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Es malt in mir

Nach hundert Jahren erwacht eine Skizze von Rudolf Steiner zum Leben: Für die Eurythmie hatte er 1918 einen Bühnenvorhang skizziert. Jetzt hat Philip Nelson diese Skizze für einen großen Vorhang ins Bild gesetzt. Ein Gespräch mit dem Maler und Stefan Hasler zum erstmaligen Einsatz des Vorhangs, der zugleich die Premiere des ersten Programms des neuen Eurythmie-Ensembles ist. Die Fragen stellte Wolfgang Held.


Wie kam es zu diesem unerwarteten Projekt, einen Vorhang nach einer Skizze von Rudolf Steiner anzufertigen?

Stefan Hasler Wir Verantwortlichen für die Eurythmiebühne haben uns im Frühjahr getroffen, um das Thema des ersten Programms [des neuen Eurythmie-Ensembles] zu besprechen. Da haben wir uns gerne an dem Arbeitsthema orientiert, das für die Anthroposophische Gesellschaft in den kommenden Jahren die geistige Linie geben soll: dem Grundsteinspruch. In dieser Anrufung von Rudolf Steiner spielt der dreigliedrige Mensch eine zentrale Rolle und damit all die dreifaltigen Perspektiven, die die Anthroposophie bereithält, um das Leben, die Seele und den Geist verstehen zu lernen. Für uns Eurythmisten ist es ja das tägliche Brot, mit Bewegung – Gefühl – Charakter in dieser Dreigliederung zu arbeiten. Fortwährend geht es um die Frage, ob es gelingt, aus der vordergründigen Dualität zu der dreigliedrigen Perspektive zu kommen. So habe ich bei einer Besprechung bei mir zu Hause an die Wand gezeigt, denn dort hängt die Skizze von Rudolf Steiner, die er 1918 als Eurythmievorhang gezeichnet hat. Da ist eine klare Dreiteilung, die man deutlich als die Vokale I, A, O lesen kann. Leider ist diese Skizze bislang ziemlich wenig bekannt. Selbst unter Eurythmisten. Es ist ein unglaubliches Werk. Wir waren uns dann schnell einig, dass wir aus dem Grundsteinspruch und dieser Vorhangskizze das erste Programm entwickeln wollen. Zugleich wollten wir mit dieser Vorhangskizze arbeiten können, sie also in zeitgenössischer Weise auf der Bühne haben. So gelangten wir an Philip Nelson mit der Frage, ob er für dieses Projekt dabei wäre. Denn wer Philip Nelsons Bilder kennt, wird wissen, dass er ein Alchemist ist, also stets die Verwandlung, die Transformation sucht. Und darum ging es bei diesem Projekt. Uns allen war klar, dass man diese Skizze nicht kopieren, nicht eins zu eins auf ein großes Tuch übertragen kann. Hier musste es vielmehr um eine Interpretation, eine Verwandlung gehen, die in Farbe und Form aus Rudolf Steiners Skizze gewonnen, geboren wird.

 

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Philip Nelson So kam es zu dem Anruf an mich, ob ich mir vorstellen könne, von einer Skizze Rudolf Steiners ausgehend einen Vorhang zu malen. Ich hatte damals nur ein vages Bild von diesem Entwurf, und als ich mir ausmalte, was es heißen würde, diese Skizze auf eine Leinwand von zehn mal zwölf Metern zu übertragen, da konnte ich nicht anders, als diesen Auftrag abzulehnen. Es würde wohl zehn Monate dauern und drei oder vier Assistenten benötigen, um solch eine Fläche von 120 Quadratmetern ergreifen zu können. Als ich bald darauf Stefan wieder traf und er mich erneut fragte, habe ich die Frage aber noch einmal bewegt und innerlich nach Wegen gesucht, wie Rudolf Steiners Bild zu einem neuen großen Bild werden könnte. Ich erinnerte mich daran, dass ich für meine Frau Monica schon einmal ein Bühnenbild in kleinem Maßstab gemalt hatte, das wir dann in einer speziellen Druckerei in Italien vergrößern ließen auf eine Leinwand von etwa sieben mal acht Metern.

Hasler Das war ein recht fester Stoff, den Philip damals verwendete und der auf der Bühne den Hintergrund bildete. Mit dieser Leinwand haben wir auf der großen Bühne daraufhin Beleuchtungsproben gemacht und farblich gespielt, denn durch die vielen Möglichkeiten, das Tuch zu beleuchten, erscheint das Bild in allen möglichen Farben. Aus Erfahrungen mit der Eurythmie in den ‹Mysteriendramen› oder vor vielen Jahren mit der Inszenierung von ‹Eros und Fabel› schwebte uns vor, dass der Vorhang aus einer zarten Gaze bestehen sollte, die sowohl von vorne beleuchtet werden als auch vor einem beleuchteten Raum durchschimmernd erscheinen könnte. Die Skizze ist ja von Rudolf Steiner als Bühnenvorhang gedacht. Man kommt vor der Aufführung in den Saal hinein und taucht nun direkt in dieses dreigliedrige Motiv ein, man wird sogleich in eine imaginative Stimmung versetzt und so auf die Eurythmie vorbereitet. Nun zeigt die Vorhangskizze wie ein Triptychon drei Glieder, sodass wir sie auch als drei Teile denken können. Drei Teile, die mal vereint, mal einzeln erscheinen können, sodass wir also sprichwörtlich mit ihnen spielen können. Je nach Lichteinfall erscheint das Bild als Schemen oder vermag sich deutlich zu entfalten. Entsprechend kann die Eurythmie dahinter mal nur als Schemen, dann deutlich zu sehen sein und das Bild ganz zurücktreten. Für unser Programm zum dreigliedrigen Menschen bedeutet das, dass wir differenziert mit diesem Vorhang umgehen können.

 

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Wie ging es dann weiter, nachdem deutlich wurde, ‹wie› ihr es umsetzen wollt?

Nelson Die Skizze von Rudolf Steiner weckte viele Fragen in mir. Dabei war mir und auch Stefan deutlich, dass ich hier künstlerische Freiheit brauchen würde, um diese Transformation erfüllen zu können. Im linken Drittel der Skizze ist eine I-Gebärde zu sehen, umgeben von einer Form, die an ein Feuer erinnert. Darunter ist eine mächtige dunkle Fläche zu sehen. Hier sammelt sich die Verbindung zur Erde. Gerade diesen Bereich, das fühlte ich deutlich, darf ich nicht schwarz malen, sondern werde ihn verwandeln, deutlich interpretieren müssen. Das ist auch aus praktischen Gründen notwendig, weil braun und schwarz sich auf einem Vorhang nicht beleuchten lassen, sie spielen nicht mit dem Licht, wie es die andern Farben vermögen.

“Manchmal hatte ich das Gefühl, dass 25 000 Augen auf mich schauen.”

Ich bin nun in den Sommerwochen für einige Zeit in die Vorbereitung gegangen – innerlich und praktisch zugleich. Ich habe Aluminiumrahmen, die wohl hundert Jahre stabil bleiben werden, aufgespannt und die besten Farben für dieses Projekt besorgt. Gleichzeitig arbeitete die Frage in mir, wie es möglich ist, diese Skizze in ihrer Dreigliederung, in ihrer Farbigkeit und auch Figürlichkeit neu zu fassen. Es waren intensive und zugleich rätselhaft stille Wochen. Dann fing ich an zu malen, meistens in der Nacht, in den Stunden von 2 Uhr bis 8 Uhr morgens. Ich malte also in die dämmernde Helligkeit, in die aufgehende Sonne hinein. Am Tage korrigierte ich dann manches, aber die schöpferischen Momente waren erstaunlicherweise nachts. Meine Aufgabe sah ich darin, das Leben in die Skizze hineinzubringen. Dazu habe ich auch Quarzsand und gemahlene Edelsteine und Halbedelsteine verwendet. Allein und ungestört in meinem Atelier, hatte ich doch manchmal das Gefühl, als würden 25 000 Augen auf mich schauen. Ich male ja kein Gemälde für einen Raum, sondern aus diesem Bild wird ein großer Vorhang, den Tausend Augenpaare anschauen werden. Mich hat natürlich auch berührt, dass es genau 100 Jahre, nachdem Rudolf Steiner die Skizze anfertigte, geschieht. Es mag widersprüchlich klingen, aber ich fühlte mich frei und zugleich nicht frei. Und doch: Innerlich spürte ich bald, dass es möglich ist, dass es gelingt. Zwei Meter mal achtzig Zentimeter wurden die drei Stelen, sodass wir es im Maßstab von fünf zu eins vergrößern werden. Jedes der drei Bilder wird dann schlussendlich zehn mal vier Meter Größe haben.

 

Foto: Wolfgang Held

Foto: Wolfgang Held

 

So wurden aus Rudolf Steiners Skizze drei Stelen?

Nelson Ich male jetzt über 36 Jahre hier und es sind 3000 Bilder und doch war dieses Projekt etwas ganz Besonderes. Viele Menschen werden den Vorhang sehen. Ende August habe ich dann Stefan angerufen mit dem lapidaren Satz: «Es ist fertig.» Es war eine besondere Atmosphäre im Atelier, als das ganze Bühnenensemble, alle 13 Eurythmisten, vor den drei Bildern standen. Ich habe viele Vernissagen erlebt, aber dieser Moment wird mir in seiner besonderen Kraft im Raum in Erinnerung bleiben.

Dann wurde es wieder technisch praktisch. Es gibt im Schwabe-Verlag einen Lithografen, mit dem ich schon lange zusammenarbeite. Er hat die Bilder fotografiert. Daraufhin haben wir sie für den schlussendlichen Druck auf die Gaze vorbereitet.

Es gibt ältere Bilder von dir, die an die Motive erinnern – gibt es einen imaginären Vorlauf zu diesem Bühnenvorhang?

Nelson Tatsächlich war diese Aufgabe, diese besondere Interpretation nicht fremd für mich. Ich konnte auf vieles in mir zurückgreifen, sonst wäre das in den wenigen Wochen ja unmöglich gewesen. Es gibt andere Bilder, an denen ich mehr als zehn Jahre gearbeitet habe. Es gibt Bilder, die Besucher im Atelier sehen und gerne erwerben möchten und ich muss sie dann leider enttäuschen, weil dieses Bild noch nicht vollständig, noch nicht ganz fertig ist. Es fehlt noch irgendetwas. Also ist es wohl tatsächlich so, dass von dem Farbklang, von den Motiven vermutlich schon etwas in mir lebte. Ich glaube auch, dass ich vor vielleicht zehn Jahren diese Aufgabe nicht hätte erfüllen können – ich war noch nicht frei genug. Natürlich habe ich immer noch oft das Gefühl, am Anfang zu stehen, und doch sind Erfahrungen so gereift, dass diese Interpretation von Rudolf Steiners Skizze möglich wurde.

 

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Sie wird im Großen Saal hängen, was heißt das für dich?

Nelson Es wird perfekt sein. Es wird Kraft bringen – und das ist nicht mein eigentliches Verdienst, ich bin nur der Empfänger von etwas, was sich herabsenkt. Aus diesem Grund schreibe ich meinen Namen immer auf die Rückseite der Bilder. Es kommt in mir hervor, es malt in mir, und wenn ein Bild schließlich fertig ist, dann ist es eine große Erfüllung, eine Freude.

Hast du dich früher schon so intensiv mit Skizzen Rudolf Steiners beschäftigt?

Die Wandtafelzeichnungen finde ich etwas ganz Unbeschreibliches! Vor 20 Jahren war in Zürich im Kunsthaus die große Ausstellung ‹Richtkräfte für das 21. Jahrhundert›, mit vielen Wandtafelzeichnungen. Oft bin ich in das Museum gefahren und habe diese Bilder studiert und in mich aufgenommen. Der Anblick hat mir beinahe die Sinne genommen. Jetzt, wo ich mich so intensiv mit dieser einen Skizze beschäftigt und sie in ein neues Bild übersetzt habe, fühle ich eine Ruhe, die ich damals noch nicht hatte.

Mit dem linken Bild bin ich zuerst fertig geworden. Dann kam das zweite, sodass sogleich ein Gespräch entstand zwischen dem Rot und dem Gelb. Das wurde noch einmal reicher, als sich die blaue Fläche des rechten Bildes entfaltete. Da war auch ein Kampf zu spüren, denn jedes Bild ist etwas Eigenes und doch gehören sie zusammen, bilden fortwährend eine Einheit.

 

Bild Skizze von R. Steiner, 1918

Bild Skizze von R. Steiner, 1918

 

Hasler Zu dieser Einheit gehört auch der Saal, gehören auch die farbigen Fenster. Ich freue mich auch auf den Eindruck, wenn die Glasfenster des Saals offen sind, man also die Glasfenster hat und dann ‹diese› neuen drei Fenster, diese drei Tore durch den Vorhang. Was man in der Deckenmalerei als Farberfahrung hat, was dort ja auch durch die drei Laute I, A und O geht, das wird auf der Bühne dann als horizontales Farbbild erscheinen – auch darauf bin ich gespannt.

Nelson Der Vorhang wird ja beleuchtet, sodass zu der Transformation durch meine Arbeit eine weitere hinzukommt. Nils Frischknecht und seine Beleuchter haben heute unglaubliche Möglichkeiten. Mit dem Vorhang kommt nicht nur ein Bild auf die Bühne, da wird sich ein neues Leben auf der Bühne abspielen – da bin ich mir sicher.

Hasler Die Beleuchtung für unser erstes neues Programm, mit dem wir den Vorhang einweihen, übernimmt Ilja van der Linden. Er ist ja ein besonderer Künstler, wenn es darum geht, Farbräume auf der Bühne entstehen zu lassen. Außerdem bin ich froh, dass wir Mona Doosry, die Germanistin, mit der ich in meiner Zeit in Hamburg viele künstlerische Projekte unternommen habe, dafür haben gewinnen können. «Entwickle ein Programm aus und über den Grundsteinspruch», war unsere Bitte. Es sollte in spanischer, englischer und deutscher Sprache sein. Herausgekommen ist ein Programm, das sich von der Schöpfungsgeschichte bis in die Gegenwart erstreckt, von Hölderlin bis Shakespeare, in dem der Grundsteinspruch als solcher nicht vorkommt und doch präsent ist.

So scheint es auch mit dem neuen Vorhang zu sein – das Bild ist von Rudolf Steiner und doch nicht von ihm?

Nelson Ich habe zu Stefan gesagt, es ist eine Interpretation der Skizze von Rudolf Steiner durch Philip Nelson.

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