeit stand im engen Zusammenhang mit der besonderen Schicksalskonstellation von drei anderen Persönlichkeiten: Roman Boos, Willy Storrer und Rudolf Steiner. Roman Boos, Jurist und die treibende Kraft der Dreigliederungsbewegung in der Schweiz, hatte schon immer den Plan zur Gründung eines Presseorgans, das die anthroposophische Sicht der Dinge vertreten sollte. Sein Projekt, die Herausgabe der Monatsschrift ‹Soziale Zukunft›, hatte nicht den erhofften durchschlagenden Erfolg gebracht. Mit einer eigenen Zeitung sollte der Kampfansage der Gegner wirksam begegnet werden. Den politischen Teil der Redaktion wollte er übernehmen. Auch der junge Willy Storrer, Journalist und Dreigliederer, trug den Wunsch nach der Gründung einer Zeitung in sich. Besonderes Interesse zeigte er für das kulturelle Geschehen. Scheinbar eine gute Voraussetzung für ein ergänzendes Zusammenarbeiten – doch die Situation entwickelte sich ganz anders. Roman Boos erlitt einen psychischen Zusammenbruch und sah sich gezwungen, sich von allen Aktivitäten zurückzuziehen. Willy Storrers Ambition, das Zeitungsprojekt in voller Verantwortung zu übernehmen, wurde von Rudolf Steiner entschieden zurückgewiesen; er beschränkte Storrers Aufgabenbereich auf die administrativen Belange: Auf diesem Gebiet sollte er sich zunächst bewähren. Wie stand es nun mit der Redaktionstätigkeit? Rudolf Steiner erklärte sich bereit, das ursprünglich für Boos vorgesehene Aufgabengebiet – den politisch-wirtschaftlichen Bereich – zu übernehmen. Als alleinigen Redaktor mit Schwergewicht auf den kulturellen Teil wünschte er sich Albert Steffen, der schließlich zusagte. So kam es zu Albert Steffens und Rudolf Steiners «Wirken als Redaktoren und Journalisten» – von Bind eindrücklich beschrieben.

«Katastrophenstimmmung»

Die helle Seite von Albert Steffens Re­­­-d­aktorentätigkeit war die enge Zusammenarbeit mit Rudolf Steiner. Aber es gab eben auch die bereits erwähnte dunkle Seite, die ihm schwer zu schaffen machte. Er schätzte seine Fähigkeit zum Redaktor als ungenügend ein. Er litt förmlich unter einer «Katastrophenstimmung» und beklagte, dass die «unschöpferische» Arbeit ihm die Freude nehme: «Ich sitze da und sinne vergeblich, ‹über was ich schreiben› könnte. Denn ‹schreiben› muss ich. Ich bin ja angestellt als Redaktor. So vergeht der größte Teil der Woche. Und die Menschen, die zu mir kommen, finden einen zerquälten und ärgerlichen Menschen statt wie früher einen Helfer und Tröster. Ja, ich bin eine Leiche geworden.» (9.4.1924)

Bereits am 6. Dezember 1921 hatte er sich mit Blick auf Rudolf Steiner gefragt: «Warum versucht er, mich zu halten? Warum hilft er mir nicht, mich freizumachen?» Das war die große persönliche Schicksalsfrage Albert Steffens – gerade auch gegenüber Rudolf Steiner. Es bereitete ihm Mühe, dessen Haltung zu verstehen.

Ruedi Bind: Albert Steffen – Redaktor wider Willen. Hinweise und Studien zum Lebenswerk von Albert Steffen. Heft 33, Januar 2022.

Der Wunsch nach einem Ausbruch aus der beengenden Situation hinderte ihn nicht, seine Pflicht als Redaktor gewissenhaft zu erfüllen. Und sein Engagement ging sogar darüber hinaus. Er scheute sich nicht, in den folgenden Monaten in der Öffentlichkeit – in seiner Eigenschaft als bekannter Schweizer Dichter – für die Einbürgerung Rudolf Steiners einzutreten: Er verfasste einen Aufruf, schrieb Briefe an den Bundesrat und sprach auch bei einzelnen Bundesräten persönlich vor. Damit nahm er seine öffentliche Verantwortung als Redaktor des ‹Goetheanum› wahr: für Rudolf Steiner und die Anthroposophie mit seiner Person einzutreten. Trotzdem sah er seine eigentliche Lebensmission – sein Wirken als Dichter – beeinträchtigt, ja sogar in seiner Substanz gefährdet.

Dreigliederung in der Struktur der Wochenschrift

Nach der Weihnachtstagung und der Neubegründung der (Allgemeinen) Anthroposophischen Gesellschaft erhielt ‹Das Goetheanum› eine neue innere Ausrichtung: Als Organ sollte es im Dienste dieser geistigen Erneuerung stehen. Für die Mitglieder gab es neu eine Beilage: ‹Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht›. Auch für dieses Mitteilungsblatt übernahm Steffen die redaktionelle Verantwortung. Die Unternehmensstruktur rund um diese beiden Zeitungsorgane war eine recht komplexe – im Grunde eine dreigliedrige: Auf der einen Seite gab es die Redaktion, die für den ideellen Inhalt verantwortlich war. Für diesen Bereich war Steffen verantwortlich. Auf der anderen Seite gab es die Administration, den wirtschaftlichen Bereich. Dafür war Willy Storrer zuständig, der allerdings seinen diesbezüglichen Auftrag recht locker handhabte. Die weitgehend autonome Administration war zunächst mit der Futurum-Abteilung Verlag am Goetheanum, später mit dem Verein des Goetheanum beziehungsweise mit dessen Rechtsnachfolger, der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, wirtschaftlich assoziiert. Dann gab es aber noch – sozusagen in der Mitte zwischen den beiden Polen – den eigentlichen Rechtsträger der ‹Goetheanum›-Zeitschrift: die Herausgeberschaft. Das waren jene Institutionen, mit denen die Zeitungsadministration assoziiert war. Ein bemerkenswertes, für Studienzwecke interessantes dreigliedriges Institutionenmodell!

Mit Storrer, dem verantwortlichen Administrator oder Verleger, hatte Steffen es nicht leicht. Mit ihm, aber auch mit seinen Vorstandskollegen und anderen leitenden Anthroposophen als Vertreter der Herausgeberschaft, geriet er immer wieder in Konflikt, fühlte sich in seiner Autonomie als Redaktor eingeschränkt. «Redaktor versus Verleger und Herausgeber» war nach Bind ein großes Thema für Steffen. Seine Arbeit wurde wesentlich mitgeprägt durch sein unmittelbares soziales Umfeld, das sich ihm gegenüber als «Helfer, Hemmer und hemmender Helfer», so Bind, verhielt. In diesem Zusammenhang tauchen die Namen von Paul Bühler, Roman Boos, Hans Reinhart und eben auch Willy Storrer auf. Binds Schilderung dieser Persönlichkeiten ist geprägt von einer an den Tatsachen orientierten Sachlichkeit – ohne Beschönigungen oder Verherrlichung. Ein Beispiel für eine solche Darstellung: «Willy Storrer, der Verlagsleiter und Mann in der Administration, war rastlos, umtriebig, von sich selbst eingenommen – und laut, bis in den frühen Tod 1930 im eigenen Sportflugzeug. Er konnte andere faszinieren und motivieren, um mit ihm zu arbeiten – weniger, um mit ihm zusammenzuarbeiten, vielmehr, um für ihn zu arbeiten; er war immer der Chef.» Oder: «Roman Boos war ein Kämpfer, am liebsten gegen etwas, noch lieber gegen jemanden. Zuerst gegen jene, die nicht begreifen wollten, dass die soziale Dreigliederung die Lösung ist, gegen Gegner, die Rudolf Steiner angriffen, gegen Pfarrer Max Kully, der zur Verhinderung von Rudolf Steiner und des Goetheanum-Baus angetreten war und mobilisierte. Noch zu Rudolf Steiners Lebzeiten kämpfte Boos auch gegen Ita Wegman. Dieser vehemente Kampf verlagerte sich nach Ita Wegmans Tod zum Kampf gegen Steffen.»

Über die Zeit nach Rudolf Steiners Tod ist in der Darstellung von Bind nur am Rande etwas zu erfahren. Schwerpunkt bleiben die Jahre von 1921 bis 1925.

Das grundsätzliche Spannungsverhältnis ist im Kapitel ‹Der Künstler stemmt sich gegen den Redaktor und Journalisten› eindrücklich behandelt und mit Zitaten belegt. Wenige Tage vor Rudolf Steiners Tod findet sich im Tagebuch der Ansatz eines aufkeimenden Verständnisses für den Sinn der schicksalsmäßigen Situation: «Dr. Steiner sagte, er hätte lange über meine Frage, was ich schreiben solle, nachgedacht und schlägt mir vor, dass ich die Frage lösen solle, warum die Künstler Furcht hätten, Anthroposophen zu werden, in der Meinung, sie verlören ihre Gaben: die unbefangene Produktivität. Nicht eine theoretisierende, sondern eine künstlerische Aufgabe. […] Ich habe mich immer als Diener empfunden. Und wenn jemand, der tiefere Einsichten hat als ich, eine Arbeit notwendig findet für mich, so tu ich es. Und wäre es Stiefelputzen. Und ist es denn nicht gut?»

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