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Goethe und das Helikoptergeld

Goethe lässt sein Rätselmärchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie damit enden, dass die Irrlichter einen Goldregen über dem Volk niederlassen. Damit scheint Goethe etwas vorwegzunehmen, das in der neuen Ökonomie unter dem Namen ‹Helikoptergeld› durchaus bekannt ist.


Rudolf Steiner weist darauf hin, dass ein gewisses Urbild der «Dreigliederung des sozialen Organismus» in Goethes Märchen in der Darstellung der drei Könige im unterirdischen Tempel zu finden ist: in dem goldenen, dem silbernen und dem kupfernen König; und auch in dem vierten, dem gemischten König. Er sagt: «Nun kann man aber in einer gewissen Weise schon hindeuten darauf, wenn das auch Goethe selber noch nicht getan hat, wie der goldene König entsprechen würde demjenigen sozialen Gliede, das wir als das geistige Glied des sozialen Organismus bezeichnen; wie der König des Scheines, der silberne König, entsprechen würde dem politischen Staate; wie der König der Gewalt, der kupferne König, entsprechen würde dem wirtschaftlichen Gliede des sozialen Organismus; und wie der gemischte König, der in sich selber zerfällt, den Einheitsstaat darstellt, der in sich selber eben keinen Bestand haben kann.» (1)

Nun ist es interessant zu bemerken, dass das Gold, das die Irrlichter am Ende des Märchens vom Himmel streuen, aus dem Zerfall des gemischten Königs kommt. Der gemischte König heißt so, weil die Metalle nicht sauber getrennt sind, sondern ihn unförmig durchziehen. Er ist der König, der in dem Moment, in dem die anderen Könige sich erheben und zu herrschen beginnen, in sich zu einem Klumpen zusammensinkt. Es ist gleichzeitig jener Moment, in dem das Geistesleben sich verselbständigt und nicht mehr von Staats- und Wirtschaftsinteressen durchkreuzt wird. Auch das Rechtsleben bekommt seine Unabhängigkeit und die Wirtschaft kann sich auf ihre ureigene Funktion beschränken: die Bedarfsbefriedigung. Aus dem gemischten König haben die Irrlichter das Gold mit ihren spitzen Zungen herausgeleckt, welches sie dann über dem Volk verstreuen. Im Bilde wird uns damit gesagt: Zerfällt einmal der Einheitsstaat, gibt es aus dessen Zerfall Helikoptergeld.

Das von dem Ökonomen Milton Friedman eingeführte Bild des Helikopters, der Geld über der Bevölkerung abwirft, will ausdrücken, dass Geld direkt an die Bürger eines Staates verteilt wird. In der neueren Ökonomie gilt es als eine Alternative zu dem ‹Quantitative Easing› (dt. quantitative Lockerung) genannten Vorgang, bei dem das Geld an die Banken gegen Anleihen ausgezahlt wird. Der Vorteil des Helikoptergelds besteht darin, dass dadurch die Bilanz der Zentralbank nicht vergrößert wird.

Im Falle der Quantitativen Lockerung kauft die Zentralbank über die Geschäftsbanken in großem Maß Staatsanleihen, Anleihen von privaten Schuldnern oder öffentliche Wertpapiere, mit dem Ziel, die Liquidität zu erhöhen, die Zinsen niedrig zu halten und so ein gesetztes Inflationsziel zu erreichen. Ihr Ziel, mit dieser expansiven Geldpolitik den Konsum anzukurbeln, um zu verhindern, dass die Realwirtschaft in eine Deflation mit Rezession abrutscht, erreicht sie allerdings nicht. Das geschöpfte Geld floss meist in diverse Wertanlagen wie zum Beispiel Aktien oder Immobilien. Die jüngste Bilanz der Europäischen Zentralbank (EZB) zeigt das Problem deutlich. Unter der Präsidentschaft von Mario Draghi begann die EZB Anfang 2015, von Euromitgliedstaaten, Investoren und Unternehmen Anleihen aufzukaufen, und pumpte bis Ende 2018 rund 2,6 Billionen Euro Zentralbankgeld in die Märkte. Wie es weitergeht, hat der EZB-Rat noch nicht entschieden, jedenfalls hat die Zentralbank ihr Ziel, eine höhere Inflation zu bewirken, bisher nicht wie gewünscht erreicht. Auch Draghi hat jüngst das Helikoptergeld ins Gespräch gebracht.

Natürlich stößt das Helikoptergeld in vielen Kreisen auf Ablehnung. Kritiker sehen darin eine Art Grundeinkommen, mit der Gefahr, dass die Bürger sich daran gewöhnen könnten, Geld nicht mehr durch Arbeit verdienen zu müssen. Bei einer nächsten Krise würden Wähler oder Politiker fordern, dass die Zentralbank erneut Helikoptergeld herausgibt. Das Wachstum der Geldmenge könnte womöglich eine zu starke Inflation entfachen, mit dramatischen Folgen für Ersparnisse, Investitionen und Wachstumsaussichten. Das Vertrauen der Bürger in die Geldordnung und die Notenbanken ginge verloren.

Doch es gibt auch andere Gesichtspunkte. Durch die gegenwärtige Art der Geldschöpfung werden – was sich auch statistisch leicht nachweisen lässt – jene reicher, die schon reich sind. Die Veränderungen, die Helikoptergeld hervorrufen würde, wären der Art, dass sie die Geldschöpfung ‹demokratisieren› würden, in dem Sinne, dass alle Menschen von der ‹Seigniorage› profitieren könnten. (2) Es gäbe somit eine Umverteilung, von der auch eine breitere Bevölkerungsschicht profitieren würde. Da nun die quantitative Lockerung die gesteckten Ziele nicht erreicht, könnte es zu einem Versuch mit Helikoptergeld kommen, weil dies aus ökonomischer Sicht auch die naheliegendste Lösung ist. Denn damit verbunden ist das andere große Problem, das gegenwärtig wieder weit oben auf der Agenda steht und viele Menschen bedrückt: das Wohnproblem. Die Preise für Wohnraum werden gerade in großen Städten (aber nicht nur dort) unbezahlbar, ein Problem, das letztlich auch damit zusammenhängt, dass Wohnungen mangels Zinseinkünften von vielen Anlegern nur noch als Spekulationsobjekt und Geldanlage gesehen werden. Wer jetzt mieten muss oder eine Immobilie aus eigener Hände Arbeit erwerben möchte, kann da nur noch schwer mithalten. Helikoptergeld könnte sich in dieser Situation als ein Schritt erweisen, das Problem zumindest zu mindern, indem die Geldschöpfung allen zugute kommt und nicht einigen Privilegierten. So hätten auf dem Wohnungsmarkt mehr Menschen eine Chance. Goethes Märchen sagt uns somit: Grundeinkommen kann es geben, wenn wir den Einheitsstaat einmal überwinden.

Hat Goethe da nicht vielleicht intuitiv, mehr ahnungsweise als wissend, eine Antwort auf eines der großen Probleme der Ökonomie unserer Zeit vorweggenommen?


(1) Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des zwanzigsten Jahrhunderts. GA 200. Vortrag vom 24. Oktober 1920
(2) Der Begriff ‹Seigniorage› stammt aus der Zeit, als es noch Münzherren – sogenannte Seigneure – gab, die das Recht hatten, Münzen zu prägen.

Titelbild: Schlussbild zu Goethes ‹Märchen›, Winckelmann-Museum

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