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Sonnenuntergang im Museum

Im Kunstmuseum Basel hängt derzeit ein Bild, welches denjenigen, die sich mit Steiners malerischen Skizzen beschäftigen, überraschend vertraut ins Auge springen wird.


Während die Teilnehmer der derzeitigen Malerwerkstatt im Rahmen der Goetheanum-Kunstwerkstätten die zweite Skizze der Naturstimmungen betrachten und malen, entdeckte ich im Kunstmuseum Basel ein Bild, welches nicht nur entfernt an diese zweite Skizze Steiners erinnert, sondern in direkter Weise von ihr inspiriert zu sein scheint. Es ist eine kleine Aquarellzeichnung von Walter Dahn, dem 1954 in St. Tönis geborenen und in Köln lebenden deutschen Künstler. Dahn war von 1971 bis 1977 Schüler von Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf und wurde in den 80er-Jahren mit der Künstlergruppe Mühlheimer Freiheit in Köln und der Documenta-Teilnahme 1982 als Teil der ‹Jungen Wilden› bekannt.


Rudolf Steiner

Rudolf Steiner

Im Rahmen seiner Sammlungspräsentation ‹Focus Papier› widmet das Kunstmuseum Walter Dahn nun zum zweiten Mal eine Ausstellung im Kupferstichkabinett. Die Ausstellung konzentriert sich auf Zeichnungen auf Papier und Fotografie aus den 80er-Jahren. Doch auch aktuellere Arbeiten werden gezeigt. 

Das besagte Bild hängt in einer Reihe von Blättern aus den Jahren 2004–2008, welche Dahn dem Kunstmuseum schenkte. Inmitten von kleinen Aquarell- und Bleistiftzeichnungen entdeckte ich das vertraute Motiv. Walter Dahn hat Steiners zweite Skizze der Naturstimmungen gemalt, dachte ich. Hier hängt im Kunstmuseum ein Bild, mit dem wir in kleinem Kreis in der Malerwerkstatt täglich umgehen. 

Dahns Bild ist nicht identisch mit Steiners Skizze, eigentlich ist es sogar sehr anders. Die Flächen sind geometrisch und mit Farbe ausgefüllt, nicht organisch und strichartig wie bei Steiner, das Bild ist im Hochformat, Blau und Rot sind kräftiger und bei Dahn gibt es nur vier Strahlen oder Zacken statt fünf wie bei Steiner. Doch die Grundstruktur ist unverkennbar dieselbe. Ein roter Körper mit Strahlen, die von außen nach innen kräftiger werden, sitzt auf einer ruhigen blauen Fläche. Dahns kleines Bild mutet königlich und kraftvoll an, die Form erinnert an eine Krone oder eine geöffnete Blüte. Doch ein eindeutig Gegenständliches ist, wie auch in Steiners zweiter Skizze, nicht zu bestimmen. Vielmehr vermitteln die Flächen, Farben und Gesten einen Eindruck, der als Gesamtstimmung in der Seele erlebbar ist. Dieser Eindruck ist bei Dahn sehr unmittelbar, die Zeichnung, vielleicht auch wegen ihrer Größe, prägt sich dem Betrachter wie ein Stempel ein. Das Bild könnte mit einer Drucktechnik gedruckt sein, denn es wirkt so, als wären alle Flächen gleichzeitig in das Papier geprägt worden. Auch Steiners Skizze hat diese Einheitlichkeit, in der alle Teile des Bildes zu einem einprägsamen Gesamteindruck beitragen, hier jedoch ist die Bewegung der Hand erlebbar, Steiners lockerer, aber bestimmter, suchender, aber bewusster Strich wesentlich für den Nachvollzug der Skizze. Bei Steiner ist es möglich, Richtung, Bewegung und Räumlichkeit durch die Strichführung nachzuvollziehen. Gerade diese Eigenschaft ist für die Arbeit mit seinen Skizzen reizvoll, denn man bemerkt, dass jede einzelne Handlung auf dem Blatt eine Wirkung entfaltet, die man mit der Empfindung nachvollziehen kann. 


Walter Dahn

Walter Dahn

Es ist kaum vorstellbar, dass Dahn nicht von Steiners Skizze angeregt wurde. Im Gegenteil: Anfang der 90er-Jahre besuchten die Beuys-Schüler Walter Dahn und Johannes Stüttgen das Goetheanum in Dornach und entdeckten die Wandtafelzeichnungen Rudolf Steiners, von denen sie begeistert waren. Dieser Besuch markierte den Beginn der weltweiten Ausstellungstournee dieses Teils von Steiners Werk, denn Dahn und Stüttgen überzeugten die Galeristin Monika Sprüth, die Tafelzeichnungen in ihrer Galerie auszustellen, wodurch renommierte Institutionen für Gegenwartskunst auf sie aufmerksam wurden und sie ausstellten. Es ist gut möglich, dass Dahn und Stüttgen bei ihrem Besuch auch andere Werke Steiners sahen, zum Beispiel die Naturstimmungen. 

Für die Maler, die in kleinen Zusammenhängen rund ums Goetheanum und anderenorts (es gibt Skizzengruppen zu den Naturstimmungen in Finnland, Manhatten und Portland) mit den Skizzen Steiners arbeiten, ist es überraschend und erfreulich, eine Variation einer solchen im Museum zu sehen. Woher kommt diese Freude beim Anblick der kleinen, an sich eigentlich recht unspektakulären Zeichnung im Kunstmuseum? Und woher die Überraschung? 

Freude, weil die selbstverständliche Weise, in der sie daherkommt, das eigene Empfinden bestätigt, dass diesen Skizzen Steiners etwas grundlegend Natürliches, Evidentes zugrunde liegt. 

Überraschend ist es, eine solche Skizze im Museum zu sehen, weil dieser Teil von Steiners Werk noch immer nicht seinen Weg in die zeitgenössische Kunstwelt gefunden hat. Sind die Tafelzeichnungen, von Dahn und Stüttgen in den 90er-Jahren zur Kunst erklärt, mittlerweile ein selbstverständlicher Bestandteil selbst der Biennale, so finden dagegen die Pastell- und Aquarellskizzen Steiners noch immer wenig Beachtung. Dahn und Stüttgen legten ihr Augenmerk bei ihrem Besuch am Goetheanum auf die Wandtafelzeichnungen, obwohl Stüttgen in einem Kolloquium zu den Wandtafelzeichnungen auch die anderen Zeichnungen und Skulpturmodelle hervorhebt: «Ich war sehr beeindruckt von der künstlerischen Relevanz, die ich da sah.» Dass auch die anderen Zeichnungen Steiners einen bleibenden Eindruck auf die Künstler gemacht haben, sieht man nun an der kleinen Blau-Rot-Stimmung in Walter Dahns Ausstellung im Kunstmuseum Basel. Möglicherweise ist es nun an der Zeit, diese anderen Skizzen und Zeichnungen neu zu entdecken, sodass es irgendwann keine Überraschung mehr sein wird, aktuelle Studien von Steiners Naturstimmungen im Museum zu entdecken. 

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