Die Biodiversität ist hochaktuell, denn überall dort, wo sich die Zivilisation ausbreitet, schwindet die Artenvielfalt. Wo wir Menschen siedeln, gehen Habitate der Natur verloren, wird die Landschaft fragmentiert. Ein Schlüssel liegt in unserem Denken.
Die biologische Vielfalt greifen wir heute von vielen Seiten an: Umweltgifte und der Eintrag fremder Arten. Jagd, Überweidung, Überfischung oder Ausbeutung und auch Abholzung sind weitere Faktoren. Die kurze Formel: Wir nutzen die Natur für unsere Zwecke. Damit erscheint das Artensterben als Abbild des menschlichen gegenständlichen Denkens, das benfalls weitgehend dem eigenen Nutzen unterstellt ist und zur Trennung von der Natur führt. Die Natur hält uns einen Spiegel unserer eigenen Tätigkeit vor. Zugleich zeigt die Entwicklung der Kulturlandschaften in Mitteleuropa, dass Zivilisation auch zur Diversifizierung beitragen kann. Viele neue Pflanzenarten und auch Tierarten konnten sich durch die neuen Lebensgrundlagen entfalten. Der menschliche Eingriff hat die Landschaft verjüngt. Ohne ihn würde europaweit der Mischwald dominieren.
Wenn man ins Lebendige geht, kommt es darauf an, dass in der Natur Beziehungen ermöglicht werden, zwischen verschiedenen Pflanzen, zwischen Pflanzen und Tieren. Aus dieser Beziehungsfülle bildet sich die Gesamtheit eines Ökosystems, eines Habitats mit dem Potenzial, unvorhergesehene Einflüsse abpuffern, Entwicklungen aufnehmen zu können. Hier ist die Diversität eine Einheit, die Impulse von außen verträgt, sogar braucht, damit stetige Entwicklung folgen kann. Beide Vermögen bilden eine Identität.
Auf eine Hofgemeinschaft übertragen, bedeutet das, dass es darauf ankommt, wie sich ein Hof durch seine Vielfalt eine unverwechselbare Identität schafft. Was ist das Besondere von einem Betrieb, von einer Landwirtschaft, von einer Schule? Was muss als Leitidee hervorgehoben, weiterentwickelt werden? Wie muss ich das Ganze im Sozialen, in den Menschen in Verbindung bringen? Die Antwort liegt immer im Gleichgewicht von Denken, Wollen und Fühlen. Wir sehen, dass diejenigen am ehesten dem Irrtum unterworfen sind, welche ein isoliertes Faktum mit ihrer Denk- und Urteilskraft zu verbinden suchten. Während diejenigen am meisten geleistet haben, welche nicht ablassen, alle Seiten und Modifikationen einer einzigen Erfahrung, eines einzigen Versuches nach allen Möglichkeiten durchzuarbeiten. Da alles in der Natur in ewiger Wirkung und Gegenwirkung ist, kann man von jedem Phänomen sagen, dass es mit unzähligen anderen in Verbindung steht.
Wie sich Forschen und Schreiben unterscheiden
Goethe war seiner Zeit weit voraus, wenn er in seinem Aufsatz ‹Der Versuch als Vermittler von Subjekt und Objekt› schreibt: «Wir werden finden, daß diejenigen am meisten geleistet haben, welche nicht ablassen, alle Seiten und Modifikationen einer einzigen Erfahrung, eines einzigen Versuches, nach aller Möglichkeit durchzuforschen und durchzuarbeiten. Da alles in der Natur, besonders aber die allgemeinern Kräfte und Elemente, in einer ewigen Wirkung und Gegenwirkung sind, so kann man von einem jeden Phänomene sagen, daß es mit unzähligen andern in Verbindung stehe, wie wir von einem freischwebenden leuchtenden Punkte sagen, daß er seine Strahlen nach allen Seiten aussende. Haben wir also einen solchen Versuch gefaßt, eine solche Erfahrung gemacht, so können wir nicht sorgfältig genug untersuchen, was unmittelbar an ihn grenzt? was zunächst auf ihn folgt? Dieses ist’s, worauf wir mehr zu sehen haben, als auf das, was sich auf ihn bezieht. Die Vermannigfaltigung eines jeden einzelnen Versuches ist also die eigentliche Pflicht eines Naturforschers. Er hat gerade die umgekehrte Pflicht eines Schriftstellers, der unterhalten will.» Dieses Zitat gilt eigentlich nicht nur für Naturforscher, sondern für alle an Natur und Sozialem interessierten Menschen!
Diversität stärkt die Identität
Wir Menschen, jeder und jede Einzelne, können als Art der Gattung Mensch angesehen werden mit einer individuellen Identität und Autonomie. Diese Identität wird in der Wechselbeziehung und Wechselwirkung, auch durch Abgrenzung mit der Umwelt entwickelt und gestärkt. Für unseren physischen und ätherischen Leib ist unser Immunsystem dabei von großer Bedeutung. Es wird zudem durch die Wirksamkeit der höheren Wesensglieder in unserer Ich-Organisation gestärkt. Je intensiver, je vielseitiger wir uns mit der Umwelt auseinandersetzen, mit der Natur und im sozialen Zusammenhang, desto unterschiedlichere und individuellere Erfahrungen machen wir. Diese Erfahrungen spiegeln sich bis in unser Mikrobiom, denn es wird im Laufe des Lebens immer individueller, ist Teil unseres Immunsystems und stärkt unserer Identität. Je diverser unser Immunsystem ist, desto stärker werden unsere Individualität und Identität entwickelt. Man kann zeigen, dass sich im Verlauf eines gesunden Alterns das Mikrobiom des Menschen individualisiert und dass sich damit jeder Mensch stärker von anderen Menschen unterscheidet. Hier zeigt sich auch, dass Diversität die Identität von uns Menschen stärkt. So gilt die Beziehung zwischen Diversität und einer dadurch gestärkten Identität nicht nur in der Natur, sondern auch für den Menschen.
Bild Meinhard Simon während seines Vortrags, Foto: Johannes Kühl