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Deklarieren, statt etikettieren

Die Lehre ist über 2000 Jahre alt und zeitlos: «Wenn alle das Schöne als schön erkennen, ist das Hässliche gesetzt – wenn alle das Gute als gut erkennen, ist dadurch das Nichtgute gesetzt, denn Sein und Nichtsein erzeugen einander.»


Die Zeilen des ‹Tao-Te-King› aus der Frühzeit Chinas sind philosophisch-meditative Hilfen, um zu verstehen, wie die Gegensätze wechselseitig Kinder voneinander sind, wie also das sich Gegenüberstehende den zwei Seiten der einen Medaille entspricht.

Wenn im ‹Metzler Philosophen-Lexikon› (2. Aufl.) unter den 200 Philosophen Rudolf Steiner nicht dabei ist, wenn der Rhythmusforscher Gunther Hildebrandt erst nach seiner Emeritierung von Anthroposophie sprach und der Dokumentarfilm von Andres Veiel (2017) über Joseph Beuys dessen Anthroposophie verschweigt, dann ist der Reflex nicht weit, die Identität der Anthroposophie, ihrer Produkte und Produzenten umso deutlicher herauszustellen. Wenn du mich nicht siehst, seh’ ich mich umso deutlicher! Ignoranz erzeugt Selbstbezug und umgekehrt. Ein typischer Antagonismus des 20. Jahrhunderts.

Dann 2011: Peter Sloterdijk, der einflussreiche Philosoph, nennt Rudolf Steiner den größten narrativen Philosophen seit Nietzsche, und Iris Radisch attestiert der Anthroposophie, die einzige Reformbewegung des 20. Jahrhunderts zu sein, die den Praxistest bestanden habe. Da wird die Ausgrenzung überwunden, also lohnt es sich, auch die Ein- und Abgrenzung sein zu lassen. Das bedeutet, auf das Wie und weniger auf das Was zu schauen, mehr von ‹anthroposophisch inspiriert, beflügelt oder innoviert› als von ‹anthroposophisch› zu sprechen, oder kürzer, wie Götz Werner in manchem Interview: «deklarieren, statt etikettieren».


Bild: November (Dynamismus), Anneli Schwager, Mischtechnik auf Leinwand, 2008, 165 × 150 cm, Bilderzyklus ‹12 Monaden = Ein kosmischer Zyklus – Tierkreisstimmungen, Monate, Weltanschauungen›, 2008 – 2011

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