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Wort(w)ende

Die Geburt der modernen Lyrik im 20. Jahrhundert. Rainer Patzlaff begibt sich auf die Spuren einer um Wahrhaftigkeit ringenden jungen Dichtergeneration.


Ausgehend vom hundertjährigen Jubiläum der Erstausgabe der Anthologie expressionistischer Lyrik ‹Menschheitsdämmerung – Symphonie jüngster Dichtung› von Kurt Pinthus macht Rainer Patzlaff darauf aufmerksam, dass seit dem Ersten Weltkrieg bis heute das Kernproblem der Lyrik in der abgenutzten, leeren Phrasenhaftigkeit der Sprache liegt, die es kaum noch ermöglicht, erlebte Wahrheit unverfälscht wiederzugeben. «Die Lyriker», so Patzlaff, «haben das Verdienst, uns […] frühzeitig aufmerksam gemacht zu haben», welche Bedrohung im sozialen und politischen Leben der Menschheit daraus erwächst. Auf den Schlachtfeldern der Kriege wurde das Vertrauen in die gewohnte Sprache fundamental erschüttert. Resignation, Verstummen, Sprachverlust und Sprachzerfall kennzeichnen die Suchbewegung, die bis heute an Aktualität nicht verloren hat. Patzlaff sieht in der Entdeckung des ‹Nichtwortes›, von dem die Lyrikerinnen Rose Ausländer, Nelly Sachs und Hilde Domin reichen Gebrauch machen, das geniale Mittel, welches im Nichtgesagten das Unsagbare hörbar macht.

 


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In dem ergänzenden Essay wird beleuchtet, wie Rudolf Steiners sprachliche Neugriffe in innerem Zusammenhang stehen mit der Lyrik des 20. Jahrhunderts: Bereits der Stil der Anthroposophie müsse so sein, dass «schon die Worte in einer gewissen Weise gebärdenhaft hindeuten auf das eigentlich Wirkliche, das dahinterliegt» (GA 199). In diesem Zusammenhang erwähnt Patzlaff auch die Eurythmie als ‹produktive Antwort› Rudolf Steiners auf den «unabwendbar eintretenden Verfall der gewohnten Sprache».

Hoffnungsvoll bleibt die Leserin, dass in der Neuauflage der Schriften die Kunst der Sprachgestaltung Erwähnung findet. Ist es nicht ihr Auftrag, Lyrik aus der stummen Gefangenschaft der Schrift ins Hörbare zu heben, das Unsagbare im Dazwischen erlebbar werden zu lassen?

Möge das stilvoll und feinfühlig geschriebene Büchlein WORT(WENDE) und das ergänzende Essay viele Leser finden – sie haben in jeder Tasche, in jedem Reisegepäck Platz!


Titelbild: Amador Loureiro (Unsplash)

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