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Schweden nach der Wahl

Schweden leuchtet aus den Staaten heraus, wenn von Demokratie, Frieden, Gendergleichheit und humanitärem Engagement die Rede ist. Was bedeutet es, dass nun eine rechtsnationale Partei im Parlament stark zugelegt hat? Das Gespräch führte Wolfgang Held.


Was zeichnet Schweden aus?

Rembert Biemond: Es ist ein Land, das sich seit 200 Jahren im Frieden befindet und das einen hohen Wohlstand erreicht hat. Die Verbindung zur Natur ist hier überall zu spüren. Ich komme aus den Niederlanden. Dort leben doppelt so viele Menschen, dabei hat das Land nur einen Zehntel der Fläche von Schweden. Schweden ist ein Land mit sehr viel Platz.

Alfred Nobel, Olof Palme, Dag Hammarskjöld und das Friedensinstitut Sipri: Nirgends scheint man den Frieden besser zu verstehen als in Schweden?

Schweden ist ein Jahrhundert lang freundlich gewesen zu Geflüchteten. Das gilt für die Zeit des Nationalsozialismus, aber auch danach. Wenn irgendwo in der Welt eine Krise entbrannte, dann waren in Schweden die Arme geöffnet – ob 1968 beim Prager Frühling oder 1973, als in Chile Allende gestürzt wurde. Das gilt auch für die jüngere Vergangenheit des Balkankrieges oder der Irakkriege. «Hier ist Platz» ist da immer zu hören gewesen. Die Schweden haben in der aktuellen Migrationskrise pro Kopf dreimal so viele Geflüchtete aufgenommen wie Deutschland. Mehr als 400 000 Menschen kamen ins Land. Schweden liegt damit in Europa an der Spitze. Das gilt auch dafür, wie schnell die Schutzsuchenden dann im Erwerbsleben integriert werden. Aber nun wird auch in Schweden von einer lauten Minderheit «genug» skandiert.

Mit einem Prozent des Bruttosozialproduktes engagiert sich Schweden auch stark in der Entwicklungshilfe.

Schweden hat wohl die höchste Staatsquote in der Welt, auch was die Unterstützung armer Länder und Völker anbelangt. Die Dominanz der Sozialdemokratie über zwei Generationen hinweg hat quasi in die DNA eingraviert, dass der Staat sich um diese Dinge alle kümmert.

Ist der Wohlfahrtsstaat noch immer Markenzeichen Schwedens?

Seit Einführung des freien Wahlrechts 1921 stellte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SAP) gleich zu Beginn vier Jahre den Regierungschef, ebenso von 1932 bis 1976, von 1982 bis 1991 und von 1994 bis 2006 und wieder seit 2014. Das hat also reiche Tradition. Ich bin in vielen Ländern herumgekommen: Dass der Gesundheitsminister aber verantwortlich sein soll für meine Gesundheit und nicht ich selber, das lebt so nur in Schweden.

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Die Schweden haben in der aktuellen Migrationskrise pro Kopf dreimal so viele Geflüchtete aufgenommen wie Deutschland.

In der Berichterstattung ist oft von den zwei Blöcken die Rede: Sozialdemokraten versus Moderate. Ist dieser Eindruck richtig?

Das wird so gesagt, ist aber eigentlich gar nicht der Fall, denn Schweden sind konfliktscheu. Im Reichstag hängt ein großer Gobelinteppich über der Frontwand. Er ist ausschließlich in verschiedenen Grautönen gehalten und spiegelt gewissermaßen das Miteinander der politischen Farben. Die Sitzordnung ist sogar regional, nicht nach Parteienzugehörigkeit. Minderheitsregierungen haben in Schweden eine lange Tradition, und auch die letzte Regierungsperiode war eine Minderheit von Sozialdemokraten und Grünen mit nur 39 Prozent der Stimmen. Der andere Block hätte also mit Unterstützung der Rechten die Regierung zu jeder Zeit abwählen können, das haben sie aber nicht getan, um nicht in den Verdacht zu geraten, sich mit den äußerst Rechten zu verbinden. Nach der aktuellen Wahl läuft es wohl auf eine Art große Koalition hinaus. Die schwedische Politik ist dann hinter verschlossener Tür ziemlich pragmatisch und hat für wichtige Entscheidungen, z. B. das Budget, immer Mehrheiten bilden können. Wo man aktuell sprachlos ist, das ist im Umgang mit dem äußerst rechten Flügel. Soll man, so fragen sich einige, diesen Flügel an der Macht beteiligen, damit ‹die Blase einmal platzt› und sich die vereinfachten Parolen in der politischen Wirklichkeit korrigieren? In den Niederlanden haben wir Erfahrung darin, dass man Koalitionen aller Couleur bildet. Das hängt auch damit zusammen, dass es dort keine Prozenthürde gibt. Deshalb kamen Parteien vom extrem linken und rechten Spektrum schon früher in die Parlamente und haben die eine oder andere Regierung toleriert.

Das gesellschaftliche Gespräch über die Blöcke hinweg sollte also jetzt intensiver werden?

Über die Parteigrenzen hinweg zu Absprachen zu kommen, das wird sicher gelingen, auch wenn erst mal taktiert wird, wer wen zum Gespräch einlädt. Die beiden traditionellen Blöcke kommen ja jeweils nur auf 40 Prozent. Die rechte Partei hat mit 17 Prozent übrigens deutlich weniger erreicht, als vor ein paar Monaten viele befürchtet haben. Sie ist nicht wie erwartet an zweiter, sondern nur an dritter Stelle in der Wählergunst, und dort handelt es sich ähnlich wie in anderen Ländern vor allem um Protestwähler. Die Lage ist jetzt kompliziert, denn eine zukünftige Regierung braucht die Stimmen der Rechtsaußenpartei Schwedendemokraten, wenn die beiden Blöcke sich nicht auf eine Regierung einigen können.

Herrscht in Schweden jetzt Gelassenheit oder Sorge?

Ich lebe seit vielen Jahren in Schweden und bin doch als Ausländer nicht der Richtige, hier über die schwedische Seele etwas zu sagen. Auf jeden Fall ist der bedenkliche europaweite Trend auch in Schweden angekommen. Gleichwohl gilt, dass die schwedische politische Landschaft viel weiter links liegt, als wir das von Mitteleuropa kennen. Was hier in Stockholm als moderat gilt, würde in Deutschland eher zum linken Feld gehören, wenn man die Voten und Entscheidungen dieser politischen Gruppe betrachtet. Jetzt hoffe ich, dass Schweden auf diese neue politische Lage Antworten findet, die auch für andere Länder Europas eine Perspektive sein können.


Bild: Textil «Minnet av ett landskap» von Elisabet Hasselberg-Olssons, hängt im Reichstag.
Quelle: www.hv-textil.se/var-historik/bildarkiv/sveriges-riksdag-plenisalen/

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