Es ist eine alte Debatte: Kann Kunst die Welt verändern? Ist Kunst der Spiegel der Schöpferkraft oder der Menschlichkeit? Hat Kunst eine moralische Wirkung? Hat politische Kunst eine Berechtigung oder ist jede Kunst politisch? Wovon leitet sich Kunst ab: vom Können oder vom Wollen? In Ermangelung schwarz-weißer Eindeutigkeit kehre ich die Frage um: Kann Kunst die Welt nicht verändern? Schlicht: nein.
Michael Ende sagte im Gespräch mit Joseph Beuys: «Materialismus ist eine Weltanschauung, die sich selbst nicht zu Ende gedacht hat.» (‹Kunst und Politik›, 1985/1989) In einer ganzheitlicheren Weltanschauung ist es ausgeschlossen, dass Kunst keine Wirkung entfaltet. Nur in einer fragmentierten, materialistischen Auffassung kann ich meinen, dass ein Kunstwerk, dass Kunstschaffen oder Kunst wahrzunehmen, wirkungslos wäre. Welche Wirkung das Wesen der Kunst im Unterschied zu anderen Wesen hat, ist relevanter, um ihre Bedeutung zu begreifen. Wenn ich den künstlerischen Prozess mit all seiner Verletzlichkeit, Geistigkeit, Ganzheitlichkeit anschaue, dann kann ich Kunst auch mit Denken, Lieben, Gemeinschaft bilden, Heilen usw. vergleichen. Da ist Kunst eine unter vielen im Geiste Verwandten. Sie alle bilden unseren kollektiven Herzraum, in dem wir fähig werden, in- und außerhalb zu sein, das Ego beiseitezufegen und unsere Religion wiederzufinden. Was Kunst hervorhebt, ist ihre Zweckfreiheit, deshalb ist sie vom Standpunkt des Materialismus unbegreiflich. Sie ist ein Spielfeld, auf dem unnütze Dinge entstehen und auch Menschen von ihren Zwecken befreit werden. Wir bringen etwas hervor, aber ohne ein ‹Wofür›. Es ist einfach da – und wir ebenso. Wer würde also ohne Kunst leben wollen?
Bild Internationales Abschlusstreffen Eurythmie/Sprachgestaltung. Goetheanum, 2024, Foto: Xue Li