Eichenrinde auf Afrikanisch?

Im Mai fand die African Biodynamic Conference in Kairo statt. Dort sprach Kalle Hübner, Mitarbeiter der Landwirtschaftlichen Sektion, mit Feya Marince. Sie stammt aus Südafrika und ist Mitbegründerin und im Vorstandsmitglied der Indigenous Biodynamic Association of Africa.


Liebe Feya, in deiner Rede auf der ersten afrikanischen biodynamischen Tagung in Kairo sprichst du davon, dass die Menschen an den alten Wunden des Kolonialismus erwachen. Warum ist das so?

Veränderung ist für uns Menschen unvermeidlich. Wir haben erkannt, dass wir nicht mit der industriellen, konventionellen Landwirtschaft weitermachen können, die uns aus dem Kolonialsystem heraus auferlegt wurde. Es ist eine Landwirtschaft, die nicht funktioniert. Wir nehmen mehr von der Erde, als wir brauchen. Wir sind nicht respektvoll ihr gegenüber. Es ist fast so, als würde sie darauf reagieren und sagen: Genug, es reicht! Die Erde ist ein lebendiges Wesen. Es geht darum, die Verbindung zwischen uns und Mutter Erde zu heilen, uns an diese Verbindung zu erinnern. Zu lange haben wir uns selbst wahrgenommen als Wesen, die unabhängig sind von den Kräften der Erde. Jetzt bekommen wir eine neue Gelegenheit, eine letzte Chance gewissermaßen, sie zu heilen – und dabei uns selbst zu heilen.

Viele Menschen sprachen in Kairo von einer afrikanischen Weise der biodynamischen Landwirtschaft. Was ist damit gemeint?

Das ist es, was wir entdecken müssen. Wir begeben uns in Afrika auf eine Reise der Identitätsfindung. Wir stehen derzeit alle auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Einige haben Schulungen in biodynamischer Landwirtschaft erhalten, sind tief mit dem geisteswissenschaftlichen Aspekt verbunden und verwenden biodynamische Methoden, um den Boden zu heilen und die lokalen Gemeinschaften auf solchen Prinzipien aufzubauen. Andere nutzen nur Präparate, um zertifiziert zu werden und nach Europa zu exportieren. Auf dem europäischen Markt sind Premium-Bioprodukte stark nachgefragt, das ist gut! Aber während wir uns mit Standards und Zertifizierungen auseinandersetzen, muss die geisteswissenschaftliche Seite gleichermaßen mitgetragen werden.

African Biodynamic Conference 2024, Fotos: Shrouk Zahran, Egyptian Biodynamic Association (EBDA)

Wenn wir die Präparate in Afrika betrachten, so stellen wir fest, dass einige Präparatepflanzen auf dem Kontinent nicht heimisch sind und Komponenten wie Eichenrinde und Hirschblase importiert werden müssen. Während der Tagung wurde deutlich, dass dies Fragen aufwirft.

Die Präparate spielen eine Schlüsselrolle, wenn es um diese afrikanische Weise der biodynamischen Landwirtschaft und den Schutz der Pflanzen in Afrika geht. Die Hauptfrage ist die der Nachhaltigkeit: Ist es langfristig praktikabel, wenn wir beispielsweise eine Hirschblase aus Deutschland importieren müssen? Ein weiteres Beispiel ist Baldrian – er blüht nicht in bestimmten Gegenden Afrikas. Wir müssen alternative Präparate für Afrika entdecken. Natur agiert nicht im leeren Raum: Es muss auch hier in Afrika Pflanzen geben, die auf diesem Kontinent gedeihen und ähnliche Wirkungskräfte entfalten können. Dies muss erforscht werden, und die Forschung muss aufbauen auf einer tiefen, intimen Beobachtung der Wesenheiten von Pflanzen und Tieren sowie einem tiefen Verständnis der Lebenskräfte, die in und durch sie wirken. Mir scheint, hier liegt derzeit die größte Herausforderung für die Biodynamik in Afrika.

Im Jahr 2022 hast du gemeinsam mit anderen Menschen die Indigene Biodynamische Assoziation Afrikas gegründet.

Ja, durch diese Assoziation haben wir einen Weg gefunden, die Biodynamik bekannt zu machen. Wir verfolgen einen Ansatz, der es den Landwirten und Landwirtinnen ermöglicht, sich an unsere ursprüngliche, indigene Art der Landwirtschaft zu erinnern und ihre eigene Identität zu entwickeln. Wir waren auch neugierig darauf, wie indigene Menschen in anderen Ländern mit der Biodynamik in Verbindung treten würden. Die Assoziation ermöglicht uns, diese Arbeit über Landesgrenzen hinweg zu tun. Es ist auch ein Weg für Afrika, die eigene Stimme zu finden und dieser alten Stimme weltweit Gehör zu verschaffen.

Wie vermittelst du biodynamische Methoden in indigenen Gemeinschaften?

Wir beginnen mit der Herstellung von Kompost. Wir machen genaue Beobachtungen und Vergleiche. Wenn man die Menschen neugierig macht, öffnen sie sich für diese neue Art der Landwirtschaft und assoziieren sie sofort mit den Erzählungen ihrer Großeltern. Dann kommt man ins Gespräch und sagt, dass die Biodynamik schon hundert Jahre alt ist. Die Menschen sind dann oft überrascht und fragen sich, warum sie nicht schon früher in Afrika Einzug gehalten hat. Die Weisheit der indigenen Traditionen und Kulturen ist der Türöffner, und wir knüpfen daran an und gehen dann einen Schritt weiter und befassen uns mit den Grundlagen der Anthroposophie. Alles beginnt mit den Gesprächen über unsere Vorfahren und ihre Art, Landwirtschaft im Einklang mit der Natur zu machen.

Feya Marince, Foto: Kalle Hübner

Du hast von der Erde als lebendigem Wesen gesprochen. Die Erde als Lebewesen – das ist das Thema unserer kommenden Landwirtschaftlichen Tagung am Goetheanum. Was können wir von der afrikanischen Perspektive lernen?

Ich möchte ein Beispiel geben. Als Kind konnte ich nicht verstehen, warum die Bauern früher zur Aussaat ihre Schuhe auszogen. Vor Kurzem besuchte ich eine lokale Gemeinschaft und sprach mit einer 96-jährigen Bäuerin. Sie beschrieb, wie sie sich während der Aussaat mit dem Saatgut in der Hand verbindet und diese Verbindung sich über die Füße in den fruchtbaren Boden hinein fortsetzt. Gleichzeitig bildet sie in Gedanken die Intention für eine gute Ernte. Da haben wir eine ganz intuitive Auffassung von der Erde als einem lebendigen Wesen. Sie verstand, wie sich lebendige Erde, Mensch und Kosmos in der Landwirtschaft verbinden.

Was bedeutet die Erde als Lebewesen heute?

Für mich bedeutet es, Präparate zu erforschen und einzusetzen, um den Boden zu verlebendigen, als Mitschöpfer an der Seite der Natur. Lebendiger Boden bringt lebendige Pflanzen hervor, und diese ernähren lebendige Tiere und Menschen, und diese wiederum beleben den Boden mit einer guten Landwirtschaft, es ist ein ausgewogenes Ökosystem von gebender und empfangender Lebendigkeit. Wir sind ein Mikrokosmos innerhalb eines Makrokosmos. Indigene Kulturen helfen uns, wieder zu entdecken, was Leben ist.

Wenn du die Erfolgsgeschichte von Sekem und der Economy-of-Love-Initiative hier in Ägypten ansiehst: Welchen Eindruck ruft das bei dir hervor?

Sekem ist ein eindrucksvolles Zeugnis davon, dass die Biodynamik funktioniert und erfolgreich sein kann. Es ist der gelebte Beweis, dass auch wir unser Land und uns selbst heilen können, auch wenn wir es in unseren lokalen Gemeinschaften und Ländern vielleicht etwas anders angehen. Aber wir müssen diese gewaltige Hoffnung aus dieser Tagung mitnehmen. Es wird Zeit brauchen, um uns all die nötigen Antworten zu erarbeiten, denn unser Fortschritt als Bewegung hängt von den persönlichen Entwicklungswegen jedes Einzelnen ab. Meine eigene Entwicklung in der Biodynamik begann, als ich durch die Herstellung von Kompost mit dem Landwirtschaftlichen Kurs in Berührung kam. Ich kann gar nicht beschreiben, was diese Erfahrung für mich bedeutete. Es war wie ein Ankommen zu Hause, es war, als hätte ich das schon immer gewusst.

Viele Landwirte und Landwirtinnen sprechen von einer karmischen Dimension in der Biodynamik, es scheint hier eine besondere Verbindung zu geben.

Das ist etwas ganz Besonderes! Wir Landwirte und Landwirtinnen erfüllen in dieser Zeit unsere Aufgabe. Bauern, Hüter der Erde haben diese Verbindung mit der Erde auf der seelischen Ebene. Heute ist es an der Zeit, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen Gegensätzen und wieder eine Ganzheitlichkeit herzustellen. Daher kommt diese Berufung bei den Landwirten, das geht sehr tief. Es ist die Sehnsucht der Seele, zur Heilung von Mutter Natur und zum Wohle aller beizutragen.


Titelbild Feya Marince, Foto: Kalle Hübner

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