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Eine Handvoll Erde

Einmal besuchte ich in Südfrankreich den einflussreichen Bauern und Schriftsteller Pierre Rabhi, der sich für eine ökologische Landwirtschaft und ein spirituelles Verständnis des Lebens einsetzt. Sein Motto: Wir müssen lernen, nicht nur Quantitäten, sondern auch Qualitäten wahrzunehmen. In seiner Jugend hatte er die biodynamische Landwirtschaft durch das Buch von Ehrenfried Pfeiffer ‹Die Fruchtbarkeit der Erde› kennengelernt.


Pierre wollte uns unbedingt seinen kleinen Bauernhof zeigen: einen Gemüsegarten, einen Obstgarten und eine Herde Ziegen. Aus dem kleinen Mann algerischer Herkunft, mit ruhig leuchtenden Augen, strahlt eine gelassene Weisheit. Er gehört zu diesen Menschen, die wissen, wie man Inspirationen aufnimmt – spricht einfache und doch bedeutsame Worte. Als wir im Gemüsegarten waren, holte er eine Handvoll Erde und sagte: Davon bekomme ich all meine Kräfte. Das war für ihn das Wichtigste: die Erde als Quelle seiner Lebenskräfte. Später im Gespräch wurde klar, dass er damit all die Sinneswahrnehmungen meinte.

Für einen jungen Menschen, der sich für Spiritualität und Geisteswissenschaft interessiert, klingt es zuerst etwa seltsam: Soll ich meine Kräfte nicht aus meinen Idealen holen, aus meinen rein geistigen Erfahrungen? Es braucht Zeit, um zu bemerken, dass die Befreiung von der Sinnlichkeit durch spirituelle Ideen, durch reines Denken kein Selbstzweck ist, sondern nur dazu dient, die irdisch-sinnliche Wirklichkeit neu wahrzunehmen, und noch mehr: sich von der Geistigkeit der Sinneswahrnehmung beleben zu lassen. Es handelt sich um eine Geisteserkenntnis, die die Erde als spirituelles Zentrum sieht und dadurch die Sinneswahrnehmungen als Wege zum Geist betrachtet. So wird auch verständlich, warum «der Anfang der Anthroposophie […] mit einer Betrachtung der menschlichen Sinne» gemacht werden soll (GA 45, ‹Anthroposophie, ein Fragment›, 2. Kapitel).


Auf dem Bild: Pierre Rabhi

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