2BW6D9E May 29, 2020, New York, New York, USA: Large crowds have taken to the streets in New York City to protest the death of George Floyd and instances of police brutality for the second day in a row. Hundreds, masked face, had gathered without applying social distancing in Foley Square in front of the Court of Justice in Manhattan, shouting their anger and calling on the City Council to reintroduce and pass a chokehold bill. This African-American doctor wearing and holding face masks where ''I can't breath'' is written. Protests in Brooklyn turned violent by night, with a dozen NYPD officers injure

«I can’t breathe!» Atemangst und Atemnot als Zeitsymptom

Der Atem ist der Lebensnerv eines jeden beseelten Organismus und bei uns Menschen ist er Quell und Ausdruck, mit allem und jedem in Beziehung zu sein. Früher haben Götter den Atem geschenkt – heute schenken wir ihn gegenseitig und heben uns so vom natürlichen zum sozialen Wesen.


«I can’t breathe!», rief George Floyd. Er lag wehrlos, die Hände auf dem Rücken gefesselt, das Gesicht auf den harten, schmutzigen Asphalt gepresst. «I can’t breathe!», stöhnte er, wimmerte er. Doch keiner der drei Polizisten, die neben ihm standen, wollte helfen. Sie sahen zu, wie ihr Kollege mit seinem ganzen Gewicht auf George Floyds Hals kniete – 8 Minuten und 41 Sekunden lang, bis dieser nicht mehr lebte.

«I can’t breathe!», rufen immer mehr Menschen auf Straßen und Plätzen, rund um die Erde. Viele fallen auf die Knie. Sie wollen dem Toten die letzte Ehre erweisen, sie wollen um Verzeihung bitten für die Tat eines kaltherzigen Mörders in Uniform – und sie wollen ein Zeichen setzen für die Rechte jedes Menschen, ob arm oder reich, jung oder alt, schwarz oder weiß. Aus einem rassistischen Verbrechen wurde ein globaler Aufstand gegen Diskriminierung und für das Leben und die Würde des Menschen.

Foto: Dieser afroamerikanische Arzt trägt und hält auf einer Demonstration am 29. Mai 2020, New York City, USA, Gesichtsmasken, wo geschrieben steht: «Ich kann nicht atmen.» Quelle: ZUMA Press, Inc. / Alamy Stock Foto

«I can’t breathe!», wird zum Motto einer weltweiten Bewegung. Die Menschen können nicht begreifen, dass sie monatelang Abstand voneinander halten und im Haus bleiben, um ihre Mitmenschen vor verfrühtem Tod zu schützen, nur um dann zuzuschauen, wie Vertreter der Staatsgewalt auf offener Straße einen Menschen grundlos, aus einer Laune heraus, töten. Aber es geht noch um mehr. Immer mehr wird uns die Bedeutung wie die aktuelle Gefährdung des Atmens bewusst. Es ist wahrlich höchste Zeit dafür. Auch die Coronapandemie betrifft ja den Atem. Das Virus, über Aerosol bzw. feine Tröpfchen in der Atemluft eingeatmet, befällt vor allem die menschlichen Lungen und kann zum Erstickungstod führen. Zur Behandlung werden Beatmungsplätze benötigt.

«I can’t breathe!» ist also auch das Erlebnis derer, die einen schweren Covid-19-Ausbruch durchmachen. «I can’t breathe!», das können, abgeschwächt, auch alle sagen, die etwa zu Hause eingesperrt sind, nicht zur Arbeit und nicht zueinander können, den Atem anhalten oder eine Atemmaske tragen müssen. Denn tatsächlich betrifft die Coronakrise die ganze Gesellschaft.

So wird der Atem zur Sehnsucht und Not einer bedrohten Menschheit. Bedroht von der Enge der eigenen Gedanken und Taten sowie von deren Folgen.

«I can’t breathe!» rufen nicht nur wir Menschen. «I can’t breathe!» ruft auch die Erde, lange schon und zunehmend lauter, während es immer wärmer wird, das Eis an Gletschern und Polen schmilzt, die Wüsten wachsen und das Thermometer und mit ihm der Wasserspiegel steigt. «I can’t breathe!» rufen auch unzählige Tierarten, deren Lebensraum und Nahrungsgrundlage wir zerstören.

«I can’t breathe!» rufen schließlich unzählige Menschen rund um den Erdball, die in beklemmender Armut leben, die keine Arbeit haben und auch keine Chance, eine zu bekommen, oder die erfolgreich sind, einen Beruf haben, dort aber unter großem Druck bis zur totalen Erschöpfung immer weiter ausgepresst werden.

So wird der Atem zur Sehnsucht und Not einer bedrohten Menschheit. Bedroht von der Enge der eigenen Gedanken und Taten sowie von deren Folgen. Luft hat keine Farbe, keine Religion, keine Nation. Wir alle atmen dieselbe Luft. Also wollen und müssen wir miteinander atmen lernen – nicht einander den Atem nehmen!


Bild: ‹I can’t breath› rief der Afroamerikaner Eric Garner am 17. Juli 2014 und stieß George Floyd am 25. Mai 2020 aus. Es ist der Hilfeschrei in der Todesangst des Würgegriffs und es ist stumm der Sehnsuchtsschrei nach Leben an jedem Tag. An der Begräbnisfeier für George Floyd sagte der Bürgerrechtler Al Sharpton, dass seit 401 Jahren die Schwarzen das Knie an ihrem Hals fühlten und deshalb nicht das Leben führen könnten, das ihr Leben sein könnte. Er spann den Bogen zum 20. August 1619, als in Virginia ein erstes Sklavenschiff in den USA anlegte. ‹I can’t breath› spannt den Bogen von der physischen Gewalt polizeilicher Übergriffe zur seelischen Gewalt der täglichen Benachteiligung und geistigen Gewalt vorenthaltener Bildung.

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