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Die ganze Bandbreite des Menschseins

Roland Wolf (1954) hat am 11. März 2020 gegen 6 Uhr morgens seinen Weg in die geistige Welt angetreten, ausgerechnet jetzt, wo viele Menschen von einer Zeit des Sterbens und des Todes, aber auch des Auferstehens, des Neubeginns, der völligen Umkehr aller Werte sprechen.


Roland war ein wahrer Künstler und ein wirklicher Freund, auf den man sich verlassen konnte: intensiv und doch nicht dogmatisch, verbindlich und doch auch selbständig, frohgemut und doch auch traurig. Roland war ein wirklicher Mensch, der die gesamte Bandbreite des Menschseins in seinem Leben abdeckte. Was heißt das eigentlich? Entscheidend für mich ist dabei, dass er sein Dasein nutzte, um sich immer weiter zu entwickeln, zu verfeinern. Vom bösen Unhold, der zwei Jahre wegen Drogenhandels im Gefängnis saß, über den bemühten, aber teilweise doch scheiternden Familienvater bis hin zum belesenen, warmen Künstler, der sich dadurch auszeichnete, dass er nie nachließ zu fragen: Ist das jetzt nur so ‹dahergeschwätzt›, ‹Hirnwissen› oder begreifen wir eine Idee wirklich in der ganzen Tiefe mit all unseren Kräften?

Ich habe keinen Menschen gekannt, der so intensiv nachfragte, vielleicht noch Rudi Dutschke, den ich jedoch nicht persönlich erlebt habe. (1) Seit wir uns kennenlernten – anlässlich der Doppelausstellung von Beuys’ Documenta-Beiträgen und Steiners Tafelzeichnungen 1993 (2) – war Roland sofort bereit, mich in den Zeiten, in denen ich nicht dort sein konnte, in meiner die Ausstellung begleitenden Bücherstube zu vertreten. In seiner Biografie bezeichnet er diese Aktion ‹1993 FIU-Raum, Redestehen zum Erweiterten Kunstbegriff, Fridericianum, Kassel› (3) so, als wäre es der Ausgangspunkt seiner Biografie und das Selbstverständlichste der Welt gewesen.

Später habe ich verstanden, dass man seinen Weg – sozusagen von der Gosse bis zur tiefen Spiritualität etwa eines Derwischs – erst einmal gegangen sein muss, um diese Dichte einer Persönlichkeit zu erreichen. Roland hat gar in Achberg zu einem recht klein gebliebenen Auditorium über ‹Die Deutsche Frage zum deutschen Widerstand› – insbesondere den Kreisauer Kreis – gesprochen, unvergesslich mit dem Krückstock und silbernem Knauf.

Wenn ich mir Roland vor das innere Auge führe, so ist sein Weggang hier auf Erden für mich persönlich – und sicher für viele weitere Freunde – ein großer Verlust. Wer war denn schon in der Lage, die persönlich- künstlerische Tätigkeit zu verbinden mit der politisch-ideellen, aktiven Arbeit – trotz, oder gerade wegen seiner mitunter unermesslichen Schmerzen, die er auszuhalten hatte?

Wie gut, dass seine Lebensgefährtin Barbara, insbesondere in der letzten, sicher schwer zu tragenden Lebensphase, ganz an seiner Seite stand. Das sind die wahren Helden des Menschseins!

Ich bin dankbar, in dieser Inkarnation an Rolands Seite gewesen zu sein. Wir werden uns wiedersehen.


(1) Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass ich mit unserem ‹großen Lehrer› Joseph Beuys bei Dutschkes Tod (Dez. 1979) ein Telefoninterview führte. Hier nachzulesen (S. 86).
(2) Ein zeitnaher Artikel hierzu.
(3) Vita Roland Wolf

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