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Die einzigen Seher

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Nur Dichter nehmen die Welt ernst, diejenigen, die den Ruf haben, abgelenkt zu sein, Träumer, die die Dinge nicht messen, die ihre Schwere nicht kennen. Sie allein kennen die Schwerkraft, das Drama der Dinge und auch, was sie an Licht enthalten. Sie sind die einzigen Seher und die einzigen Atmer auf dieser Welt. Ich spreche von einem kleinen, verstreuten Stamm, der nicht nur aus Menschen besteht, die schreiben oder malen, aus Ästheten oder Künstlern. Es handelt sich um eine menschliche Art, die Welt zu bewohnen. Denn zu sagen, die Welt poetisch zu bewohnen oder die Welt menschlich zu bewohnen, ist im Grunde genommen dasselbe.
— Christian Bobin, Le plâtrier siffleur. Poesis, 2018 (Übersetzung: Louis Defèche)

Nur der Dichter ist Seher, weil er den Mut hat, sich auf das Bodenlose zu wagen und seine Fragilität nicht zu leugnen. Poesie lebt nicht nur in einem geschriebenen Wort, sondern kann auch in einem Blick, in einer Bewegung, in einer Aufmerksamkeit oder einem Schritt, ja sogar in einer Entscheidung oder in einem Gedanken zum Ausdruck kommen. Dort, wo der fragile Mensch zur Geltung kommt.

Louis Defèche


Zeichnung von Philipp Tok

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