100 Jahre bildschaffende Methoden

Anthro-Nische oder Einflussfaktor? Die bildschaffenden Methoden treten in das Zeitalter computerisierter Bildanalyse ein. Ist jetzt der Moment, um die geistige menschliche Evolution zu gestalten?


Bildschaffende Methoden sind ergänzende Forschungsmethoden zur Qualitätsuntersuchung. Rudolf Steiner schlug Lili Kolisko vor, Tropfen des Pflanzensaftes, den sie untersuchen wollte, auf Filterpapier zu geben und die entstehenden Formen zu erforschen. Später mischte sie den Pflanzensaft mit einem Metallreagenz. So entstand die Kapillardynamolyse-Methode. Steiner schlug Ehrenfried Pfeiffer vor, die Kristallisation zu beobachten, die entsteht, wenn sich Pflanzensubstanz oder Blut mit bestimmten Salzen vermischt. Später entwickelte Pfeiffer daraus die Kupferchlorid-Kristallisationsmethode.

Wir arbeiten zusammen in einem visuellen Auswertungspanel. Dort haben wir uns im Laufe der Jahre geschult, die Qualität des Lebendigen, die sich in Mustern zeigt, genau zu beobachten. Wir gehen mit Empathie vor und bilden gemeinsam eine Intersubjektivität, in der unsere subjektive Wahrnehmung übertragbar wird. Mittlerweile können wir auch die Computerperspektive einnehmen. Der Algorithmus kann zum Beispiel in jedem Punkt des Bildes die Länge der Nadeln und den Raum, den die Kristalle oder der Hintergrund einnehmen, berechnen. Das liefert statistisch relevante Ergebnisse, aber bleibt ein Computerbild, das heißt, wir wandeln eine Ganzheit in einen binären Code von 0 und 1 um. Mit den Computerdaten allein wären wir verloren, weil die Einheit, die Ganzheit, fehlt. Aber die analytische Wahrnehmung passt in unsere gegenwärtige Kultur. Es ist eine standardisierte Art, die Kristallisationsbilder mithilfe der Computeranalyse zu betrachten – sie ist sehr objektiv und klar kommunizierbar. Wir können die Bilder damit nicht charakterisieren oder wirklich ‹kennenlernen›, aber wir können sie gruppieren: Das ist Gruppe A, das ist Gruppe B, und sie sind mehr oder weniger gleichartig. Für die Daten einer Bildanalyse entsteht allerdings kein Verantwortungsgefühl: Ich habe nur die Forschung betrieben und das ist das Ergebnis. Es erscheint als zwei getrennte Dinge. Wenn wir im Vergleich dazu über visuelle Evaluierungsergebnisse sprechen, fühlen wir uns verbunden und verantwortlich.

Polaritäten ausgleichen

Wir nehmen in der menschlichen Perspektive einen eher luziferischen und in der Computerperspektive einen eher ahrimanischen Impuls wahr. Unsere Aufgabe ist es, ein Gleichgewicht zwischen beiden herzustellen und die guten Eigenschaften, die uns beide Tendenzen bieten, herauszuschälen: die Wärme und den Enthusiasmus des luziferischen Impulses und die Klarheit des Denkens, die zielgerichtete Aufmerksamkeit und die mögliche Objektivität des ahrimanischen Impulses. Erst, wenn wir diese beiden Polaritäten in unserer Wissenschaft erkennen, können wir beide Impulse annehmen und ihnen den richtigen Stellenwert geben. Pfeiffer fragte Steiner vor 100 Jahren einmal: Wie können wir die einseitige materialistische Tendenz in unserer heutigen Kultur überwinden? Steiner antwortete, wer den materialistischen Standpunkt überwinden wolle, müsse ihn zuerst kennenlernen und seine Ansichten verstehen. Nur dann könne man ihn widerlegen. 2001 haben wir die European Triangle Formation gegründet, an der die Universität Kassel in Deutschland, das Louis Bolk Institute, das Crystal Lab in den Niederlanden und die Biodynamic Research Association in Dänemark beteiligt sind. Die computergestützte Bildanalyse haben wir eingeführt und weiterentwickelt, auch haben wir die Standardisierung und Validierung eines visuellen Bewertungspanels erarbeitet. Bis heute haben wir etwa 40 Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht. Dennoch wird diese Methode von Forschenden außerhalb des anthroposophischen oder biodynamischen Bereichs sehr wenig wahrgenommen. Der Ganzheitlichkeitsimpuls wird noch zu sehr als die erweiterte Vorstellung von analysierbaren Teilchen verstanden.

Wir haben die Kristallisationsmethode auch für Covid-Proben standardisiert und konnten die vertiefte Physik der Bildentstehung erforschen. 2024 haben wir ein Handbuch für das Kupferchlorid-System veröffentlicht. Die Texturanalyse wird zum Beispiel bei Satellitenbildern eingesetzt, um zu unterscheiden, ob es sich um einen Wald oder eine Stadt handelt. Jetzt können Algorithmen die Textur von Kristallen charakterisieren. In einer Dissertation haben wir erörtert, wie diese Daten statistisch verarbeitet werden sollten.

Wissenschaft und Imagination

Schließlich haben wir 2021 eine Publikation verfasst, die eine analytische, visuelle Bewertungsmethode vergleicht mit einer kinästhetischen Methode: Wir leben uns nicht in das Bild ein, sondern versuchen mit unserem Körper nachzuempfinden und wahrzunehmen, was wir sehen. In dem Artikel wurde verglichen, was effektiver ist: analytische Kriterien oder kinästhetische Kriterien. Die Methode des kinästhetischen Engagements war die erfolgreichere.

Wir haben auch ein Gremium nach ISO-Normen gebildet, um Kristallisationsbilder zu bewerten. Auf diese Weise konnten wir den inneren Weg, den wir vom Bild zur qualitativen Interpretation zurücklegen, wissenschaftlich kommunizieren. Der nächste Schritt bestand in der einfühlsamen Auseinandersetzung mit den Kristallisationsmustern. Wir wollten die ersten Schritte einer Methodik in Richtung eines ‹Seins›-Ansatzes rechtfertigen und die Subjekt-Objekt-Grenze überwinden.

Unsere Hypothese ist: Künstliche Intelligenz ist das technische Gegenstück zu unserem Versagen, kollektiv ein imaginatives Bewusstsein zu entwickeln. Die Schritte, die wir mit den bildschaffenden Methoden unternehmen, gehen langsam in diese Richtung.


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Bild Kupferchlorid-Kristallisationsmethode Foto: Paul Doesburg

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