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Paradoxes Ostern

Dieses Jahr hält sich das Osterdatum nicht an die astronomischen Ereignisse –  ein Widerspruch, der im Christentum selbst begründet liegt.


Bei der Kathedrale von Chartres ist es ein keltischer Brunnen, beim Mailänder Dom ein römischer Tempel. Christliche Kirchen wurden häufig dort errichtet, wo zuvor ein Heiligtum aus vorchristlicher Zeit stand oder eine andere naturreligiöse Stätte. Mag auch die geistige Energie der Orte heute nur noch zart zu spüren sein, so ist umgekehrt durch die Architektur das spirituelle Leben etwas in den Hintergrund gerückt. Aus der Natur des Genius Loci wird die Kultur des Genius Loci. Nicht anders ist es in der Zeit. Auch hier orientierten sich die Kirchenväter an den vorchristlichen Riten und deren Verankerung im Jahreslauf. So liegt das Weihnachtsfest am 25. Dezember, dem Tag des ‹Sol invictus›, der unbesiegten Sonne, doch so wie die Kirchen sich aus der engen Naturbindung lösen und mit dem Altar, der ins Innere des Baus rückt, sodass ein abgezirkelter Innenraum entsteht, lösen sich auch die Feste etwas aus ihrer jahreszeitlichen Bindung, um so, inspiriert, aber nicht gebunden, von der Jahreszeit aus der Natur eine innere Kultur werden zu lassen.

Wilhelm Hoerner beschreibt diese Entwicklung eindrucksvoll in seinem Buch ‹Zeit und Rhythmus. Die Ordnungsgesetze der Erde und des Menschen›. Er nennt mit Bezug auf 2. Moses 12, dass zwei Feste Pate standen: das Pessah-Essen am 14. Nissan, dem Frühlingsmonat, als das ‹schonende Vorübergehen› der strafenden Gottheit. Daran schloss sich das Fest des Auszugs aus Ägypten als ein Fest der Erinnerung an. Hier wird aus einem religiösen Naturfest ein Geschichtsfest. Das Vergangene ins Zukünftige zu wandeln, gehört zum Kern des Christentums, es ist immer wieder der Bezug zum Alten Testament und darauf folgend die neue Verkündigung. Entsprechend löst sich das christliche Osterfest aus der strengen Bindung an den Frühlingsanfang und den Vollmond und fügt den Wochenzyklus und damit einen menschlichen Rhythmus hinzu. Denn der Rhythmus der Woche hat zwar eine Beziehung zu den sieben Planeten, ist aber als Zeitspanne im Kosmos nicht zu finden, er ist menschlich. So wird Ostern zu einem dreifachen Warten, wie es Georg Glöckler gerne charakterisierte: Man wartet auf den Frühlingsanfang, man wartet auf den Vollmond, man wartet auf den Sonntag.

Bei der Festlegung des Osterfestes im 4. Jahrhundert am Konzil von Nicäa (heutiges Iznik bei Istanbul) drohte das Römische Reich zu zerfallen, auch deshalb wollte Kaiser Konstantin weitere Dispute um den sogenannten ‹Passionsstreit› der frühen Christen vermeiden. Konstantin, der den Vorsitz am Konzil hatte, wollte «die ganze Kette von Streitigkeiten durch Gesetze des Friedens» auflösen. Man wollte nicht mehr mit den Juden gemeinsam feiern, aber als Christenheit ein einheitliches Fest finden, zu dessen Ausarbeitung der Bischof von Alexandrien beauftragt wurde. Die aus der Beobachtung gewonnene Rechenregel wird dabei bis heute über die astronomische Beobachtung gestellt, was zur Abkehr des Christentums von den Naturreligionen gehört. Wichtig war den Kirchenvätern die Beziehung zum Kosmos durch Frühlingspunkt und Vollmond und die Beziehung zum Ursonntag, dem Tag des Auferstandenen, wobei Ostern nicht mit dem Pessahfest zusammenfallen sollte.

Ohne Widersprüche geht es nicht

Da man zu dieser Zeit den Frühlingsanfang nicht genau bestimmen und noch weniger vorausberechnen konnte, wurde für das Kirchenjahr der 21. März als Frühlingsanfang gesetzt, wohl wissend, dass manchmal durch die Schalttage der Frühlingsanfang schon auf einen 20. März fällt. Der Vollmond dieses Jahres am 21. März, 2.43 Uhr wird nicht für die kirchliche Rechnung als Frühlingsvollmond gezählt, sodass für das Osterfest erst der nächste Vollmond am 19. April um 13.11 Uhr berücksichtigt wird. Der für das Osterfest maßgebliche kirchliche Vollmond orientiert sich am Mondalter am 31. Dezember des Vorjahres, der ‹Epaktezahl›. 2019 ist diese 24, was den Märzvollmond auf den 20. datiert und folglich erst den Aprilvollmond als Ostervollmond betrachtet. Da das Osterdatum den Anfang des christlichen Jahreskreises bestimmt, ist dieser Widerspruch zum astronomischen Lauf, wie er sich durchschnittlich alle 50 Jahre ereignet, folgenreich. Doch auch Wilhelm Hoerner betont, dass eine strenge Orientierung auf die astronomischen Bedingungen zu neuen Problemen führen würde. Dann wäre es zum einen möglich, dass Ostern mit dem jüdischen Pessahfest zusammenfällt. Und wenn der wahre Vollmond nahe an die Grenze zwischen Karsamstag und Ostersonntag fällt, dann ist für manche Orte der Vollmond am Sonntag, sodass dann für diese Orte der Ostertermin um eine Woche verschoben werden müsste. Sich von den vorchristlichen Religionen abzusetzen und gleichzeitig eine Bindung an die kosmischen Läufe zu behalten, führt beim Osterfest zu Widersprüchen. Diese von Ludwig Lange 1928 als ‹paradoxes Ostern› bezeichneten Probleme sind nicht ganz zu lösen, bieten aber die Möglichkeit, sich in den Jahren, in denen sie auftreten (2019, 2038, 2045, 2049, 2057 …), sich dieses Widerspruchs bewusst zu werden, dass der Zug ins Innere im Christentum eine Lösung von den kosmischen Rhythmen bedeutet und zugleich eine neue Verbindung zum Ziel hat. Interessant ist dieses Jahr, dass durch das paradoxe verspätete Osterfest Mars vom Widder in das Zentrum des Stiers wandern kann und damit eine stärkere Willensbetonung am Morgenhimmel vor Sonnenaufgang zu sehen ist, als wenn Ostern schon am 24. März wäre.


Titelbild: Kathedrale von Chartres, Mittelportal der Westfassade

Korrigendum (15.3.2019): In einer früheren Version des Texts war fälschlich der Zeitpunkt der Tagundnachtgleiche (20. März 22.59 Uhr) als Märzvollmond angegeben. Richtig ist: 21. März, 2.43 Uhr. Der für das Osterfest maßgebliche kirchliche Vollmond orientiert sich am Mondalter am 31. Dezember des Vorjahres, der ‹Epaktezahl›. 2019 ist diese 24, was den Märzvollmond auf den 20. datiert und folglich erst den Aprilvollmond als Ostervollmond betrachtet.

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