Am Morgen bekam ich die Frage nach einem Beitrag zum Thema ‹Hoffnung›, am Abend hörte ich einen Vortrag, ohne zu ahnen, dass beides etwas miteinander zu tun haben könnte. Der Vortragende, Matthäus Weiß, Landesvorsitzender der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein, setzt sich seit 45 Jahren für deren Rechte ein. Seine Mutter wurde aus dem Schulunterricht geholt, verschleppt und in verschiedenen KZs inhaftiert, unter anderem in Treblinka. Wie durch ein Wunder hat sie – anders als ca. 500 000 ihrer Landsleute – überlebt. Ihr Credo nach fünfeinhalb Jahren im KZ: ‹Keinen Hass – egal, was uns geschieht. Hass erzeugt Gewalt!›
Matthäus wächst nach dem Zweiten Weltkrieg in Kiel auf, als ältestes von 14 Geschwistern in einer Siedlung von ausrangierten Waggons, und erfährt viel Ausgrenzung und Kriminalisierung. Er will den Teufelskreis der ‹Völker ohne Raum› durchbrechen. Seine Wanderausstellung dokumentiert die jahrhundertelange Vertreibung der Sinti und Roma und die daraus resultierende Ausgrenzung in Europa. Seine Landsleute in der DDR waren anerkannt und wurden nicht sozial ausgegrenzt, das heißt, sie hatten Arbeit und Wohnung. Matthäus Weiß kämpfte in der BRD lange Jahre um eine solche Anerkennung, denn: «Es kann doch nicht sein, dass Tiere mehr Rechte haben als wir.»
Als erste Ministerpräsidentin eines Bundeslandes (1993–2005) war Heide Simonis in Schleswig-Holstein allseits anerkannt. In ihr findet Weiß eine prominente Unterstützerin: «Ich konnte immer zu ihr kommen, sie hatte immer ein offenes Ohr für uns.» Auch Günter Grass wurde ein tatkräftiger Unterstützer, indem er die Günter-Grass-Stiftung auch zugunsten der Sinti und Roma gründete. Weiß wurde ein Büro im Landtag in Kiel angeboten. Er lehnte ab: «Dann kommen meine Leute nicht mehr zu mir.» Nach und nach nahmen Vorurteile und Kriminalisierung ab und gegenseitiger Respekt wuchs. Doch erst 1990 wurde der Verband der Sinti und Roma als Verein anerkannt. Nach vielen Jahren Vorarbeit konnte 2006 in Kiel das schöne Wohnprojekt Mari Tamm (Unser Platz) für 13 Sinti-Familien mit viel Eigenarbeit als Genossenschaftsprojekt errichtet werden. Heute haben fast alle Sinti und Roma in der brd einen festen Wohnsitz. Es dauerte noch bis 2012, bis Sinti und Roma als eingetragene und zu schützende Minderheiten anerkannt wurden. Hoffentlich müssen dann Kunstschaffende wie Charlie Chaplin, Pablo Picasso, Anna Netrebko, Drafi Deutscher und andere in Zukunft nicht mehr ihre Herkunft als Sinti oder Roma leugnen, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Sinti und Roma kommen ursprünglich aus Indien und haben sich in der ganzen Welt ausgebreitet. Bei einem Treffen in London – so erzählt Weiß – sprachen ihn sogar Afrikaner in der Sprache der Sinti an!
So zieht der 75-jährige Matthäus Weiß zusammen mit seiner von Sardinien stammenden Frau und seiner in vier Jahren aufgebauten Wanderausstellung ‹Kultur und Geschichte der Sinti und Roma – aus der Geschichte lernen› durch das Land, geht in Schulen, Behörden, Vereine, wohin auch immer er eingeladen wird. Unermüdlich, klar, aufrecht, ohne Hass, ohne Opferhaltung, ein Mensch! Nach dem Vortrag fielen mir die Worte von Václav Havel wieder ein, in denen er beschreibt, was er mit Hoffnung verbindet: «Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.» Und: «Hoffnung ist ein Geisteszustand …, die Fähigkeit für etwas zu arbeiten, weil es gut ist.» Zu seinem Vortrag waren acht Menschen gekommen.
Illustration Gilda Bartel