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Die Dreigliederungs­bewegung ist nicht gescheitert

‹ImPuls für die Zukunft› war das Motto der Tagung, die vom 5. bis 7. April 2019 im Forum 3 und im Hospitalhof in Stuttgart stattfand und von ca. 600 Menschen – wesentlich mehr als erwartet – besucht wurde. Anlass war, dass Rudolf Steiner vor 100 Jahren mit der Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus an die Öffentlichkeit trat.


Ist die Dreigliederungsbewegung gescheitert? Diese Frage stellte Henning Kullak-Ublick, Sprecher des Bundes der Freien Waldorfschulen, eingangs und antwortete gleich selbst: Nein, keineswegs. Rudolf Steiners Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus wird immer lebendiger und wächst gesundend in immer mehr Lebensgebiete. Natürlich sei vieles noch nicht erreicht und die noch zu bewältigenden Aufgaben sind enorm, doch für ein pessimistisches Urteil des Scheiterns ist kein Anlass. Ein unvoreingenommener Besucher der Tagung bestätigte, dass die Dreigliederung schon in vielen Bereichen fruchtbar geworden ist. Weltweit sind mittlerweile unzählige Initiativen entstanden, die ihre entscheidenden Impulse aus dieser Idee erhalten haben. Kullak-Ublick bemerkte auch, dass Mutter und Tochter sich gegenseitig zum 100. Geburtstag gratulieren können. Die Waldorfschulen wurden von dem Unternehmer Emil Molt ebenfalls vor 100 Jahren begründet, um mit diesem Modell einer freien Schule mit besonderer Pädagogik auch einen Beitrag für die Verwirklichung eines freien Bildungswesens im Sinne der sozialen Dreigliederung zu leisten. Zurzeit wächst weltweit die Zahl der Waldorfschulen (gegenwärtig ca. 1050). Besonders in China und Lateinamerika ist das Interesse sehr groß. Über die Jahre sind eine große Anzahl Unternehmen entstanden, in welchen nicht der Profit an erster Stelle steht, sondern ein solidarisches Zusammenarbeiten. Ihre Gewinne lassen diese Unternehmen wiederum über Stiftungen der Gesellschaft zugutekommen.

Natürlich sind es erst Anfänge, die aber Vorbildcharakter haben und sich in Zukunft vervielfältigen lassen. Heilend wirkt der Impuls der Dreigliederung auch da, wo einem landwirtschaftlichen Betrieb die Umstellung auf biologische oder biologisch-dynamische Wirtschaftsweisen ermöglicht wird. Neue Eigentumsformen lösen die Böden aus dem Kreislauf der Spekulation, sodass sie den Betreibern anschließend zur Nutzung überlassen werden können. Walter Kugler zitierte in seinem Beitrag den Artikel ‹Astral-Marx› aus dem ‹Kursbuch 55› von 1979. Dort erwähnte nämlich Joseph Huber, dass es mit den Anthroposophen wie im Märchen von Hase und Igel sei. Die linken Hasen rennen sich die Hacken ab und wenn sie ankommen, steht da ein anthroposophischer Igel und sagt: «Ätsch, ich bin schon da!» Hier ist ein klassenloses Krankenhaus, dort eine eigene Genossenschaftsbank, da sind selbstverwaltete Kindergärten und Schulen, Verlage, alternative Heil- und Therapieeinrichtungen, biodynamische Landwirtschaftsbetriebe. Der Artikel endet mit der Bemerkung: «Wo die heutige Linke mit lautem Getöse relativ wenig erreicht, schaffen Anthroposophen im Stillen viel.»

Verschiedene Phasen der Dreigliederung

Auch Fritz Kuhn, Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, sprach in diesem Sinne und erkannte den positiven Einfluss der Anthroposophen in seiner Stadt an. Schon früh hatte er in Achberg erste Kontakte und hörte insbesondere durch Joseph Beuys bereits in der Gründungsphase der Partei der Grünen von der Dreigliederung. Gerald Häfner von der Sozialwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum skizzierte die vielen Probleme unserer Gesellschaft, die einer Antwort harren. Am Beispiel der Havarie des Öltankers Prestige zeigte er die katastrophalen Konsequenzen, wenn nur aus Profitgier gehandelt wird und keiner bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen. Trotz aller Gefahren wurde dem lecken Schiff im November 2002 der Zugang zu einem spanischen Hafen verweigert. Das Schiff wurde aus den Hoheitsgewässern und damit den Zuständigkeiten ins offene Meer geschleppt, wo es zerbrach und 64 000 Tonnen Schweröl ausliefen und damit eine der schlimmsten Umweltkatastrophen verursachten. Verantwortungslos ist auch die Privatisierung – insbesondere im Gesundheitswesen – mit dem Ziel, einigen Kreisen eine bessere Kapitalverwertung zu erlauben. Häfner schilderte, dass in der Sozialwissenschaftlichen Sektion an einem Gesetzesvorschlag für ein neues Eigentumsrecht gearbeitet wird. Dessen Ziel ist es, Geld und Macht in den Unternehmen zu trennen. Nicht mehr das Geld oder die Gene sollen entscheiden, wer eine Unternehmung führt, sondern die Fähigkeiten. Auch an neuen Rechtsformen für das Eigentum an Grund und Boden wird gearbeitet.

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Wenn die Dreigliederung sich in den Tatsachen vollzieht, wie Steiner sagte, gilt es, die Prozesse auch wahrzunehmen und dort helfend einzugreifen: selbstlos, an der Sache orientiert und ohne den Hochmut, schon zu wissen, wie es geht.

Die Aktualität dieser Ansätze wurde ebenfalls unterstrichen durch die Proteste gegen unbezahlbare Mietwohnungen, die zeitgleich in Stuttgart stattfanden. In München fließen zum Beispiel schon 48 Prozent der Mieten in Zins und Spekulation. Die Tatsache, dass 87 Prozent der investierten Gelder von Versicherungen und Pensionskassen kommen, zeigt, dass wir alle aufgefordert sind, zu überlegen, was mit unserem Geld passiert. Die coopera Sammelstiftung puk in der Schweiz ist ein Beispiel dafür, dass eine nachhaltige Form der Altersvorsorge möglich ist.

Gerald Häfner unterschied verschiedene Phasen der bisherigen Entwicklung der Dreigliederung. Anfangs wurde sie eher theoretisch entwickelt. Erst in den 1970er- und 1980er-Jahren erwachte ein Gefühl für die Notwendigkeit, auch praktisch zu wirken. Diverse Wirtschaftsbetriebe entstanden. Die gls-Bank und die gls-Treuhand wurden zum Katalysator vieler Gründungen im Bereich der Ökologiebewegung, die damit zunehmend an Fahrt aufnahm. Jetzt sei noch stärker das Willenselement gefragt, um Veränderungen zu erreichen. Als Beispiel dafür nannte Häfner die schwedische Jugendliche Greta Thunberg. Dass die Dreigliederung eine Utopie sei oder dass sie eingeführt werden müsse, sei ein Missverständnis. Steiner hat mit ihr nur die Begriffe geliefert, mit denen wir unsere soziale Wirklichkeit erkennen können. Erkenntnis der Wirklichkeit ist die Voraussetzung, um sachgemäß zu handeln.

Markt der Möglichkeiten

Wie lebendig in vielen Bereichen die Idee der Dreigliederung zum Tragen kommt, konnte am Samstagmorgen erfahren werden. In etwa 25 Workshops luden die diversen Initiativen zum Dialog ein. Das Spektrum der Aktivitäten war sehr breit. Bewegungen zu direkter Demokratie, Bodenreform, Grundeinkommen, ‹50 Jahre Forum3-Erfahrungen mit der Dreigliederung in einer Institution› bis zur Demokratischen Stimme der Jugend und viele weitere luden zu Gesprächen ein. Auch an dem Markt der Möglichkeiten am Samstagnachmittag konnten sich an 26 runden Tischen Gesprächskreise zum Austausch bilden.

Am Samstagabend ging der aus den Philippinen angereiste Träger des alternativen Nobelpreises Nicanor Perlas auf die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz (ai) ein und wies insbesondere auf die beängstigende neue Generation von Super Computern hin, die sich selbst zu programmieren vermögen und zu Planungen übergehen werden, die gänzlich ohne die Menschen auskommen.

Um die Eigentumsfrage ging es in einem der drei Foren, die am Sonntagmorgen stattfanden. Wie Eigentum an Produktionsmitteln in Fluss kommt, kann eine der wichtigsten Fragen zukünftiger Sozialgestaltung sein, so Udo Herrmannstorfer. Als Beispiel für eine neue Eigentumsform wurde von Armin Steuernagel die Genossenschaft Purpose Ventures gegründet, zu deren Grundsatz es gehört, dass der Gewinn nur Mittel zum Zweck ist und nicht Selbstzweck oder Spekulationsobjekt zur persönlichen Bereicherung. Die Purpose-Stiftung hilft anderen Unternehmen, Rechtsformen zu finden, um dieses Ziel zu erreichen.

Nein, die Dreigliederung ist nicht gescheitert. Wir dürfen allerdings nicht nur bei den Begriffen, die Steiner zum Verständnis des sozialen Organismus geliefert hat, stehen bleiben, sondern müssen die Entwicklungen um uns wach begleiten. Wenn die Dreigliederung sich in den Tatsachen vollzieht, wie Steiner sagte, gilt es, die Prozesse auch wahrzunehmen und dort helfend einzugreifen: selbstlos, an der Sache orientiert und ohne den Hochmut, schon zu wissen, wie es geht.


Foto: Judit Stott, Eindrücke aus der Tagung

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