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Wenn aus ‹cakes› Keks wird

«In unserer Zeit aber ist die Sprache tatsächlich so gefährdet und von Zersetzung bedroht wie nie zuvor», schreibt 1974 der Publizist Hans Weidel. Und 1891, fast hundert Jahre früher, der Philologe Gustav Wustmann: «Die Sprache wird heute so schnell umgebildet, dass sie heute verkommen und verlottert ist.» Ähnlich wie bei der Jugendkritik lässt sich die Diagnose ‹Sprachverfall› bis in die vorchristliche Zeit verfolgen. Interessant: Es ist immer Fremdkritik, nie ist man selbst das Problem, der Stein des Anstoßes. Niemand schaut hundert Jahre zurück, um diese sprachliche Vergangenheit zu loben und den eigenen Sprachgebrauch zu tadeln. Man erkennt immer nach sich die sprachliche Sintflut.

Vermutlich ist daran weniger der Hochmut schuld, sondern die Lebendigkeit der Sprache. Kommt etwas Neues in den Sprachleib, wie vor hundert Jahren das Wort ‹Keks› aus dem englischen ‹cakes›, dann ist es zuerst ein schrecklicher Anglizismus und für manche Symptom des Verfalls. Ist es einmal zur Regel geworden, hat der Sprachorganismus es verdaut und sich zu eigen gemacht, dann stört es niemanden mehr. Was man rückwärts als Leben erkennt, das scheint vorwärtsgewandt Chaos zu sein. Ein lebendiger Sprachbegriff bedeutet vermutlich, nicht nur den vollzogenen, vergangenen Wandel zu bejahen, sondern auch den aktuellen. Die Regelverletzung oder Kunstwörter wie ‹chatten› oder ‹Filterblase›, in denen man vielleicht den Sprachverfall erkennt, erscheinen dann als Ausdruck der Wandlungs- und Assimilationskraft der Sprache. So auf die Sprache und vielleicht auch auf die Kultur im Ganzen geschaut, lässt sich mancher Abgesang als Hymnus verstehen.

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